Mal wieder einige Gedanken zum Thema LARP …

… zu Immersion, Angst, Erlebnissen und Erfahrungen

Hallo zusammen!

Stellt euch folgendes Szenario vor:

Man schickt euch abends ohne zu genaue Infos einen Waldweg entlang, auf dem ihr nach einer Weile auf ein tatsächliches Nachtlager, mit Zelten und allem, stoßt. Dort, um eine Feuerschale, sitzen geschundene Wachleute, denen eine Karawane Irrer entflohen ist. Ihr beschließt also zu helfen und irrt in der Dunkelheit durch das unbesiedelte Gebiet, um die Verrückten einzufangen, was teilweise nicht ganz harmlos verläuft. Wolfsgeheul aus menschlichen Kehlen, immer die Ungewissheit, was außerhalb des Feuerscheins gerade geschieht.
Die wirkliche Geschichte beginnt aber erst am kommenden Tag, an dem ihr über mehrere Kilometer durch das Gelände streift, einen Fluss entlang, unterwegs Pilger, Bauern und Händler trefft, dort dann euer Ziel, ein Kloster, erreicht und feststellt, dass dort auch vor allem Irre behandelt werden. Und noch etwas anderes unter der Oberfläche schwelt.
Inmitten einer Horde dieser großteilig harmlosen, aber auch verstörenden Gestalten erfahrt ihr aber nach und nach von einem dunklen Geheimnis, seht einen Eremiten durch die Wälder streifen und vermutet eine Gefangene im Mauerwerk des Kellers. Im Laufe des Tages kriecht ihr durch enge, schleimige Gänge, findet Freund und Feind unter den geistig Verwirrten, werdet nach Eintreffen des Hausherren verhaftet, seht euch mit einer eigenartigen, fremdartigen Maschine konfrontiert, müsst bei neuerlich vollkommener Dunkelheit in einem Wald verborgene Knotenpunkte finden und wisst, dass letztlich, bevor der Morgen naht, eure Reise ein Ende finden wird. So oder so.

So ungefähr könnte man vielleicht grob beschreiben, was wir am vorigen Wochenende recht ambitioniert umzusetzen versucht habe. „Wir“ umfasst in diesem Fall etwas weniger Anteil von mir als bei anderen Sachen, über die ich hier kurz schrieb, aber als Ko-Orga war ich auch dabei.
Vieles von dem, was wir versucht haben, war denke ich in der Form für uns entweder Neuland oder eine konsequente Weiterentwicklung von Dingen, die wir schon mal angetestet haben. Die lange Reise etwa, gepaart mit einem GPS-Sender bei den Spielern, war definitiv neu und auf jeden Fall faszinierend. Hat nicht ganz reibungslos funktioniert, da weder das Handy-Netz noch der Sender sauber liefen, aber dennoch. Vor allem aber das in sich bestehende Geflecht einer Welt ist denke ich bemerkenswert – alle „Insassen“, alle Pfleger hatten stark ausgearbeitete Rollen, es gab einen Tagesablauf innerhalb des Klosters. Die Spieler konnten sich frei bewegen, frei ihr eigenes Tempo wählen, da sie nicht durch vorgefertigte Szenen geführt wurden, sondern sich vielmehr in diesem Umfeld herumtreiben konnten.
Sicherlich gab es gewisse Ankerpunkte und Möglichkeiten, die Dramaturgie anzuheizen, aber der Schwerpunkt lag ganz klar auf möglichst hoher Freiheit in einer möglichst funktionierenden Welt.

Und auf eine ganz kuriose Weise ist es doch spannend, wie das LARP da in gewisser Hinsicht sowohl die unterschiedlichen Herangehensweisen bei Videospielen, aber auch in der Literatur auf eigene Weise reflektiert. Bei den Videospielen in Form der Unterscheidung zwischen eher linearen Titeln (wie „Half-Life“ oder etwa die klassischen Adventures) und den sog. Sandbox-Titeln (wie „GTA“ oder „Red Dead Redemption“), bei der Literatur vielmehr in der Frage der Herangehensweise, ob man nun eher wie Tolkien eine Welt entwirft und darin eine Geschichte erzählt oder ob man eher wie Weis und Hickman eine Geschichte erzählt und darum eine Welt entwirft. Das faszinierende daran finde ich, dass diese Parallelität bzw. diese Frage natürlich von einem interaktiven Medium wie LARP zu einem anderen interaktiven Medium wie Videospielen (oder Pen&Paper-Rollenspiele, ohne Frage) übertragbar ist, aber in Abwandlung eben auch zumindest zum schöpferischen Akt eines nicht interaktiven Mediums wie der klassischen Textform referenzierbar ist.
Ich bin mir selber noch unsicher, wohin die Überlegung führen mag, finde sie aber zweifelsohne interessant.

Was ich wiederum neuerlich nur betonen kann, ist, dass ich kein Medium im weiteren Sinne kenne, was stellenweise einen solchen Immersionsgrad wie das LARP aufbringen kann. Ich spiele derzeit „Alan Wake“ auf der X-Box 360, ein hervorragendes Spiel über das man viel schwärmen kann (Holger etwa hat das hier sehr schön getan) und das sehr viel Stimmung aus einer markanten Atmosphäre von „allein im dunklen Wald“ zieht.
Aber, ganz ehrlich, nichts transportiert diese Atmosphäre so wie der Fakt, wirklich allein in einem dunklen Wald zu stehen. Auch wenn die Gefahren da letztlich auch nur fiktionaler Natur sind. (Wobei eine Freundin und ich tags darauf anhand von Spuren unsere These erhärten konnten, dass die Geräusche, die wir vernahmen, zu Wildschweinen gehört haben – aber das ist ein anderes Thema.)
Es gab eine Szene relativ gegen Ende des Cons, als ich mit den sechs Spielern gemeinsam wieder aus dem Wald auf das Haus zuschlich, in dem wir unser Kloster errichtet hatten. Vor dem Haus stand eine weitere einen Nichtspielercharakter darstellende Frau und verkörperte eine Irre. Ich kenne besagte Frau, sie ist unfassbar nett und immer eine Freude zu treffen. Aber wie sie alleine dort draußen stand, nur eine dunkelgraue Silhouette vor fastschwarzen Schatten, und mit einem untypisch hellen Stimmchen wirres Kauderwelsch sang, war eine derart unheimliche und Gänsehaut erregende Erfahrung, dass ich davon sicherlich eines Tages noch in geschriebenen Texten zehren werde.
Aber das sagte ich ja auch schon einmal: Ich glaube noch immer, bei allem Erfolg Karl Mays und seiner Beschreibungen eines Landes, in dem er nie war, daran, dass es einem Schreibenden nur dienen kann, wenn er kennt, wovon er schreibt. Und da ist LARP ebenfalls ein tolles Vehikel – eine Chance, ein paar Erfahrungen zu sammeln, die man in anderen Konstellationen gar nicht haben wollen würde.
Irre im Wald, beispielsweise.

Von Freunden auch als anthroposophische Selbstfindungsaquarelle verschrien – Szenendeko für das Kloster im Wald

Vielleicht noch abschließend zum einen der völlig subjektive Hinweis, dass es ein phantastisches Wochenende und eine der besten LARP-Erfahrungen der letzten Jahre für mich war, und zum anderen nebenstehend abgebildet ein weiteres Kleinod, das ich beigesteuert hatte, um die „Hospital“-Atmosphäre des Ortes etwas zu erhöhen.
Immerhin war es ja auch im echten Leben damals als Zivi einmal an mir, sicherlich 40 dieser typischen Krankenhaus-Flur-Gemälde aufzuhängen.
Die nebenstehenden zwei Bilder zeigen je eines unserer fiktiven heiligen Symbole, gedruckt mit denselben Linolplatten, die ich zusammen mit Lina für das kommende Buch Hylträa angefertigt habe. Der Untergrund aber ist in Aquarellfarben gemalt, der Text auf der einen ist rote Tusche.
Auch ein netter Nebeneffekt vom Hobby – man hat immer mal wieder einen Anlass, das Kunsthandwerk auszuleben.

Viele Grüße,
Thomas

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