Selbstgenügsame Hobbys wider den Spätkapitalismus
Hallo zusammen!
Wenn man beginnt, beispielsweise YouTube nach dem Begriff Hobby zu durchforsten, dauert es nicht lange, bis man auf eine ganze Subkultur von Videos stößt. „Wie du mit deinen Hobbys 2025 Geld verdienen kannst“ wollen sie einem verraten. „Weshalb du aus deinem Hobby ein lukratives Side Hustle machen solltest“.
„Lass keine Chance liegen, Geld zu verdienen“, scheinen sie zu rufen.
„Schreib jetzt dein Buch und werde Superstar.“
„Kaufe dir heute einen Dremel und werde mit den folgenden fünf Tipps Millionär.“
Und mich gruselt das.
Die Quantifizierung des Kreativen
Hobbys – und ich sage hier mal dazu, dass ich im Rahmen dieses Artikels ganz vorwiegend an kreative Hobbys denke, das Gesagte aber vermutlich auf alle zutrifft – sollen ja ganz spezifisch ein Weg sein, abzuschalten.
Über das hier schon mehrfach gelobte 4000 Weeks von Oliver Burkeman bin ich auf das wunderbare Konzept von telischen und atelischen Handlungen aufmerksam geworden. Darin steckt τέλος, télos, das altgriechische Wort für Ziel oder Zweck.
Demnach ist eine telische Handlung eine mit Zweck, mit einem Ziel. Und entsprechend ihr Gegenpart ist eine atelische Handlung, also eine, die nur sich selbst dient und keiner weiteren Berufung folgt.
Was wir aber, in unserer westlichen Gegenwart anno 2025, nach wie vor bewusst und unbewusst tun, ist all unsere ehemals sich selbst genügenden Handlungen mit Zielen und Quoten zu versehen.
Beispielsweise via meinem alten Feind: Social Media. Vielleicht hast du ja mal angefangen, kleine Videos zu machen, weil es Spaß macht – aber ach so schnell bist du bei Aufrufzahlen, Klickraten und der schleichenden Frage, ob du das nicht monetarisieren kannst. Vielleicht monerisieren … solltest?
Gerade dieser finanzielle Aspekt ist so tief in unserer Kultur verankert. Ich glaube, wenn ich für jedes Mal, wo ich jemandem erzähle, dass ich Bücher schreibe und eine der ersten Fragen ist, was ich denn damit verdiene, einen Euro bekäme – vermutlich wäre das mehr Geld, als einige meiner Bücher mir verdient haben.
Und ehe wir uns versehen, hat unser Hobby ein télos erhalten; mehr Leute erreichen, mehr Likes sammeln, mehr Abonnenten erlangen, mehr Geld verdienen. Was wir darüber aber verlieren, ist die Selbstgenügsamkeit.
Ein Buch schreiben, nicht weil man es verkaufen, sondern weil man schreiben möchte.
Ein Bild malen, nicht um damit Karriere zu machen, sondern weil man malen möchte.
Wandern gehen, nicht für die garantierten views beim starken Gipfelfoto, sondern weil man gerne wandern möchte.
Künstler sollten bezahlt werden
Umgekehrt ist natürlich auch wahr: Kunstschaffende sollten fair bezahlt werden. Der Illustrator soll für seine Bilder genauso vergütet werden wie der Autor für seine Texte, gerade und besonders, wenn die wiederum dazu dienen, dass jemand drittes damit Geld verdient.
Die Frage ist nur – ist das für euch auch jeweils der beste Weg?
Wenn ich mit Leuten darüber spreche, das eigene Hobby zum Beruf zu machen – etwas, was ich im Rollenspielbereich ja selbst getan habe –, dann sind immer alle sehr eifrig dabei zu nicken, wenn es um die damit verbundenen Risiken geht.
Jeder hat ein intuitives Verständnis dafür, dass es nahezu egal ist, wie gerne man Kuchen backt – an dem Punkt, wo das Kuchenbacken der tägliche Lohnerwerb wird und wo Verpflichtung sich zwischen Mehl und Puderzucker mischt, läuft man Gefahr, den Spaß daran zu verlieren.
Dabei übersehen die meisten aber, dass viele Denkmuster der Gegenwart exakt die gleiche Rolle übernehmen. Wir sind eine (in meinem Augen viel zu) produktivitätsgetriebe Kultur. Alles muss einem Zweck dienen, scheint es. Der Wachstumsgedanke, der uns schon Kraft des Kapitalismus beständig Lebensqualität aus dem Knochenmark saugt: Längst hat er doch den Freizeitbereich erreicht.
Wenn du schon Kuchen backst, warum postest du nicht Fotos auf Instagram? Und wenn du schon Fotos postest, lies doch mal hier diese Artikel, wie du diese Fotos erfolgreicher an Leute bringst. Wer weiß, wenn du diesem Fünf-Punkte-Plan folgst, vielleicht kriegst du ja Sponsoren an Bord?
So leicht verliert man aus den Augen, worum es vielleicht am Anfang gegangen ist. Vielleicht – ein völlig verrückter Gedanke – wollte man einfach gerne Kuchen backen.
Überspitzt gesagt: Du fragst mich, ob ich meine kleinen betont eskapistischen Schreinerprojekte nicht auf Twitch streamen oder auf Etsy verkaufen will und ich frag mich nur noch, ob es hackt.
Für mich hat sich in den letzten Monaten immer mehr eine einfache Kontrollfrage herauskristallisiert: Würde ich das, was ich gerade tue, auch tun, wenn es danach nicht an ein Publikum ginge.
Würde ich das Foto schießen, die Wanderung machen, das Buch lesen, den Text schreiben, auch in dem Fall, dass kaum jemand oder gar niemand je davon erfahren würde?1
Wenn die Antwort für mich „nein“ lautet … dann ist es vermutlich kein Hobby, von dem ich da spreche. Jedenfalls kein reines Hobby mehr.
Die Sache mit dem Privileg
Das eine oder andere Mal, als ich über dieses Thema live mit Leuten gesprochen habe, war der nächste Vorwurf dann, dass ich ja auch aus einer Position des Privilegs sprechen könnte. Ich muss nicht alles monetarisieren, ich verdiene auch so mein täglich‘ Brot und habe den Luxus, manche Hobbys einfach um ihrer selbst willen zu betreiben.
Das stimmt.
Keine Widerrede.
Wenn jemand kaum oder nicht über die Runden kommt und feststellt, dass sich mit dem eigenen Hobby wertvolles Geld verdienen lässt? Go for it!
Der Einwand kommt in der Regel von Leuten, die grundsätzlich in einer ähnlichen privilegierten Situation sind wie ich, worüber man diskutieren könnte; aber nichtsdestotrotz ist die Aussage wahr.
Die Sache ist nur: Es entkräftet nicht, was ich sage.
Ich lese für mein Leben gern; das ist schon seit Jahrzehnten so.
Gleichzeitig gilt: Ich habe nie so wenig privat mit Freude gelesen wie zu der Zeit, als ich Literatur studiert habe. Weil dort der Zwang ins Spiel kam.
Nur weil manche Leute keine Wahl haben, heißt es ja nicht, dass das Risiko nicht mitschwimmt. Unter Umständen mag es – sofern man grundsätzlich genug zum Leben hat, versteht sich – am Ende für das eigene Seelenheil sogar sehr viel wertvoller sein, auf das zusätzliche Geld zu verzichten und sich dafür die kreative und emotionale Zuflucht zu bewahren, die von einem Hobby ausgehen kann.
Heinrich Bölls Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral ist etwas über 60 Jahre alt – vielleicht sollte man sie dennoch mal wieder öfters lesen2.
L’art pour l’art
Der Begriff „L’art pour l’art“ ist unverkennbar französisch, und bedeutet sinngemäß soviel wie „die Kunst um der Kunst willen“. Das ist ein komplexer Begriff und er ist, wie so viele in der Geisteswissenschaft, durch viele vergangene Debatten aufgeladen. Das Fass lasse ich heute mal zu.
Ich für meinen Teil habe den Begriff in seiner reinen Wortbedeutung und die Gedanken dahinter immer gemocht. Ich mag die Idee einer Kunst, die sich selbst genügt, und die nicht getrieben ist von wirtschaftlichen Interessen oder Zwängen. Und natürlich bin auch ich nicht Idealist genug um nicht zu wissen, dass die Realität oft eine andere ist.
Wenn vor Filmen des Studios Metro-Goldwyn-Mayer ein Löwe wirkmächtig in die Kamera brüllt, dann steht auf dem Spruchband darunter geschrieben: „ars gratia artis“. Die gleichen Worte, nur auf Latein – und man muss sich nur vor Augen halten, dass jenes Studio inzwischen eine Tochterfirma von Amazon MGM Studios ist, um zu verstehen, dass Kommerz und Kapital hier immer eine Rolle spielen werden.3
Und natürlich ist auch meine Arbeit bei Ulisses klar die für ein Wirtschaftsunternehmen. Das heißt nicht, dass die Leute im Verlagsbereich dort nicht auch versuchen, Werke von Bedeutung zu erschaffen. Es heißt aber durchaus, dass am Ende davon ein paar Dutzend Gehälter bezahlt werden müssen.
Ernst ist das Leben, heiter die Kunst
Das ist in gewisser Weise der Luxus meiner privaten Werke. Es gibt kein wirtschaftliches Interesse. Keines, das von außen auf mich einwirkt und – mit jedem Tag mehr – keines, das ich mir selbst aufhalsen möchte.
Ja, ich weiß, die Postproduktion von Morold und die Karte von Carthagena zieht sich ewig.
Ja, ich weiß, der Schreibprozess von Der Pakt der Weißen Nächte ebenso.
Zum einen ist das so, damit das Ergebnis am Ende halt auch wirklich so wird, wie ich oder wir uns das vorgestellt haben.
Zum anderen es ist auch so, weil ich – Achtung, wichtige Aussage – das zum Spaß mache.
Das wiederum bedeutet nicht, dass wir unsere Projekte bei der DORP, bei Eifelarea, bei Saltatio, dass ich meine eigenen Projekte nicht Ernst nehme. Das tue ich; ganz immens sogar. Aber das heißt, dass ich daran arbeite, weil es mir Freude bereitet, daran zu arbeiten.
Natürlich hoffe ich, dass die Ergebnisse bei Veröffentlichung auch euch Spaß bereiten werden. Völlig klar.
Aber am Ende möchte ich in meiner Freizeit kompromisslos meine Kunst nach meinen Regeln machen. Weil es eben auch mein Hobby ist.
Denn Kompromisse muss ich etwa im Berufsalltag schon reichlich eingehen – und ich möchte nicht, dass sich meine Hobbys am Ende wie ein Beruf anfühlen.
Ist das unprofessionell? Vielleicht. Aber das ist okay, professionell bin ich schon auf der Arbeit.
Vielleicht ist das auch der Grund, weshalb ich mehr und mehr Freude daran entwickle, beispielsweise Dinge an meinem Haus hier zu tun.
Eine schwindend geringe Anzahl Menschen wird manches davon je zu Gesicht bekommen. Aber meine Güte kann es genugtuend sein, eine Wand zu streichen, einen Schrank zu bauen, ein Zimmer umzugestalten.
Einfach für einen selbst.
Insofern, wenn in euch auch mal wieder ein kreatives Feuer brennt, geht dem umbedingt nach!
Aber fragt euch, warum ihr das tut.
Wollt ihr groß rauskommen? Wollt ihr daraus eine Karriere machen? Dann tut das!
Aber vielleicht wollt ihr auch einfach nur Spaß daran haben.
Und wenn? Dann ist das völlig in Ordnung.
Viele Grüße,
Thomas
- In gewisser Weise gilt das übrigens auch für diese Seite hier – mir ist bewusst, gegen wie viele Trends und Gewohnheiten ich mich hier stemme, durch die mangelnde Bewerbung auf Social Media, die absurde Textlänge und all das. Ich könnte da sicher Dinge optimieren – aber nur zu Lasten der Art Artikel, die ich hier halt schreiben möchte. ↩︎
- Unerwartet knifflig online zu finden, merke ich; aber hier etwa. ↩︎
- Wer das Thema spezifisch mit Blick auf die Filmwirtschaft weiter ausloten will, dem möchte ich die großartige Movies-with-Mikey-Episode über das Hollywood Sign als Startpunkt ans Herz legen. ↩︎






Wen hingegen meine berufliche Arbeit als Verlagsleiter und leitender Layouter für Ulisses Spiele interessiert, findet