Hallo zusammen!
War’n Moment still hier, ich weiß … nun, es hatte seine Gründe. Es war ja nur eine Frage der Zeit, doch schlussendlich hat das Coronavirus mich dann doch gefunden und es war durchaus ein Ritt. Nie kritisch, aber es hat mich schon für mehrere Wochen zumindest in Sachen Produktivität mehr oder weniger einfach aus dem Spiel genommen. Hier nun aber bin ich wieder … und ich wäre nicht ich, und dieser Blog wäre nicht dieser Blog, wenn ich nicht ein paar Gedanken dazu mitgebracht hätte.
Die erste Ironie an der Sache war, dass es kein großes Event war, wo es mich erwischt hat. Auch nicht das wöchentliche Tanztraining bei uns, oder ein beruflicher Termin mit viel Kontakt mit Kollegen – sondern ein Nachmittag mit ein paar Freunden im kleinsten Kreis.
Susan Sontag hat es damals in Illness as Metaphor gut auf den Punkt gebracht, finde ich. „Ein jeder, der geboren wird, besitzt zwei Staatsbürgerschaften“, schreibt sie da direkt zu Beginn. „Eine vom Königreich der Gesunden, eine vom Königreich der Kranken.“¹ Und wie sie weiter richtig festhält, wollen wir viel lieber dem einen als dem anderen zugehören, aber keiner von uns hat eine Wahl und zumindest einige Wochen unseres Lebens werden wir das Reich der Gesunden verlassen müssen.
Überhaupt ist Illness as Metaphor ein noch immer hoch-aktuelles Buch, gerade weil es sich ja auch damit befasst, wie unterschiedlich tabuisiert (oder sogar idealisiert) verschiedene Krankheitsbilder gesellschaftlich sind – denn das ist etwas, was mir jetzt akut rund um meine Infektion auch aufgefallen ist.
Klar, wir alle kennen mindestens aus den Nachrichten Berichte über Leute, die noch lange was von ihrer Infektion hatten. Ich vermeide mal bewusst die technischen Einteilungen in Long und Post Covid, sondern sage einfach pauschal: die noch lange davon hatten. Und klar weiß man denke ich rational, dass milde Verläufe erst einmal vor allem mild sind in Relation zu den schweren Verläufen, nicht zwingend gemessen an einer normalen Erkältung.
Was mir jetzt aber wiederholt passiert ist, fasziniert mich wirklich – ich war ja nun für mein Umfeld relativ offensichtlich auch lange krank. Ich war 12 Tage positiv, und habe von da aus mehr als eine weitere Woche, um wieder zumindest halbwegs auf Touren zu kommen. Es war kein schwerer Verlauf, mit Notarzt oder Krankenhaus, es war nur ein langwieriger.
Und plötzlich begannen Leute in meinem Umfeld zu erzählen. Einer erzählte mir, bei ihm wär’s jetzt sechs Wochen her und er huste sich noch immer jede Nacht wach. Ein anderer berichtete, seine Freundin sei zweimal kurz davor gewesen, den Notarzt zu rufen. Eine Bekannte berichtete, dass sie auch nach Monaten in ihrem Treppenhaus auf halbem Wege eine Pause machen müsse.
Und: Das waren nicht mal alle.
Doch obwohl ich mit den Leuten auch vorher gesprochen hatte, war das nie thematisiert worden. Erst jetzt, wo ich offenbar den unsichtbaren Schleier passiert hatte und „dazugehörte“, ergriffen Leute das Wort. Berichteten von ihren Erfahrungen. Keiner davon fiel rein technisch in den Bereich eines schweren Verlaufs. Alle aber hatten Spuren davongetragen.
Woran ich auch denken musste, war eine Passage aus Eula Biss‘ On Immunity; auch so ein weiterhin zeitgemäßes Buch. Sie spricht darin von ihrem Vater, seinerseits Onkologe, und wie er sich zunehmend dem Stoizismus zugewandt hat. „Wozu er sich in ihrer Philosophie hingezogen fühlt“, schreibt sie, „ist die Idee, dass du zwar nicht kontrollieren kannst, was dir geschehen wird, aber du kannst kontrollieren, was du darüber empfindest.“²
Ganz gleich, ob man sich jetzt selbst als Stoiker sehen mag, der Gedanke gefiel mir damals schon, als ich das Buch gelesen habe. Und ich glaube, er ist aus mehrerlei Hinsicht etwas, das wir auf unseren aktuellen Umgang mit der Seuche, die nicht mehr wirklich weggehen wird, anwenden können.³
Einige Dinge sollen hier klar gesagt sein: Andere Menschen sind an Covid gestorben. Spätfolgen erlauben es manchen nicht, überhaupt noch am alltäglichen Leben aktiv teilzunehmen. In diesem Kontext werde ich den Teufel tun und mich beklagen. Ja, auch ich ringe noch mit Nachwirkungen und vermute, Stand heute, dass das auch noch ein Weilchen der Fall sein wird. Aber gemessen an dem, was passieren kann, hatte ich einen milden Verlauf.
Lasst uns jedoch gemeinsam beschließen, anzuerkennen, dass es zwischen den Symptomlosen auf der einen und den Intensivpatienten auf der anderen Seite einen gewaltigen Spielraum gibt. Eine Grauzone.
Lasst uns offen darüber reden, dass es für manche nicht einfach ist, mit der Krankheit klarzukommen. Keine Ahnung, ob das noch Nachwehen der ganzen (auf vielen Ebenen problematischen) „ein Indianer kennt keinen Schmerz“-Erziehung ist, respektive das „Leide, ohne zu klagen“-Ideal, oder ob es mehr unser turbokapitalistischer Zeitgeist ist, in dem jeder Verlust von maximaler Produktivität einem Stigma gleichkommt. Aber ganz egal, woher es rührt – lasst es uns ändern.
Lasst uns Normalisieren, dass „Nicht-Funktionieren“ etwas ist, was jeden von uns mal ereilt; und wenn die Gespräche der letzten Wochen mir eines nahelegen, dann dass es im Falle von Covid weit mehr Leute betrifft, als es vermutlich im ersten Moment scheint. Lasst uns also auch für jene Leute die Türe öffnen und sie einladen, ihre Geschichten zu teilen, wenn sie mögen. Nicht um sich zu beklagen, aber weil es ihre Erfahrungen sind.
Denn jeder von uns besitzt zwei Staatsbürgerschaften, wie Susan Sontag schreibt.
Erkennen wir das an.
Viele Grüße,
Thomas
¹ Sontag, Susan: Illness as Metaphor & Aids and its Metaphors. Penguin Books 1991, S. 5. (Deutsche Übersetzung der Passage von mir.)
² Biss, Eula: On Immunity. An Inoculation. Graywolf Press, 2014, S. 152.(Deutsche Übersetzung der Passage von mir.)
³ Randnotiz: Ich widerstehe mal dem Drang, an dieser Stelle einen riesigen Exkurs darüber aufzumachen, wie schwierig ich die aktuelle Renaissance der alten Stoiker, gerade auch in der ganzen Produktivitäts-Selbstverbesserungs-Blase online finde. Bemerkenswert, wie viele die Konklusionen der Stoiker feiern, ohne zwingend die Prämissen näher zu betrachten. Aber das ist mal ein eigenes Thema.
Ohjeh gute Besserung weiterhin!
Es gibt ja Menschen, die wie von der Tarantel gestochen reagieren, wenn (grade in der US) Betroffenen-Community von „vorübergehend nicht-behinderten Menschen“ gesprochen wird, um auszudrücken, dass unser toll funktionierender, ohne Einschränkungen nutzbarer Körper in 99% der Fälle eine Jungenderscheinung ist, die uns nicht erhalten bleiben wird. Hat vermutlich was mit Gefühlumwandlung zu tun, Angst zu Wut ist ja ein klassisches Beispiel. Aber immer wieder interessant zu beobachten trotzdem.
Ich habe auch gestern noch ein Video zum Thema Long Covid geschaut und die Kommentare darunter waren solch ein toxisches Säurebecken, das war gruselig.
Von Leugnern über „die Impfung war‘s!“ bis – in die andere Richtung – „die sollen sich mal nicht beschweren, mit genug Boostern wäre das nicht passiert“.
Ich vermute es gibt eigentlich keinen menschlichen Abgrund, den du nicht rund um Corona beobachten kannst.
Und danke dir – aber keine Sorge, vom Schnitzel nächste Woche mit euch wird mich das schon nicht abhalten 😉
Ja, das stimmt, Corona ist ein interessantes Fallbeispiel für vieles, frage mich, ob das eine Nebenwirkung der Eigenverantwortungsdebatte ist. Wo man über Verantwortlichkeiten reden will, hören viele ja automatisch Beschuldigungen raus, oder hätten gerne einen Sündenbock – das sieht man weniger (aber leider auch) bei „Schicksalsschlägen“ wie Krebs oder so…
Naja halbgeformter Gedanke, freue mich schon aufs Schnitzel!😋
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Auch von mir weiterhin gute Besserung. Vielleicht ein kurzer Stand von dir, wie es dir inzwischen geht?
Ich durfte dieses Phänomen „jetzt wo ich den Dunst ebenfalls durchschritten habe und gehöre dazu“ ebenfalls erfahren. 2013 ereilte mich ein Bandscheibenvorfall und in kürzester Zeit war ich umringt von Betroffenen und wundere mich doch sehr, wie weitreichend diese Erkrankung doch ist.
Ein kleiner Unterschied zu Covid ist hier, glaube ich, dass jeder weiß wie du dich verhalten musst, damit es dir besser geht.
Wie ist hier deine Beobachtung?