Nutzloses, aber tolles Wissen I: Meritokratie und Gemeinschaftskreativität

Hallo zusammen!

Ich hab mir für diese Woche mal was Neues überlegt und beschlossen, im Zuge der kommenden sieben Tage zwei Phänomene bzw. Konzepte vorzustellen, die man zwar vielleicht so in der Tiefe im Alltag nicht braucht, aber die mich dennoch faszinieren.

Wer hier länger schon mitliest, der weiß ja, dass ich unter anderem im LARP-Bereich Cons organisiere. Das ist immer eine spannende Konstellation, gerade wenn es darum geht, grundlegende Geschichten für die einzelnen Veranstaltungen – oder für die übergreifenden Handlungsbögen der Tröte – zu gestalten. Denn da sitzen wir dann mit vier bis ca. zehn Mann und versuchen, aus ein paar rudimentären Prämissen eine schöne, detaillierte Geschichte zu machen.
Der Prozess ist oftmals sehr dynamisch, um nicht zu sagen turbulent, doch am Ende finden letztlich alle Pfade der veränderten, verworfenen und später gefundenen Ideen zusammen und bilden ein „Großes Ganzes“ im besten Sinne. Lange habe ich nach einem Begriff gesucht, um das, was wir da tun, irgendwie zu erfassen, und letztlich war es der Nerdist Writer’s Panel Podcast, der mich auf den Begriff brachte, um den es mir gehen soll.

Meritokratie. Eigentlich stammt die Bezeichnung aus der Politikwissenschaft. Gemeint ist ein Aufstiegs- bzw. Herrschaftssystem, bei dem die Taten und Verdienste eines Einzelnen vor anderen Kriterien Vorrang erhalten. Der Begriff der „Meriten“, den man ja auch heute noch zumindest landschaftlich kennt, schwingt da mit. Aber wenn man das jetzt etwa in Suhrkamps „kleinem Staatslexikon“ nachschlägt, fallen da auch so Begriffe wie „Leistungsgesellschaft“ und „Leistungsprinzip“, was schon wieder grimmiger klingt als das, worauf ich eigentlich hinauswollte.

Es ist ein wenig so, wie es immer mit solchen Fachbegriffen zu sein scheint, wenn sie gerade im englischsprachigen Raum nur genug verwendet werden: Sie werden allgemeiner genutzt. Wenn im Medienbereich dort von meritocracy die Rede ist, dann ist vielmehr ein etwas breiterer Ansatz gemeint. Schreibteams, sei es nun für Fernsehserien oder für LARPs, bestehen zunächst mal aus Gleichen unter Gleichen. Das mag im Detail mal schwanken, aber sofern nicht eine kontrollheischende Vereinsverwaltung oder etwa ein sich selbst offenbar überbewertender show runner im Spiel ist, so kann zunächst einmal jeder seine Meinung äußern.
Und diese Meinung gewinnt generell erst einmal, indem sie die Mehrheit der Leute im Raum begeistern kann. Das kann unterschiedlichste Ursachen haben, von inhaltlicher Brillanz bis zu blanker Realisierbarkeit, aber was „den Raum“ überzeugt, kommt weiter. Ich finde das einen ziemlich schönen und angenehmen Arbeitsprozess, auch jetzt nach Jahren der Praxis. Sicher, nicht immer ist es die eigene Idee, die das Rennen macht. Klar, manchmal mag es sogar eine Idee sein, die man selber gar nicht mal so gut findet. Aber schlussendlich ist es dieses Miteinander, aus dem, wenn man sich mit Leuten umgeben hat, mit denen man ganz grundsätzlich auf einer Wellenlänge liegt, fast von selbst ein in jedem Fall interessantes Produkt entsteht.

Der Begriff aber, so schön ich ihn an sich finde, kommt aus einem dunkleren Kontext. Denn obschon die Idee viel, viel weiter zurückreicht, wurde er 1958 von Michael Young in „Rise of the Meritocracy“ geprägt, wo das System – hier wird der merit übrigens über den Intelligenzquotienten bestimmt – zwar grundlegende, utopische Züge aufweist, aber schlussendlich eine vollständig elitären Führungselite hervorbringt, die das Volk dann stürzt.

Wer also für das generelle Konzept, so wie ich, schon immer mal nach einem Ansatz suchte, der kann vielleicht ebenfalls mit der Definition von „meritokratischer Arbeit“ fortfahren. Wer es aber tut, der sollte zugleich den Worthintergrund im Kopf behalten und sich nicht wundern, wenn er beispielsweise mit einem Politikwissenschaftler oder Philosophen redet und der etwas skeptisch reagiert, wenn man ihm sagt, dass man sich nach mehr Meritokratie sehnt.

Viele Grüße,
Thomas

PS: Übrigens nimmt als realer Staat tatsächlich Singapur für sich in Anspruch, meritokratisch geprägt zu sein; der Realitätsgehalt dieser Aussage ist jedoch umstritten. Leider ist das einzige Fünkchen Information über Singapur, dass ich habe, William Gibsons brillanter Artikel Disneyland and the Death Penalty.
Brillant, wie gesagt, aber auch 20 Jahre alt.
Lesenswert aber sicher dennoch …

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