Hallo zusammen!
Das Stück beginnt. Der Vorhang öffnet sich, Aria vom Balanescu Quartet klingt aus den Boxen. Auf der Bühne: Mehrere Reihen Tänzerinnen, hautfarben angezogen, mit Markierungen auf dem Körper. Markierungen, wie man sie aus der Schönheitschirurgie kennt, mit idealen Taillen und perfekten Formen. Die Bewegungen folgen der bedrohlichen Musik und kulminieren dann, nach nicht ganz einer Minute, in einem schrillen, verzweifelten Schrei aus vielen Kehlen, bevor der Tanz sich fortsetzt.
Es mag nicht wie das klingen, was man erwartet, wenn man Das Hexenei hört, aber es war genau das, was wir am vorigen Wochenende auf die Bühne gebracht haben. Wir, also primär der Verein Kids on Stage, in Zusammenarbeit mit dem Ballett-Atelier in Stolberg, und das wiederum – unter anderem natürlich – auch gemeinsam mit mir.
Wie schon bei Das kleine Einhorn vor vier und Turbolento vor zwei Jahren, haben wir experimentiert mit Videoprojektionen als Bühnenhintergründe, und allgemein mit einer Menge multimedialer Elemente, um das neue Stück zu inszenieren. Auch wenn immer im Zentrum der Tanz steht.
Dabei bot Das Hexenei durchaus die Versatzstücke, die man von einem Tanzmärchen erwartet. Es gibt die Hexe, es gibt ihr Ei, es gibt mystische Kreaturen und letztlich eine Heldenreise.
Auch bot das Stück alle Elemente, die man generell von einem Schul-Ballett erwartet, mit Tänzern aller Altersgruppen vom Kind bis zu Erwachsenen.
All das war da. Aber auch noch mehr.
Das Spiel mit mehreren Ebenen hatte schon bei Turbolento eine starke Rolle eingenommen, eine Aufführung, die man vermutlich je nach Lesart als ulkige Reise zu einem phantastischen Zirkus, oder als wirklich harten Trip deuten konnte.
Der ganze Schönheitsaspekt, der schon in diesen ersten, oben skizzierten Sekunden drin steckte, dieses ganze Thema vom Einklang mit sich selbst, Zufriedenheit mit sich selbst, das ist wichtig, das ist aktuell und das geht, gerade drum, auch potenziell ans Mark. Es bietet aber auch genauso Potenzial für geradezu surreale Arrangements, wenn etwa der Metzger, der im letzten Tanz noch versuchte, eines fliehenden Schweines mit dem Hackebeil habhaft zu werden, nun angeworben wird, sich der Schönheitsoperation zuzuwenden.
Was wie jedes Jahr, ob Bühnenstück oder Open-Air-Tanzaufführung, auf jeden Fall gesagt sein muss, ist, wie großartig aufgehoben ich mich dort immer fühle. Die Technik-Verantwortlichen kenne ich ja jetzt schon einige Jahre, die künstlerische Leitung sowieso, aber auch diverse Schülerinnen begleite ich ja jetzt schon teils seit ca. sechs Jahren, und alleine für die vielen, wundervollen Leute lohnt sich die Zusammenarbeit.
Dass es dazu dann auch noch künstlerisch was hergibt, ist natürlich umso besser, aber alleine Teil eines solchen Projektes zu sein, ist ein Vergnügen.
Als letztes Beispiel vielleicht für heute: Eines der schönsten Spiele mit dem Thema der Inszenierung, noch über die vierte Wand hinaus, fand ich, was in der je letzten Viertelstunde vom Einlass geschah. Tänzerinnen der Gruppe stolzierten wie unfassbar arrogante Models durch die Reihen, und verteilten Flyer sowie Terminerinnerungen für Schönheitsoperationen an die großteilig verwirrt wirkenden Besucher. Ich saß zu dem Zeitpunkt jeweils mit der Kamera schon am Rand, hatte also alle Zeit der Welt, mit das Schauspiel anzugucken. Alleine die nonverbalen Reaktionen auf das arrogant-selbstbewusste Auftreten der stolzierenden Frauen, von Irritation bis Ehrfurcht, die Ratlosigkeit beim Anblick der Flyer … ich denke, wenn man die Zuschauer schon zum Nachdenken bringen kann, bevor etwas beginnt, was in weniger ambitionierten Händen halt auch „nur“ eine einfache Schulaufführung sein könnte, dann hat man auf jeden Fall etwas richtig gemacht.
Viele Grüße,
Thomas