Hallo zusammen!
Jetzt schrieb ich neulich schon über den All Hallow’s Read, also die von Neil Gaiman begründete Neo-Tradition, einander anlässlich des Kürbisfestes gruselige Literatur zu schenken, aber ich dachte mir, für Spät- oder Unentschlossene kann ich ja eigentlich auch noch ein paar Tipps zusammenstellen. Also habe ich mich mal für fünf Titel entschieden, die mir selbst sehr am Herzen liegen und diesen Artikel hier zusammengestellt. Bedenkt, dass einige zwar Klassiker sind, ich aber zumindest hoffe, hier und da ein wenig die eher unbekannten Varianten erwischt zu haben.
Cline, Leonard: Die dunkle Kammer
Fangen wir doch mal direkt mit einem kleinen Außenseiter an: In „Die dunkle Kammer“ wird der Pianist und Komponist Oscar Fitzalan in das abseits gelegene Herrenhaus Mordance Hall geladen, um dem Hausherren dort zur Seite zu stehen. Es geht um eigenwillige Experimente, doch auch um die anderen Bewohner des Hauses und vor allem um die Stimmung. Ich habe über die Jahre viel gelesen, aber wenige Bücher haben mich mit ihrer Stimmung so gepackt wie „Die dunkle Kammer“. Cline schrieb das Buch bereits 1927 und wäre wohl ganz vergessen worden, hätte Lovecraft ihn nicht in seinem Sachbuch „Literatur der Angst“ erwähnt. Doch so traurig es sein mag, dass er vielleicht nur überdauert hat, weil ein anderer sein Licht auf ihn warf, so ist es dennoch ein Segen, denn ohne viele Schocks und Gewalt ist es ein Buch, das man gelesen haben sollte.
Die deutsche Taschenbuchausgabe wurde von Andreas Diesel übersetzt und erschien bei Blitz. Sie ist heute nur noch antiquarisch zu haben, es gibt jedoch ein sehr günstiges eBook. Die englische Ausgabe, „The Dark Chamber“, ist ebenfalls noch antiquarisch zu haben.
Curran, Tim: Der Leichenkönig
Okay, ändern wir den Tonfall mal. Tim Currans „Der Leichenkönig“ ist ein makaberes und finsteres Buch um zwei Leichendiebe. Im 19. Jahrhundert verdienen sich Samuel Clow und Mickey Kierney ihren Lebensunterhalt damit, Leichen aus dem Erdreich zu ziehen und an Fakultäten und andere Interessierte zu verkaufen. Sie sind Erweckungsfarmer und leben am unteren Ende einer Gesellschaft, der es vermutlich zu jener Zeit in keiner Schicht gut ging. Dieses Elend wird von Currans Buch exzellent eingefangen, die Sprache der Erzählung ist außergewöhnlich und erschafft eine ganz eigenwillige Stimmung. Da liest man etwa: „Jemand hatte den bleifarbenen fetten Unterbauch des Himmels aufgeschlitzt, und nun floss sein Blut zur Erde. Es fiel und wurde zu Regen, welcher jegliche Farbe aus der Welt wusch, bis sie zitternd und tropfnass dalag, gehüllt ist ein Dutzend Grautöne.“ Ist Geschmacksache, aber ich finde es unendlich gut.
Und, da will ich ehrlich sein, ich bin voreingenommen, denn die deutsche Ausgabe, erschienen bei Atlantis, wurde von meinem Kumpel Ben Sonntag übersetzt und von mir lektoriert. Dennoch: Wer hier regelmäßig mitliest, weiß, dass ich nur selten so explizit auf Werke verweise, an denen ich mitgearbeitet habe – den „Leichenkönig“ empfehle ich immer wieder gerne von Herzen. Wahlweise gibt es wie gesagt die deutsche Ausgabe, wenngleich nur noch antiquarisch – ein Satz, der hier nicht das letzte Mal gefallen ist –, oder aber die englische Ausgabe, die allerdings kaum noch zu bezahlen ist.
Hill, Susan: Die Frau in Schwarz
Dieses Buch war ein Zufallskauf, irgendein „Drei für den Preis von Zweien“-Deal auf Amazon meine ich, und was ein guter Kauf es war! Einmal mehr kehren wir zum „einsamen Herrenhaus“-Subgenre zurück. Der Anwalt Arthur Kipps reist, um den Nachlass einer verstorbenen Klientin zu ordnen, in ihr Anwesen tief im Moor. Dort aber, man ahnt es bereits, warten ganz unerwartete Schrecken und Arthur kommt schnell an den Punkt, an dem er sich fragen muss, was wirklich um ihn geschieht.
Hills Buch ist eine ganz und gar klassische Schauererzählung – und dies nicht durch Zufall. Selbst der Sprachstil ist eine perfekte Adaption klassischer gothic fiction; das Buch fühlt sich niemals veraltet, oftmals aber klassisch an. Mich erinnerte es vom Stil her eher an Bücher wie „Wuthering Heights“ als an kontemporäre Horror-Autoren, obschon Hill das Buch erst 1983 verfasst hat. Es gab seither zwei Verfilmungen, von denen die erste Fassung mit Adrian Rawlins in der Hauptrolle 1989 hierzulande eher unbemerkt blieb, eine Neuverfilmung 2012 mit Daniel Radcliff hingegen sehr erfolgreich war. Ich kenne beide Filmfassungen nicht, insofern muss ein Urteil da ausbleiben – anders als bei dem Buch, das ich sehr empfehlen mag.
Im Zuge des neuen Films ist, übersetzt von der maßgeblichen Lore Straßl, eine ordentliche deutsche Ausgabe bei Knaur erschienen. Das Original ist als „The Woman in Black“ ebenfalls noch gut im Laden zu bekommen.
King, Stephen: Nachtschicht
Unter Horror-Fans definitiv ein Klassiker, so ist „Nachtschicht“, eine Sammlung von 20 Kurzgeschichten von Stephen King, glaube ich aus dem Mainstream weitestgehend abgetaucht. Dabei ist es, wenn man das Buch einmal liest, eine geradezu beeindruckende Auswahl an Texten; viele, viele King-Geschichten, die man auch etwas durch ihre Verfilmungen kennt und die alle ihren Ursprung hier genommen haben. „Der Wäschemangler“, „Manchmal kommen sie wieder“, „Der Mauervorsprung“, „Der Rasenmähermann“ und „Kinder des Mais“ sind nur einige davon. Doch auch andere Texte in dem Buch, etwa die Lovecraft-Reminiszenz „Briefe aus Jerusalem“, sind großartig. Ein paar Ausrutscher hat das Buch auch, „Lastwagen“ etwa ist sozusagen eine Apokalypse, in der wir die Welt nicht an Zombies, sondern an beseelte LKW verlieren, und liest sich auch im Text so albern, wie das klingt. Dennoch: Das hier ist geradezu das essenzielle King’sche Frühwerk, gebündelt auf etwas über 400 Seiten. Wer also eher Abwechslung und ein breiteres Spektrum für seine Halloween-Lektüre sucht, der mag hier richtig sein.
Die deutsche Ausgabe, die zumindest mir vorliegt – sie wurde mir letztes Jahr zum All Hallow’s Read geschenkt, passend also –, wurde von diversen Übersetzern übertragen; auffällig ist dabei, dass „Kinder des Mais“ sogar von einem da noch jungen Wolfgang Hohlbein übersetzt wurde. Die deutsche Ausgabe ist problemlos zu kriegen, ebenso wie das englische Original „Night Shift“.
Saul, John: Die Blackstone-Chroniken
Zum Schluss noch ein sozusagen vergessener Vertreter einstigen Mainstreams. „Die Blackstone-Chroniken“ von John Saul wurden ursprünglich in Form von Kurzromanen zu je etwa 125 Seiten veröffentlich. „Die Puppe“, „Das Medaillon“, „Der Atem des Drachen“, „Das Taschentuch“, „Das Stereoskop“, und „Das Irrenhaus“ bilden zusammen einen Zyklus, der später dann auch als dicker Sammelband veröffentlicht wurde. In jedem Buch wird ein Geschenk thematisiert, was unverhofft in das Leben einiger Einwohner des kleinen Ortes Blackstone tritt und im Grunde jedes Mal eine Tragödie nach sich zieht. Das Buch ähnelt darin ein wenig Kings „Unsere kleine Stadt“, allerdings ergibt sich schon durch die viel untergliederte Erzählweise der sechs Einzelbände und die starke Fokussierung auf die Einzelschicksale eine ganz andere Form von Geschichte.
Dennoch, mehr als nur ein roter Faden zieht sich durch alle Teile und im Zentrum des ganzen scheint die lange verlassene, verfallende Irrenanstalt des Ortes zu stehen. Somit haben wir auch dieses klassische Sujet des Horrorgenres hier noch auf der Liste untergebracht.
Wo ich gerade die ersten drei Titel auf meiner Liste jeweils aufgrund ihrer Stimmung und durchaus auch ihrer sprachlichen und erzählerischen Wucht ausgewählt habe, ist Saul ebenso wie King eher ein Vertreter des pulpigen Horrors. „Die Blackstone-Chroniken“ waren mal eine klassische Einstiegsdroge ins Horror-Genre, sind jedoch mit der Zeit völlig aus dem Fokus geraten; lesenswert sind sie aber dennoch noch immer. Übersetzt von Joachim Honnef ist die deutsche Ausgabe zwar vergriffen, aber immens günstig zu haben, während die englische Ausgabe weiterhin im Druck ist.
So, fünf Empfehlungen von mir für euch.
Mir hat das Spaß gemacht – Gott, manchmal vermisse ich das Rezensieren.
Wie dem auch sei: Ich hoffe, für den einen oder anderen war hier noch etwas dabei, was er noch nicht kannte, oder vielleicht etwas, was er vergessen hatte, immer mal lesen wollte oder was ihn auf irgendeine andere Weise ein wenig für Halloween vorgeheizt hat. Ich wünsche euch auf jeden Fall viel Freude bei schauriger Lektüre zu dunkler Stunde, und melde mich meinerseits dann die Tage mal wieder; entweder mit Neuigkeiten zu Schleier aus Schnee oder zum deutschen Dumarest – mal sehen, wozu ich zuerst komme.
Viele Grüße,
Thomas
Hat dies auf Literatur- und Medienblog von Nomadenseele rebloggt und kommentierte:
Ich verweigere mich Halloween grundsätzlich, ganz einfach weil es nur ein Kommerzfest ist, welches in Deutschland keine Wurzeln hat. Aber gruselige Bücher gehen immer :-) .