Hallo zusammen!
Der dritte von Christoper Nolans Batman-Filmen läuft ja derzeit in den Kinos und hat in etwa die Mischung an Reaktionen ausgelöst, mit denen ich gerechnet habe. Es gibt Leute, die den Film lieben, und zwar in reflektiert und unreflektierter Form, es gibt Leute, die nicht begeistert sind und den Finger nicht genau darauf legen können, weshalb und natürlich gibt es auch viele, die sich das Maul zerreißen, wie sehr die Reihe nach Teil 3 doch abgestürzt ist.
Ich selber will gar nicht so sehr in die Kritik einsteigen, denn das ist nicht mein Thema; eine wirklich schöne Darstellung beider Seiten fand ich allerdings die „Video Review“ der ‚Armchair Directors’, die bei Youtube zu finden ist: Teil 1 und Teil 2.
Achtung – Spoiler in dem Video!
Aber die Art und Weise, wie an vielen Orten maßlos auf den Film eingedroschen wird, auf Christopher Nolan, auf Christian Bale, und auf die ganze Reihe, die plötzlich auch rückwirkend nie auch nur einen guten Superhelden-Film geboten habe, hat mich mal wieder etwas nachdenklich gestimmt. Über die Lust an explizit nicht konstruktiver Kritik sprachen wir hier ja neulich erst.
Bei denselben beiden Videorezensenten stieß ich aber im Grunde völlig unabhängig davon vorgestern auf einen Satz, der mich ebenfalls nachdenken ließ, aber sozusagen in eine andere Richtung führte. Einleitend zu ihrer „Best of 2011“-Übersicht sagt Michael Mercy dort:
„We’re not gonna put them in order, we’re not gonna do top 10 lists, because we’re not movie critics, we’re movie fans.“
Warum hat mich das nachdenklich gestimmt?
Nun, die beiden produzieren ja „reviews“, also Rezensionen, was sie, im ewigen Spiel der Hin- und Rückübersetzung natürlich zu „Rezensenten“ macht, also auch „critics“. Andererseits muss man vielleicht ein wenig mehr auf die Begriffswelt eingehen, die gerade in den Bereichen Film und Internet – an sich unabhängig voneinander, aber irgendwie doch vernetzt – mittlerweile entstanden ist.
Ich bin da ja selber durchaus Teil von, wenn man bedenkt, dass ich seit mehr als einem Jahrzehnt jetzt Rezensionen auf der DORP veröffentliche. Ich kann akut gar nicht sagen, wie viele es sind, aber alleine 91 Filme habe ich derzeit dort besprochen; was nur ein Bruchteil des Gesamtumfangs ist. Im Grunde weiß ich also denke ich durchaus, mich in die Herangehensweise eines Rezensenten zu versetzen.
Aber ich denke, „critic“ ist spezifischer. Gerade im Bereich der Internet-Videos haben sich mittlerweile eine ganze Generation von Machern gefunden, wie etwa der Nostalgia Critic oder der Angry Video Game Nerd. Was viele von ihnen verbindet, ist gewissermaßen eine grundlegende Anti-Haltung zu dem besprochenen Material. Um nicht Hass zu sagen. Das betrifft in den Fällen nicht die Macher, aber das bedingt natürlich den Ton. In einem Maße, dass etwa der Angry Video Game Nerd seine positiven Videos sogar außerhalb dieses fiktiven Charakters unter seinem wirklichen Namen veröffentlicht, oder dass eine explizite Parodie seiner Figur mittlerweile in Form des Happy Video Game Nerds sogar eine eigene Position im Netz erlangt hat. Das ist deshalb spannend, weil eine solche Typisierung gar nicht möglich wäre, wenn nicht beide absolut extreme Pole im Spektrum jeweils für sich in Anspruch nehmen würden.
Aber es ist kein Internet-Phänomen, von dem wir hier sprechen; jedenfalls nicht direkt. Ich denke für viele Amerikaner dürften die beiden dort landesweit bekannten Filmkritiker Gene Siskel und Roger Ebert Urvater der ganzen Bewegung sein. Die beiden haben das Angesicht der amerikanischen Filmkritik maßgeblich geprägt und liefern einen weiteren, kleinen Hinweis darauf, von was für einem Phänomen ich hier eigentlich so kryptisch schreibe. Schaut man etwa auch in die Buchveröffentlichungen Eberts, so gibt es da drei Bücher namens „The Great Movies“ I bis III, aber genauso gibt es dort „I Hated, Hated, Hated This Movie“ und „Your Movie Sucks“. Hm.
Ist es also amerikanisches Phänomen? Ebenso: Nein. Ich denke wir haben vielleicht nicht im Bereich Film, so aber doch im Bereich Literatur mit Marcel Reich-Ranicki eine vergleichbar Form gebende Person aufzuweisen.
Worauf aber will ich nun hinaus?
Es gibt da eine Vermengung von vielen scheinbar sehr verwandten, aber letztlich doch unterschiedlichen Aspekten. Das Verb „kritisieren“ kann im Deutschen tatsächlich zwei in Nuancen sehr unterschiedliche Dinge bedeuten: Im Bezug auf einen Kritiker meint es, „ein Werk fachlich zu beurteilen“; im sonstigen Sinne kann es aber auch „das Missfallen ob einer Person oder Sache in tadelnden Worten zu Ausdruck bringen“ bedeuten. Das sind zwei unterschiedliche Sachen, denke ich.
Und wenn Mercy nun sagt, sie seien keine „critics“, sondern „fans“, dann spricht er weder sich noch seinem Co-Moderator Matthew Crandall eine wache Beobachtung und ein kritisches Hinterfragen der Filme ab; es ist keine Abkehr vom kritischen Denken, aber es ist eine klare Absage an die Kritik zum Selbstzweck.
Auch wenn mir klar ist, dass diese Nuance schwer zu fassen ist, wenn ich das hier so schreibe: Das ist denke ich wichtig. Über das Video und die Mercy/Crandall hinaus.
Was wir allerdings zunehmend im Internet sehen, ist so etwas wie eine „Spirale der Kritik“, wie ich es mal nennen will. Und insofern die Einschränkung zuvor, dass es halt schon etwas mit dem Internet zu tun habe – denn das Netz hat den Leuten eine Stimme gegeben. Ebert, Siskel, Reich-Ranicki, sie hatten / haben letztlich ihren Einfluss auch deshalb, weil sie über das Fernsehen Millionen von Menschen erreichen konnten.
Das können wir heute alle. Jeder einzelne.
Und es wird gemacht.
Damit einher geht ein Rückgriff auf meinen Artikel über den Verlust des Mittelmaßes neulich. Positive Bewertungen sind nicht reißerisch, aber letztlich dennoch schwer. Abwägen von Für und Wider in schriftlicher Form sogar noch viel, viel schwerer. Ich habe umgekehrt aber sogar noch das Gefühl, dass eine regelrechte Sucht nach Abreaktion den Nörgelwillen sogar noch steigert. Vielleicht ist es auch ein allgemeines Gefühl diffuser Unzufriedenheit, dem man nun mit der Kritik ein Ventil geben kann. Und solche Krawall-Meinungen sind letztlich einem Werk immer unangemessen.
Gerade an Orten wie innerhalb der Amazon-Rezensionen, wo entsprechenden Beiträgen ja noch mal ein ganz eigenes Forum geboten wird, kann man alle möglichen Varianten dieses Phänomens sehen. Die Tage stolperte ich über die englisch Ausgabe einer Buchreihe, eine Omnibus-Ausgabe in einem Band, der ein Käufer nur einen Stern gegeben hatte, weil ihm die Aufmachung des Covers nicht gefiel. Ich bin sicher, der Autor, der Setzer des Innenteils, der Lektor, eventuell ein Redakteur und die anderen Mitarbeiter beim Verlag werden da so ihre eigenen Meinung zu haben.
Vielleicht habt ihr ja mal von „Sturgeons Gesetz“ gehört. Falls nicht: Benannt nach und zurückgehend auf Theodore Sturgeon, den amerikanischen SciFi- und Horror-Autor, lautet dieses knappe Diktum: „90% von allem ist Mist.“
Ich würde diesen Satz so nicht unterschreiben. Allerdings werde ich das Gefühl nicht los, dass er immer mehr zur Maßgabe in der Wahrnehmung medialer Werke vieler Leute geworden ist. Alles ist erst einmal Schrott, und einzig einige, wenige Ausnahmen stechen aus dieser Regel heraus und verdienen sich damit gewissermaßen das Sonderrecht der Existenz. Ich vermute ein längerer Aufenthalt in den Kommentarfunktionen nahezu aller größerer Medienportale sollte meine These bestätigen.
Wie auch schon in meinem „Mittelmaß“-Beitrag neulich, will ich es gerne noch mal sagen: Man darf Dinge auch einfach mal gut finden.
Und bei Werken, egal welcher Natur, die halt nicht „rundum gut“ sind, ist es völlig legitim, die guten Teile zu genießen. Und mehr noch: Man darf auch Dinge gut finden, die der Mehrheit nicht gefallen!
Wie ich bei dem damaligen Beitrag in den Kommentaren schon schrieb: Gerade bei Filmen gibt es eine ganz lange Liste von Titeln, die ich gerne gucke, obschon mir ihre Schwächen mehr als klar sind. Aber sie alle haben irgendein Element, dass es für mich halt dennoch Wert macht, sie in den Player zu legen und sie zu schauen. Das ist völlig okay so.
Ich denke es ist völlig in Ordnung, Spaß an Dingen zu haben, die der Unterhaltung dienen. Auch wenn sie vielleicht nicht so toll sind wie andere, oder einem gesagt wird, dass sie nicht gut seien.
Und darum gefiel mir Mercys Kommentar glaube ich auch so gut.
Man kann Dinge gut und schlecht finden, man kann Meinungen zu etwas haben und man kann sogar Rezensionen dazu anfertigen, ohne gleich meinen zu müssen, mit der eigenen Meinung eine Schneise durch die Rezeption der gesamten Zielgruppe (gegen unendlich gehend) schlagen zu müssen.
Das ist jetzt alles keine Antwort, keine Lösung, wie man da gegensteuern könnte. Außer vielleicht mit der wichtigsten Botschaft überhaupt: indem man mit gutem Beispiel voran geht. Aber egal wie, ich fand es waren Gedanken, bei denen es sich lohnte, sie zu teilen.
Viele Grüße,
Thomas