Haben Sie schon mal über die Einbände von Taschenbüchern nachgedacht?

Oder:

Gibt’s dieses Paperback auch als Taschenbuch?

Hallo zusammen!

Die Tage wurde ich via Facebook auf einen schönen Artikel aufmerksam, der bei Phantanews.de unter dem Titel „Vom Taschenbuch zum Paperback — Evolution oder Abzocke?“ erschienen ist, und der einmal mehr auf ein spannendes Phänomen hinweist, das ich hier eh mal ansprechen wollte.

Generell hat es sich ja in Deutschland glaube ich durchgesetzt, dass eine ganze Reihe Begriffe, die grob das gleiche Produkt bezeichnen könnten, sehr willkürlich in einen Topf geworfen werfen. Begriffe wie Taschenbuch, Broschur und Paperback etwa. Insbesondere die scheinbare Gleichsetzung von Taschenbuch und eben Paperback ist es, die nun derzeit für eine nicht ganz unwesentliche Verwirrung sorgt.
Denn de facto wird dort heute ein Unterschied gemacht. Schaut man beispielsweise bei den Spiegel-Bestsellern vorbei, so sieht man, dass das Ranking mittlerweile drei Geschmacksrichtungen hat – Hardcover, Taschenbuch und eben auch Paperback.

Ich will mich jetzt aber auch gar nicht in Etymologie verlieren. Die Versuche, deutsche und englische Buchkategoriebegriffe zueinander abzugrenzen sind im Grunde genauso zum Scheitern verurteilt wie etwa die Begriffe der Filmfachsprache; es gibt auf beiden Seiten bei zu vielen Begriffen keine ordentliche Trennschärfe und die Begrifflichkeiten an sich sind auch sozusagen nicht alle 1:1 äquivalent, sondern in ihren Bedeutungsräumen leicht verschoben, sodass das eine Schlacht ist, die ich gerne anderen Feldherren überlasse.
Worüber man aber ja durchaus mal reden kann ist der De-Facto-Zustand heute.

Wer die obige Bestsellerliste anschaut, findet schnell einen ersten Indikator, wo die Unterschiede liegen. Die gerade, als ich das tippe (KW33) enthaltenen Taschenbücher rangieren preislich zwischen 8,99 Euro und 9,99 Euro, die Paperbacks hingegen von 12,99 Euro bis 14,99 Euro. Und im Grunde liegt da auch schon der Hund begraben.
Die Idee hinter den Paperbacks ist, dass es sich um eine Veröffentlichung von höherer Wertigkeit handelt, die aber eben nicht direkt den Sprung zum Hardcover macht, das ja preislich auch direkt noch mal härter zuschlägt.  Insofern sind sie nicht einfach nur teurer, sondern bieten halt auch mehr für ihr Geld. Die Frage ist halt aber natürlich bei so etwas immer, ob das nun einen Mehrwert darstellt, für den man willens ist zu zahlen. Wenn ich jetzt, alle Fragen der Übersetzungsqualität außen vor, sehe, dass die neue Ausgabe von George R.R. Martins „Die Herren von Winterfell“ mit 576 zu früher 544 Seiten etwas umfänglicher geworden ist, das Buch dafür einen Zentimeter höher, fast einen Zentimeter dicker, aber eben auch 3 Euro teurer ist, dann ist die Frage, ob in dieser „wertigeren“ Ausstattung echt auch Mehwert steckt, oder ob ich nur einen Fall von „Viel hilft viel“ vor mir habe.
Als Terry Pratchetts „Lords und Ladies“ 2000 als Taschenbuch erschien, kam das gute Stück 8,50 Euro. Die aktuelle Ausgabe kostet in besserer Ausstattung dann mal eben 14,99 Euro. Das ist ebenfalls ein harter Anstieg.

Aber was ist diese bessere Ausstattung denn nun?
In der Regel ist das Zauberwort „Klappbroschur“. Broschur, generell, beschreibt einen nicht-festen Einband bei einem Buch; eine Broschur kann also ein Taschenbuch sein, so scheint es. Das kommt wie so vieles aus dem Französischen und kommt von „brocher“, von dem sich etwa auch die deutsche „Brosche“ ableitet und was so viel wie heften oder durchstechen bedeutet. Es ist, eng betrachtet, also ein Druck, der in einen Kartonbogen geheftet wird.
Die Klappbroschur ist aber schon einige Evolutionsstufen weiter und beschreibt relativ spezifisch etwas größere, zumeist auch in festeren Karton gebundene Bücher, deren Buchdeckel aber eben nicht einfach am Rand abschließen, sondern umgeschlagen sind, ein wenig wie die „Klappen“ am äußeren Rand von Schutzumschlägen bei gebundenen Büchern. Oftmals sind solche Einbände dann auch von innen ebenfalls bedruckt, manchmal sinnvoll mit einer Landkarte oder weiteren Informationen, manchmal aber auch weniger pragmatisch mit einem Floralmuster oder dergleichen. Außerdem neigen Klappbroschuren dazu, sich eher am oberen Ende der Größenordnung soft eingebundener Bücher zu bewegen. Wenn wir hier von Mehrwert sprechen, dann geht es also vornehmlich um ein schickeres Buch. Worum auch sonst – Text bleibt ja eh Text.

Sind nun Paperbacks reine Abzock-Manöver? Nein, zumindest nicht so plump, wie das bisher klingen mag. Aber um ihre anderen Zwecke zu sehen, muss ich kurz ausholen:
Der alte Zyklus eines Buches war relativ klassisch. Erstveröffentlichungen erfolgten im Hardcover, gefolgt von einer Taschenbuchausgabe, die dann nach einiger Zeit erschien. So zumindest bei (Achtung, Ironie) „der relevanten Literatur“; in den Nischen von Phantastik und SciFi war das schon immer was anders, aber das sprengt hier den Rahmen. Auch außen vor seien an der Stelle mal Buchclubs wie Bertelsmann oder eigenartige Konstellationen wie Weltbild gelassen; also Händler, die gleichzeitig als Verlag fungieren und durch lizensierte, dann exklusiv bei ihnen zu beziehende Sonderausgaben günstigere Angebote machen können, ohne mit der deutschen Preisbindung in Konflikt zu geraten.
Fakt ist aber, dass das Nicht-Hardcover-Buch heute auch für viele der Nicht-Sparten-Erstveröffentlichungen ein interessantes Format ist. Buchpreise sind hoch, der Kunde ist kniepig, insofern ist es, wenn man einen neuen Titel am Markt platzieren will, nicht immer ratsam, auf die teuren gebundenen Titel zu setzen. Das führt aber umgekehrt dazu, dass potenzielle Neuveröffentlichungen in einem Sumpf zu versinken drohen, der sich Taschenbuchmarkt nennt.
Zur Orientierung: Das Gesamtverzeichnis 2010 der beim Verlagshaus dtv zu dem Zeitpunkt lieferbaren Titel (sorry, hab keine aktuellere Ausgabe hier) ist ein Taschenbuch mit 336 Seiten. 336 Seiten mit einer relativ engen Listung der lieferbaren Titel in kleiner Schrift auf drei Spalten. Exemplarisch, aber eben auch nur die Übersicht eines Verlages. Die Listen im Spiegel sind eine Top-20 – ich denke, das Übersättigungsproblem – oder nennen wir es Überschattungsproblem – ist offenkundig.
(Beiseite gesprochen: Es zeigt aber auch mal wieder sehr schön, wie unfassbar leer das Argument der Publikumsverlage ist, Selberveröffentlichungen und Kleinverlage würden die Übersichtlichkeit des Buchmarktes verzerren. Ja, genau.)
Wenn nun aber diese dritte Liste beim Spiegel existiert, die nun Klappbroschuren listet, dann entsteht somit eine neue Bühne. Eine, deren Sinn und Zweck der Leser vielleicht nicht so richtig sieht, und die ihn vielleicht auch verwirrt in Abgrenzung zu der Taschenbuch-Liste, aber rein marktwirtschaftlich eine praktische Bühne, da man darauf die potenziell erfolgreichen Newcomer präsentieren kann.
Insofern geht es natürlich ums Geld, aber weit über die paar Euro Mehrpreis pro Buch hinaus gedacht.

Natürlich kann das recht fatale Folgen haben. Wer mal in einer Buchhandlung ein wenig durch die Klappbroschuren schaut, der wird recht schnell welche finden, die mit jovialen 3 bis 5 cm Abstand zwischen Seitenrand und Text sowie Schriftgrößen rund um die 14pt aufwarten. Klar, wenn das Buch dick und opulent sein soll, dann muss das ja irgendwo herkommen. Wer sich hingegen die Taschenbücher früherer Jahre anguckt, der wird eine beachtliche Zahl von Titeln unter 300 Seiten vorfinden. Eine Gattung, die ich zunehmend vermisse. Ist nun aber der Text etwas, was eher in letztere Form passen würde, das Zielmedium aber auf Opulenz gebürstet, dann muss man eben strecken.

Aber es gibt natürlich auch noch weitere Aspekte, die ich hier noch anreißen, aber im Rahmen eines einzelnen Beitrags gar nicht mehr vertiefen kann. Aber diese Paperbacks und Klappbroschuren betreffen indirekt auch den eBook-Markt. Wie?
Ich habe vor einer Weile einen Vortrag einer Hauptlektorin eines größeren, deutschen Verlages gehört; ich muss ja hier nicht wild mit Fingern auf Leute zeigen. Aber dort wurde erklärt, dass sich der Markt insgesamt darauf ausgerichtet habe, dass der eBook-Preis ca. 10% unter dem Preisniveau der günstigsten, verfügbaren Veröffentlichung angesiedelt sein solle, um wirtschaftlich zu sein. Nehmen wir diese Zahl mal als gegeben.
Durch diese gedankliche, preisliche Kopplung des digitalen Buches an das günstigste gedruckte Buch entsteht natürlich eine Synergie, wenn man es schafft, den Preis des gedruckten Buches nachhaltig in seiner Gesamtheit etwas zu heben.
Das eBook einer Erstveröffentlichung im Taschenbuch für ca. 10 Euro würde ca. 9 Euro kosten; das letztlich identische eBook zu einer Klappbroschur für 15 Euro liegt alldieweil bei 13,50 Euro.
Wie gesagt, wenn man der Rechnung und Methode aus dem Vortrag folgt.

Was man außerdem sagen kann, ist, dass die Idee von besseren und schlechteren Taschenbüchern/Broschuren/Softcovern an sich nicht neu ist. Die alten, deutschen Pratchett-VÖs gab es teilweise auch in zwei Größen, beide kein Hardcover, aber die eine dennoch deutlich wuchtiger als die andere, auch preislich. Und wenn man so richtig, richtig weit zurückgeht, dann kann man historisch bedingt beispielsweise mal in die andere Richtung zu dem Rowohlt-Imprint rororo schauen. Kennt man bis heute von Buchdeckeln her; de facto steht das aber für „Rowohlts Rotations-Roman“, eine Veröffentlichungsform um den Lesedurst der Menschen in Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg möglichst schnell und breit befriedigen zu können und bei der die Texte eben mittels des Rotationsdruckverfahrens auf Zeitungspapier gezogen wurden.
Was aber neu ist, ist diese Systematik, die eben bis hin zur Klassifikation in den Bestsellerlisten reicht.

Wer nun hofft, dass ich hier abschließend heftig gegen das Bepreise vom Leder ziehen würde, den muss ich aber enttäuschen. Auch ich kaufe meine Bücher lieber für weniger als mehr Geld und ich persönlich bin kein Freund von Klappbroschuren; im Gegenteil, da ich mein jeweils aktuelles Buch meist in der Tasche dabei habe, ist weniger Last eigentlich eher der Pluspunkt. Aber andererseits sind Buchpreise zwar gefühlt auf Rekordhoch, aber dennoch noch immer machbar; und immerhin werden Autorenmargen in der Regel ja auch vom Preis – gut, oft vom Nettoverkaufspreis, aber anderes Thema – abgeleitet und sind eh nicht so hoch. Insofern gehen die wenigstens nicht leer aus sondern kriegen insgesamt was mehr.

Aber ich denke es ist wichtig, dass man weiß, wie das ganze System funktioniert. Und sei es nur, um selber entscheiden zu können, welchen Preis man für welches Buch nun fair oder unfair findet.

Viele Grüße,
Thomas

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