Hallo zusammen!
Wir waren mal wieder miteinander im Schwarzwald – ist schon ein paar Jahre her. Einer unserer Mitreisenden hatte sich die neuen Episoden von Akte X mitgenommen; Staffel 11 müsste es gewesen sein. Er legte sich die erste Folge ein, er schaute fünf Minuten … und dann erhob er sich wortlos, ging zum Balkon und holte sich ein Bier. Ich muss nicht extra dazu sagen – er war nicht begeistert.
Und oh sicher, ich könnte jetzt viel darüber schreiben, wo ich die konkreten Verfehlungen jener Folge sehe, aber ich möchte eine viel steilere These hier anbringen: Die nachgereichten Staffeln Akte X hatten nie eine Chance.
Jedenfalls nicht so, wie sie angelegt sind.
Wenn die Welt auf niemanden wartet
Die Welt hatte sich weitergedreht nach dem ursprünglichen Ende der Serie. Akte X, in das so unglaublich tief das Ende des kalten Krieges und der Verlust ehemals klarer Feindbilder einmassiert wurde, erweist sich im März 2022 in mancherlei bedrückender Hinsicht als ein Werk, das einer ganz anderen Zeit entsprungen ist. Aber selbst 2016, als die Serie für zwei Staffeln in ihre Ehrenrunde ging, waren schon entsprechende Kratzer im Lack zu erkennen. (Wir sprachen neulich erst im DORPCast genau darüber.).
Die Welt hatte sich weitergedreht, und der Zeitgeist mit ihr.
Man könnte insofern sicherlich sagen, dass Lynch es bei Twin Peaks – The Return doch richtig gemacht hat, indem er geradezu offensiv nicht die Fan-Erwartungen erfüllt hat (und wir kommen darauf nochmal zurück), aber auch das ist kein Allheilmittel. Meinungen – nebenbei, alle Wertungen in diesem Artikel sind meine persönlichen Meinungen und dass ich manches hier als Negativbeispiel bringe heißt nicht mal, dass ich nicht subjektiv doch Freude daran hatte – Meinungen mögen auseinandergehen, aber ich denke Serien wie Picard sind gute Beispiele dafür, dass ein Versuch der Modernisierung unternommen wird, doch im Rahmen dieser „zeitgemäßen“ Neuerfindung gleich der ganze Markenkern Risse kriegt oder gar bricht.
Aber warum ist das eigentlich so?
Nostalgie ist eine Droge (quasi)
Man muss ja nicht lange argumentieren, dass wir medial in einer Zeit kontinuierlich wiederbelebter Franchises leben. Da wird so ziemlich alles ausgegraben, was irgendwie noch tragfähig ist und wo nichts Tragfähiges gefunden wird, wird zumindest eine entsprechende Epoche bemüht, um an wohligen Gefühlen zu kratzen.
Das ist nicht neu – Stephen King siedelt die halbe Handlung von Es, als das Buch 1986 erscheint, in der Zeit seiner Jugend an: 1957. Als Andy Muschietti und seine drei Autoren das Buch 2017 ins Kino bringen, verlegen sie es in die Gegenwart und lagern die halbe Handlung in der Zeit ihrer Jugend an: 1988. Das ist sicherlich kein Zufall.
Es funktioniert auch nahezu immer. Ich bin da ja auch nicht von frei, habe viel des 80er-Revivals sehr genossen und sage ja schon seit letztem Jahr, dass ich langsam bereitwäre für ein 90er-Comeback. Gründe gibt es verschiedene: All das kann Ausdruck der Lebenserfahrung der Kreativschaffenden sein, es kann aber auch schlichtweg das kalte wirtschaftliche Ausnutzen der Tatsache sein, dass Nostalgie ein paar gruselige neuropsychologische Parallelen zum Substanzmissbrauch hat.
Dort aber, wo nicht ein neuer, kreativer Gedanke dahintersteht, dort wo es vor allem ein Fall von „Schau, hier ist das Ding, das du einst geliebt hast, das willst du doch bestimmt wieder, oder?“ ist, dort kommen wir schnell an den Punkt, dass es sich am Ende doch irgendwie hohl anfühlt. Leer. Gehalt- und herzlos.
Es ist Ausdruck einer verlorenen Jugend – und das führt uns ganz gemütlich mal wieder zurück zu den alten Griechen.
Pantha Rhei
Der Ausspruch „pantha rhei“, also „alles fließt“, geht auf den griechischen Philosophen Heraklit zurück – mehr oder weniger, mit den üblichen Quellen-Unsicherheiten bei 2.500 Jahre alten Denkern.
In jedem Fall ist die Idee die: Ein Fluss fließt unaufhörlich weiter. Wir können zwar, so oft wir wollen, in denselben Flusslauf steigen; niemals jedoch, egal was wir tun, in genau das gleichen Wasser. Es ist ein Gleichsetzen vom Fließen des Wassers mit dem Sein des Menschen. Als Bild steht es insofern allgemeingültig: Zeit verstreicht, Dinge verändern sich, was einst war ist vergangen und wir haben keine Chance, es uns wiederzuholen, ebenso wie das Wasser unseres letzten Flussbades längst hinfortgespült wurde.
Und so ist es auch bei den Medien: Wenn wir uns danach sehnen, dass eine Serie wie Akte X oder eine Figur wie Captain Picard wiederkommen, dann geht es uns eigentlich gar nicht um Akte X oder Captain Picard. Wir wollen nicht jene Medien wieder, wir wollen das Lebensgefühl wiederhaben, das wir damit verbinden – und das ist vergeblich. Denn alles fließt.
Noch ein Beispiel: Ich bin damit nicht alleine, das weiß ich, aber Leute sind manchmal schockiert, wenn ich sage, dass ich keine weitere Staffel Firefly möchte. Die Serie war in dem Moment, in dem sie lief, geradezu ohne Makel. Es war der perfekte Sturm aus Thematik, Darstellern, Machern hinter der Kamera und – erneut – Zeitgeist, und ich würde behaupten, schon der dicht gefolgte Kinofilm Serenity war spürbar anders. Zu glauben, dieser perfekte Sturm wäre wiederholbar, erscheint mir verrückt.
Am Ende geht es bei der ganzen „Flusslehre“ um ewigen Wandel und dass man lernen muss, diesen ewigen Wandel zu akzeptieren. (Und wer jetzt denkt, woah! Das ist ja genau das Thema, worum es letztes Mal hier auch ging – verrückt, oder? Als hätte ich einen Plan – oder als gäbe es spannende Parallelen zwischen westlicher und östlicher Philosophie. Spoiler: Beides.)
Macher mit mangelndem Mut
Es gibt jedoch eine dritte Seite dieser Medaille. Das nostalgische Sehnen des Publikums? Okay. Das wirtschaftliche Interesse der Firmen dahinter? Okay.
Am Ende des Tages sind es dann aber im letzten Schritt auch die Macher, denen in dieser ganzen Thematik eine Verantwortung zukommt. Ein Medium zu schaffen, was dem Publikum tatsächlich das alte Lebensgefühl wiedergibt, ist nachgerade unmöglich. Wer nun aber in der Position ist, etwas Geliebtes neu zu erfinden – oder wer versucht zu ergründen, woher seine Gefühle für die Neuauflage von etwas Altem rühren –, der tut denke ich gut daran, sich zu fragen, was dieses Vorangegangene wirklich ausgemacht hat.
Überspitzt gesagt: Liegt der Reiz Captain Picards darin, dass Patrick Stewart einen „Earl Grey, hot“ möchte und „Engage!“ sagt, oder waren es vielleicht doch eher die philosophisch interessanten Drehbücher voll kreativ gestalteter Konflikte und dem Willen, eine Weltraum-Utopie zu leben?
Aber nehmen wir mal noch ein anderes Beispiel: Jurassic World war sehr erfolgreich und er hat sicherlich seine Fans – geguckt hab ich ihn ja auch und ich hatte durchaus aus meinen Spaß, aber in meinen Augen spielt er nicht mal ansatzweise nur in der gleichen Liga wie Jurassic Park.
Und sicherlich: Der neue Film hat viele Designs des alten übernommen. Er hat die Idee des Parks übernommen, ebenso natürlich die der ausbrechenden Dinosaurier. Aber er hat auch übersehen oder ignoriert, dass Jurassic Park jeder seiner Figuren einen eigenen Handlungsbogen gibt, dass es eine Entwicklung für jede dieser Figuren gibt, die sich aus ihren eigenen Interessen speist und die damit die Gesamthandlung formt. Und mehr noch hat er übersehen, dass der erste Film vor allem den Zauber ausstrahlt, „echte“ Dinosaurier auf der Leinwand zu sehen.
Jurassic Park behandelt sie nicht einfach als Monster, sondern als vorsintflutliche Giganten, die Ehrfurcht verdienen.
Jurassic Park lebt die kindgleiche Faszination, durch seine Bilder und seine Charaktere, dem Wunder der Dinosaurier beiwohnen zu können.
Jurassic World 3 hat einen fiktiven Dino namens Atrociraptor.
Wohin es uns führt
Doch da schlägt es auch wieder den Bogen zur eigentlichen These dieses Artikels. Dieser Moment, in dem Grant, Sattler und Malcolm das erste Mal die Dinosaurier sehen, ist nicht zuletzt so zauberhaft gewesen, weil es eben auch für das Publikum eine neue Erfahrung war. Wir heute, als aufgeklärte oder gar abgeklärte Erwachsene im Zeitalter allwaltender CGI-Effekt, werden diesen Zauber niemals wieder bekommen.
Weder wir, noch die Macher dürfen erwarten, dass sich diese Wirkmacht schon einfach wieder einstellen wird, nur weil ein Film (oder Buch oder Comic oder Spiel oder …) das gleich Ding macht, was uns damals so verzückt hat. Oder um es mit den Worten des ewig zitierbaren Mikey Newman zu sagen: „Nostalgie, ohne den Versuch oder Willen die Dinge neu zu kombinieren und darin Revolution zu finden, ist […] bloß Content.“ (Quelle; meine Übersetzung)
Auf der anderen Seite muss dieser Antrieb zur Neuerfindung halt im Kontext dessen erfolgen, was den Reiz einst ausgemacht hat. Stranger Things und Blade Runner 2049 sind für mich gute Beispiele dafür, wo Macher nicht einfach reproduziert, sondern vorher zudem zielsicher hinterfragt haben, was heute nicht mehr funktionieren würde und was erhalten werden muss. Es sind Medien, die im Falle von Stranger Things die Epoche und im Falle von Blade Runner 2049 den vorigen Film wirklich verstanden haben und die gewillt waren, große Anstrengungen zu unternehmen um mehr zu sein als ein „Hey, wisst ihr noch?“
Auf der anderen Seite … erinnert sich noch jemand an den Stasky-&-Hutch-Film von 2004?
Aber heißt das am Ende, dass wir wahlweise auf Gedeih und Verderb irgendwelchen turbokapitalistischen Medien-Publizisten ausgeliefert sind, die unsere drogengleiche Abhängigkeit gegenüber vergangener, glücklicher Tage ausnutzen, wenn nicht gerade ein Medienmacher mit dem richtigen Willen und der richtigen Idee daherkommt?
Nicht ganz.
Das wäre auch ungewöhnlich negativ für mein Blog hier.
Der Eindruck rührt nur daher, dass ihr Teil 2 dieses Artikels noch nicht gelesen habt – der folgt kommenden Freitag an dieser Stelle.
Viele Grüße,
Thomas
Pingback: Pantha Rhei und die Neuentdeckung des Bekannten | Seelenworte
Also: ich empfinde deinen Blog als gar nicht so negativ – manch Mal muss man zur Diagnose auch einfach den Finger in die Wunde legen.
Zum, Bildungslückenschließen habe ich jetzt auch am Wochenende endlich mal Serenty geguckt. Und ja, der Film hat nicht ganz die gleiche Leichtigkeit der Serie. Aber noch mehr von dem Universum würde mich trotzdem freuen.
Gerade weil meine Erinnerung an Firefly erst ein Jahr alt ist.
Nostalgie: Eigentlich hat man es schon als Kind gemerkt, dass ein Spiel, welches Mal toll war (z.B. mit dem großen Bruder Schlauchwellen machen) bei der Widerholung nie mehr so toll funktionierte. Man musste nur erst groß werden um es zu lernen.
Von daher mag ich es wenn Serien enden, Filme für sich alleine stehen können (So sehr ich auch Querverweise und komplexe Zusammenhänge mag) und Medien mehrmals zu rezipieren, auch wenn ich sehe, wie sehr ich mich verändert habe.
Braveheart als Jungedlicher und als historisch interessierter MINT-Akademiker zu gucken, macht einen unterschied
90er Revival: läuft doch schon seit Cäptain Marvel. Ich sah den Film und dachte „Oh ah, jetzt ist aber meine Alteskohorte die zentrale Nostalgiezielgruppe“