Wie Baphomets Fluch mich verändert hat
Hallo zusammen!
„Paris im Herbst“, mit diesen Worten eröffnete sich mir vor inzwischen 27 Jahren eine ganz neue Welt. „Die letzten Monate des Jahres und das Ende des Jahrtausends“, so ging es weiter. „Die Stadt ist für mich mit vielen Erinnerungen verbunden. Erinnerungen an Cafés, an Musik, an Liebe … und an Tod.“
Bis heute für mich ein Kracher unter den Eröffnungen – und eben Eröffnung zu einem Computerspiel, das mich über Jahrzehnte hinaus prägen sollte.
Und nachdem ich hier in der Vergangenheit ja beispielsweise schon meine Liebe zu den Fast&Furious-Filmen und der TV-Serie Millennium kundgetan habe, dachte ich, heute ist ein guter Tag, um einfach mal über Baphomets Fluch zu sprechen.

Fangen wir vorne an
Baphomets Fluch ist ein Point&Click-Adventure und damit vornehmlich zunächst ein PC-Spiel, entsprungen aus einem Genre, das einst zu den ganz Großen gehörte, heute aber mehr ein Nischendasein fristet. Wobei auch das nicht neu ist, denn schon bei seinem Erscheinen 1996 feierte Boris Schneider (heute Boris Schneider-Johne) in der Besprechung in der PC Player das Spiel als einzig gelungene Neuerscheinung ihrer Art zum damaligen Zeitpunkt.
Aber auch wenn PC- und Videospiele nicht euer Ding sein sollten – keine Sorge, dass es ein Spiel ist, wird letztlich hier nur eine Nebenrolle spielen.
Zunächst einmal muss man wohl festhalten, dass die Welt am Erscheinungstag, dem 30. September 1996, eine andere war. Nirgends ist das einfacher festzuhalten als anhand des Titels – in einer Zeit, in der aus Krieg der Sterne schon lange international Star Wars geworden ist, wirkt umso auffälliger, dass dieses Spiel hier ohne gleichgeschalteten Franchise-Namen an den Start ging. Was wir als Baphomets Fluch kennen, hieß in England Broken Sword: Shadows of the Templars und, ums noch etwas bizarrer zu machen, in Amerika Circle of Blood.
Aber so sehr die Franchise-Geschichte für sich spannend ist (und irgendwo amüsant, da die Reihe auf ihre inzwischen sechste Fortsetzung zusteuert und Baphomet eigentlich nur im ersten Teil sinnvoll zur Sprache kam), so wenig möchte ich auch da heute tiefer einsteigen.
Unternehmen wir stattdessen eine Zeitreise.
Reisen wir an den Weihnachtsmorgen 1996

Wir hatten erst seit einigen Monaten einen PC im Haus, und somit war es das erste Weihnachtsfest, an dem ich mir ein PC-Spiel überhaupt hatte wünschen können. Und so hatte ich an Heiligabend freudig den (übrigens bemerkenswert nicht hübschen) Karton von Baphomets Fluch aus der Geschenkverpackung gerupft, aber ich hatte es noch nicht installieren können. So saß ich also an diesem Morgen in meinem Zimmer, die Anleitung vor mir, und sog bereits auf dem Wege alles in mich auf, was das Spiel mir vorab verraten wollte.
So las ich – wie schon in diversen Magazinen zuvor – dass Baphomets Fluch die Geschichte des jungen, amerikanischen Touristen George Stobbard ist. Dieser weilt in Paris, doch wird sein Urlaub jäh (und buchstäblich) erschüttert, als das Café, in dem er gerade sitzt, von einer Bombe zerstört wird. Eine Bombe, die – so scheint es – von jemandem platziert wurde, der ein Clownskostüm trug. Als wenn es weiterer Beweise bedurft hätte, dass Clowns nie etwas Gutes bedeuten …
George überlebt – und macht sich an seine eigene Recherche, bei der er von der französischen Journalisten Nicole Collard unterstützt wird. Was zunächst wie ein eher wahlloses und von der Polizei eher planlos untersuchtes Attentat wirkt, gerade in der Prä-9/11-Welt des Jahres 1996, erweist sich dann aber als Tor in eine Welt voll Verschwörungen, die bis zu den legendären Tempelrittern zurückreichen.
Als Templer noch ein frisches Thema waren
Wobei … legendär ist relativ. Ja, heute ist die Templer-Nummer glaube ich wirklich leergemolken, aber (zumindest für mich) war das 1996 noch genau der frische Stoff, aus dem Mysterien gewoben werden. Sieben Jahre von Dan Browns Da Vinci Code und acht Jahre vor National Treasure liegt Baphomets Fluch zwischen einem Amerikaner-in-Frankreich-Thriller wie Frantic und den weltbereisenden Historienabenteuern eines Indiana Jones – und spielte damit exakt, aber auch wirklich exakt auf der richtigen Klaviatur für mich.
Wenn ich an das Spiel denke, dann denke ich nicht daran wie die Steuerung funktioniert, wie die Mechaniken genau aufgezogen waren und wie inkonsistent manche Rätsel waren (das Ziegenrätsel, wie mancher sich schauernd erinnern mag).
Nein, ich denke an Storytelling und Worldbuilding der Extraklasse.

Über jene Weihnachtstage war klein Thomas in Paris, erforschte verborgene Geheimnisse vergangener Zeiten, kletterte über die Fenstersimse des Hôtel Ubu, sprach mit der Blumenhändlerin in der Rue Jarry – und reiste dann später nach Irland, Spanien und an andere, fernere Orte.
Was in diesem Zusammenhang besonders wichtig ist zu erwähnen: Obwohl Baphomets Fluch eigentlich durch seinen neunmalklugen Protagonisten immer einen flotten Spruch auf den Lippen hat, so ist es eine ernste Geschichte. Und das alleine ist etwas, was das Spiel für mich immer ausgezeichnet hat. Obwohl dem Titel eine ganze Lawine von Kultklassikern in den Jahren zuvor vorausging, waren viele von denen in erster Linie Comedy-Titel. Nicht alle – aber für jedes Indiana Jones und das Schicksal von Atlantis gibt es eben auch ein Day of the Tentacle, und zwischen Monkey Island, Simon the Sorcerer und Leisure Suit Larry waren gerade viele der Platzhirsche eindeutig auf Humor gedrillt.
Nicht nur, dass Georges Abenteuer in Paris und darüber hinaus im Kern ernst war, es nahm auch den Spieler ernst. Es war eine Geschichte, die in ihrer Komplexität und in ihrem Reiz auch als Roman oder Kinofilm hätte überzeugen können. Dass viele Herausforderungen weniger in Inventar-Objekt-Rätseln und mehr in der klugen Führung von Dialogen begründet waren, verstärkte den Eindruck nur noch.
Die Zeichentrick-Optik des Spiels, die ich bisher sträflich vernachlässigt habe, ebenso wie die brillante Musik Barrington Pheloungs (ist auf Apple Music und vermutlich dann auch auf auf Spotify) trugen nur umso mehr dazu bei.
Alexander Schottky ist verglichen mit Rolf Saxon im Original eine hervorragende deutsche Stimme für George gewesen, und dass Nico mit Franzika Pigulla mitten im großen Akte-X-Fieber noch Scullys Stimme besaß, war dann die Krönung. (Auch wenn ich hier rückblickend betrachtet Hazel Ellerby im Original den Vorzug geben würde, weil diese – anders als Pigulla – konsistent einen französischen Akzent auf den Lippen trägt. Sei’s drum.)
Für mich prägend, bis heute
Aber wenn ich sage, dass klein Thomas die Geheimnisse vergangener Zeiten erforschte, so reicht das viel weiter als nur Baphomets Fluch. Schon das Spiel selbst hatte in der Box ein dünnes Heftchen mit realhistorischen Infos zum Tempelritter-Ordnen und verlieh damit allem, was wiederum in der Handlung passierte, ein ganz anderes Gewicht. Zu keinem Zeitpunkt hätte ich das, was da passiert, für wahr gehalten. Aber ähnlich wie das eben noch erwähnte Akte X hatte Baphomets Fluch, kombiniert mit dem diffusen Fin-de-Siècle-Feeling der späteren 90er, damit genau die richtige Dosis wohlig kribbelndem „Aber was wenn doch …“
Das Spiel hatte darin sehr viel Einfluss auf mich. Ein allererster Projektpitch, den Matthias und ich in den frühen 2000ern dem damaligen Cthulhu-Chefredakteur Wolfgang Schiemichen eingereicht hatten, war (zu sehr) von dem Spiel geprägt, aber auch dass meine Spanien-Länderkunde, die ich in der Mittelstufe schreiben musste, einen bizarr-ausführlichen Tempelritter-Teil hatte, geht klar auf das Konto jenes fiktiven, explodierten Cafés.
Wenn ich ehrlich bin, prägt das Spiel bis heute die Art, wie ich Geschichten erzähle, und ohne hier wirklich etwas spoilern zu wollen – wenn in Verdorbene Asche alte Kirchenbünde oder eine Sekte von Wiedertäufern Erwähnung finden, dann ist dieses Spiel hier immer eine leise Stimme in meinem Ohr.
Oder konkreter: Die Stimme von Charles Cecil, dem Macher hinter diesem und jedem weiteren Teil der Reihe. Denn ja, wie eingangs schon gesagt, inzwischen sind wir bei einem angekündigten sechsten Teil angekommen, und nach „Die Spiegel der Finsternis“, „Der schlafende Drache“, „Der Engel des Todes“ und „Der Sündenfall“ scheint nun „Der Gral des Parzival“ auf George und Nico zu warten. Dazwischen kam mit „Baphomets Fluch 2.5“ ein bemerkenswertes Fan-Projekt heraus, das mit Schottky sogar den „offiziellen“ deutschen George zu bieten hatte und das viele Leute feiern. Die Titel sind von unterschiedlicher Güte (ich würde persönlich dazu raten, Teil 1, 2 und 5 zu spielen und 2.5, 3 und 4 wegzulassen), aber keines der Sequels konnte auch nur Ansatzweise diese Magie ausüben, die Baphomets Fluch für mich besaß.
Und besitzt.
Vermutlich gibt es wenig narrative Spiele, die ich auch nur ansatzweise so oft durchgespielt habe wie dieses Adventure, und mit dem angekündigten HD-Remake des Erstlings wird es definitiv auch eine weitere Reise für mich geben gen Paris im Herbst.

Abschließend
Mir ist klar, dass unter den Lesenden hier niemand eine Chance hat, das gleiche Gefühl für das Spiel zu empfinden, das ich damals empfunden habe und von dem ich, fast 30 Jahre später, noch immer zehre.
Ich bin sehr viel älter als 1996 und kann kein zweites Mal in den gleichen Fluss steigen, und für Leute, die heute in dem gleichen Alter wären wie ich damals, ist Baphomets Fluch in vielerlei Hinsicht wiederum in sich einfach … nun ja, alt.
Famos ist es dennoch. Es ist ein Medium, in dem exzellentes Art Design auf eine Geschichte stößt, die ihr Publikum ernst nimmt und die etwas zu erzählen hat. Eine Geschichte, die zwar nicht mehr gleichermaßen im Zentrum des Zeitgeists verankert ist wie anno 1996, aber deren Handlung zugleich in vielerlei Hinsicht zeitlos ist.
Für mich persönlich ist es aber – neben einer wohligen Kindheitserinnerung – ein Medium, das nachhaltig verändert hat, wie ich selber erzähle.
Und nicht zuletzt darum wollte ich das Spiel hier und heute würdigen.
Viele Grüße,
Thomas






Wen hingegen meine berufliche Arbeit als Verlagsleiter und leitender Layouter für Ulisses Spiele interessiert, findet