Hallo zusammen!
Es gibt ein Thema, das haben wir im DORPCast nun schon mehrfach gestreift. Die aktuelle Folge, Macht Unwissenheit uns selig, dreht sich teils sogar recht zentral um die Frage: Ist man dazu gezwungen, Dingen, die einem einst viel bedeutet haben, zu entwachsen?
(Und wie immer, wenn ich hier etwas unter dem Gedankengänge-Label verbuche, ist es letztlich nichts, was am Ende eine Antwort auf alle Fragen verspricht; es ist in erster Linie vor allem ein „laut gedachtes“ Traktat und ich wie immer neugierig, was andere dazu sagen mögen!)
Gehört habe ich das weiß Gott oft genug. Etwa im Bezug auf Computerspiele. Als ich mein Sega Master System als Kind bekam, die Konsole dürfte da gerade neu auf dem Markt gewesen sein, waren sich vermutlich alle einig: Das ist ein Spielzeug, mit dem Alter wird sich das legen. Es hat noch diverser Konsolengenerationen bedurft, bis Videospiele nicht nur als Hobby für alle Altersschichten anerkannt wurden, sondern sogar die Gamer-Subkultur an einen Punkt kam, an dem das cool wurde.
Als ich mit dem Rollenspiel anfing, war allen klar, dass das was für Jugendliche ist. Das würde sich schon legen. Ich war ein Eifelkind und tatsächlich war es schwer, an Material zu kommen. Ein Onkel von mir besorgte mir damals eine meiner ersten DSA-Boxen. Er war Jahre später völlig irritiert, als er hörte, dass ich dem Hobby noch immer nachging und ich vermute heute noch umso mehr, wo aus dem Hobby mein Broterwerb geworden ist.
Irgendwie haben wir da diesen Gedanken im Kopf, kulturell gesehen, dass es da Dinge für junge Menschen gibt und Dinge für ältere – soweit mag das noch stimmen –, und dass es da keine große Schnittmenge geben kann. Aber all das, das waren Vorurteile von außen; das ist eine Sache. Etwas anderes, was über den DORPCast und das Feedback dazu mehrfach aufkam, ist es aber, wenn sich dieser Gedanke in den Köpfen der „Betroffenen“ ebenfalls schon festgesetzt hat.
Unabhängig voneinander erwähnte ich in der Medienschau zweier Folgen zwei Filme, zum einen „Das letzte Einhorn“ und zum anderen „Der Frühstücksclub“, den vermutlich mehr Leute als „Breakfast Club“ kennen.
Zu beiden war die Resonanz in einigen Zuschriften gleich: Unsicherheit. Unsicherheit, ob man die heute noch schauen könne, Sorge um nostalgisch verkläre Kindheitserinnerungen und Angst davor, sie bloßzustellen.
Das ist, wie gesagt, etwas anderes. Hier sprechen Leute über sich selbst, und zwar in vorauseilender Skepsis. Darin steckt dieser präemptive Gedanke, Hobbys und Leidenschaften altersbedingt entwachsen zu können.
Tatsächlich gibt es eine ganze Reihe Hobbys, für die dieses Klischee im Speziellen existiert – es sind Bereiche wie Video- und Computerspiele, Rollenspiel und LARP, Zeichentrickfilme und Comics, Actionfiguren und dergleichen mehr. Irgendwie ist es spannend, denn ich glaube das verbindende Element, das all diese Bereiche haben, ist das, dass jene, die ihnen treu bleiben, irgendwo ins Spektrum Nerd fallen.
Selbst explizit auf diese bezogen findet es sich, gibt es doch mittlerweile auch genug Liebeskomödien und artverwandte Filme, in denen der skurrile Nerd einen Partner oder eine Partnerin findet, dadurch erstmals richtig geerdet wird und dadurch, abseits der kindischen, alten Leidenschaften, ins wahre Leben gelangt. Es gibt positive Ausnahmen, „Spaced“ oder „Scott Pilgrim“ etwa, aber sie sind selten.
Zurück zum Thema: Diese Sorge überhaupt zu haben, dass etwas, was man früher toll fand, einem nicht mehr zusagt, ist heimtückisch. Es ist ein schleichender Vorgang und dabei Zeugnis unserer Kultur und der Wertschätzung innerhalb unserer Kultur. Es hat nicht die auffällig und daher auch gut angreifbare Position eines, der verkündet, zu alt fürs Zocken geworden zu sein und der darum seine Spielesammlung auflöst. Es ist subtil, wenn man so will, ein bisschen wie die Quelle des Zweifels.
Was zunächst einmal dahintersteckt, ist eigentlich gelebte Alltagsphilosophie. Etwas, an dessen Grunde wir Heraklits berühmtesten Satz finden: „Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen.“ Die Frage ist aber, ob diese Verbindung in dieser speziellen Situation tatsächlich ein gültiges Argument sein kann.
Die Idee des „Panta rhei“, des Ausspruchs „Alles fließt“, ist die, dass alles, auch wir selbst stets im Wandel sind. Es ist ein platonischer Aphorismus, aber es ist zugleich im Kern, was wir auch bei Heraklit finden: Wir sind noch immer wir, und die Stelle des Flusses ist die Stelle des Flusses, oberflächlich ist alles gleich. Doch schauen wir im Detail hin, so hat der Fluss sich verändert und was wir auch tun und versuchen, er wird nie wieder der gleiche sein.
Geht es uns auch so mit Medien und Hobbys? Verlernen wir die Freude daran, weil wir selbst uns ändern, weil neue Lebensumstände einen neuen Kontext bilden, in dem wir uns selber definieren und in dem wir, so sehr wir auch wollen, nicht mehr am gleichen Punkt der Wertschätzung verharren können wie einst?
Sicherlich.
Dem werde ich nicht widersprechen.
Wohl aber gibt es eine darin oft implizierte Geisteshaltung, gegen die ich mich hier verwenden kann – es ist dieses Gespenst der Machtlosigkeit diesem Prozess gegenüber.
Äußere Einflüsse, ja sogar die Chemie in unserem Innersten, all das verändert uns tagtäglich jenseits aller Kontrolle, die wir haben könnten. Doch bleibt uns genug Raum für Einflussnahme. Vielleicht nicht konkret, in allen Situationen, aber grundlegend.
Es ist eben dieses Gespenst des Erwachsenwerdens, das uns hier heimsucht. Selbst heute, wo allgemein Spielen für Erwachsene vermutlich anerkannter ist als in vielen Generationen zuvor – ich meine, ist es nicht traurig, wie viele Väter ihren Söhnen Spielzeugbagger schenken, um damit selbst spielen zu wollen, anstatt sich selbst einfach einen zu kaufen? –, so schwingt heute noch dieser Gedanke mit, dass man im Alter kritischer werden muss. Das Pendel schwingt in beide Richtungen – Filme wie „Transformers“ werden in der Kritik für Teenager ausgelobt, da deren Ansprüche noch niedriger seien und umgekehrt wird mancher Kindersendung völlige Dummheit jovial verziehen, da es ja schließlich für eine Zielgruppe ausgerichtet sei, der das angeblich egal ist. Beides Unfug. Aber präsent.
Es ist sogar ein Konstrukt, das mit Dominanz spielt. Ich las das die Tage in irgendeinem Kommentarteil zur Oscarverleihung. Dort diskutierten – basiert auf James Gunn’ Reaktion auf die ja sehr Superhelden-Film-kritische Show – zwei Nutzer, der eine ein wenig elitistisch das Independent-Kino überhöhend, der andere eben verbissen um die filmische Güte des Popkorn-Kinos ringend. Die Wahrheit liegt hier in der Mitte, aber was ich viel spannender fand, war, dass der Popkorn-Film-Fan dann zu hören bekam, er sei wohl noch so jung, dass es schon lange Zeit sei zu Bett zu gehen.
Das darin innewohnende Klischee – dass er jung sein müsse, um solche Filme zu mögen – und die damit verbundene Machtposition, die sich der andere selbst „als Erwachsener“ gab, stimmten mich nachdenklich.
Ich meine, klar, um das DORPCast-Beispiel von mir noch mal zu bemühen: Ich habe als Jugendlicher Filme mit Jean Claude van Damme geliebt. Wirklich geliebt. Ich vermute, selbst heute habe ich keinen Film häufiger gesehen als damals „Bloodsport“. Wenn ich nun heute einen Film mit JCVD schaue, ist mein Blick natürlich ein anderer. Der Kontext ist anders, meine Erfahrungen sind anders, meine Interessen ebenso. Auch gibt es Seiten an Filmen, die ich heute sehr schätze, von denen mir damals nicht mal klar war, dass sie existieren – eine gute, ausgereifte Cinematographie etwa.
Der Trick ist jedoch, entweder gar nicht zu vergessen, warum man es damals schon gemocht hat, oder sich im Rückblick zu erinnern. Sich nicht zu verschließen, sich offen zu geben für den Zauber, den Dinge einst hatten.
Es gibt eine Menge schnieker Argumentationen und philosophischer Exkurse darüber, dass wir heute nicht sein können, wer wir gestern noch waren. Aber ich finde es schade, wenn Leute offenbar beschließen, sich von ihrem gestrigen Ich nicht nur fortzuentwickeln, sondern abzuwenden. Vielleicht bietet das, was einen einst begeistern konnte, heute eine ganz neue Perspektive. „Breakfast Club“ ist so einer; er guckt sich Anfang 30 ganz anders, als man es als Teenager getan hat, aber er hält beiden Blickwinkeln stand. Von „Bloodsport“ würde ich das weniger sagen, von anderen van-Damme-Titeln sogar noch viel, viel weniger, aber das ist nicht der Punkt. Vielleicht kann ich nicht immer das wertschätzen, was mir einst daran lag – aber vergessen möchte ich es auch nicht.
Also alles nur Nostalgie?
Und wenn schon!
Man sollte niemals meinen, früher sei alles besser gewesen und man sollte sich auch gar nicht erst wünschen, dass alles ewig bleibt, wie es ist. Aber genauso wenig sollte man sich etwas vermiesen lassen, indem man sich von Leute nostalgische Verklärung vorwerfen lässt. Nicht alles, was neu ist, ist gut, nicht alles, was nicht völlig neu ist, wird dadurch schlecht.
Andererseits ist nicht alle Alte immer toll, keine Frage. Aber ich würde es immer darauf ankommen lassen. Sich in wohlige Erinnerungen zu betten ist im extremsten Falle so etwas wie Selbstbetrug, aber umgekehrt ist der Lohn dafür, sich der Gefahr zu stellen möglicherweise, etwas, was man damals schon mochte, mit neuen Augen zu sehen und dabei zugleich ein wenig von dem Zauber zu spüren, den es einst hatte.
Vielleicht ist es das ja sogar, was die Magie aufrecht erhält. Nicht fortzugehen, sondern immer mal wiederzukommen und so nicht zu vergessen, wo man all diese medialen Wege ursprünglich begonnen hat.
Aber zumindest mir noch wichtiger: Was auch immer von mir erwartet wird, gesellschaftlich und kulturell etwa, ich möchte mich nicht gezwungen sehen mich dem zu ergeben, was mich zwingt, Dinge aufzugeben, die mir einst viel bedeutet haben.
Vielleicht werde ich mit 64 noch genauso Videospiele spielen wie mit 32, vielleicht auch nicht. Aber ganz sicher werde ich es nicht drangeben, weil man das doch in so einem Alter nicht mehr tut.
Wird uns das mit allem gelingen? Sicherlich nicht.
Aber mit vielem.
Und ist es das wert?
Auf jeden Fall!
Viele Grüße,
Thomas
Nachtrag: Ela streift in ihrem Blog mal wieder ein artverwandtes Thema und sei drum wie immer mit großer Freude verlinkt!
Ich mochte schon zu Schulzeiten Klassische Musik, aber als End-Teenager/Anfang-Mitt-Zwanziger wurde mir immer vorgeworfen, ich würde ja nur „erwachsen tun“ wollen. Ist jetzt so mein Gedanke dazu, aber ich hatte doch schon auch oft die elitäre Faust im Nacken, weil ich spätestens seit meinem Uni-Abschluss ja wohl zu alt bin, um immer noch einen Fernseher zu haben, XBox zu spielen, meine Wochenenden mit Rollenspiel zu „verschwenden“ blablabla. Ich fand das immer irgendwie traurig – nicht für mich, aber für die Menschen, die tatsächlich denken als „Erwachsener“ dürfte man keinen Spaß mehr haben. Wenn sie das so sehen wollen, bitte, ich feiere solange eine Party mit meinem inneren Kind! ;-)
Hallo Ela – zum Zweiten =)
Völlige Zustimmung – ich fand es immer ein nettes Kompliment, wenn man mir als Jugendlicher nachsagte, ich „spreche schon so erwachsen“ – auch wenn es vielleicht gar nicht immer eines war. Das war mir da egal.
Aber das sind zwei Paar Schuhe, glaube ich, für die man eigentlich auch zwei Worte bräuchte – Erwachsen im Sinne von einer gewissen Reife, von gesammelter Erfahrung und Wissen finde ich durchaus eine gute Sache, da bin ich dann vielleicht doch zu sehr Philosophie-geprägt. Umgekehrt erwachsen im Sinne von „keinen (kindischen) Spaß mehr haben dürfen“ geht mal so gar nicht.
Dass ich keinen Fernsehanschluss habe, das hat auch nichts mit Elitedenken zu tun, eine meiner besten Freundinnen entspannt auch gerne bei Sendungen, mit denen du mich jagen könntest; nein, mir liefert es nur nicht genug für das Geld, dass es kostet. Den Fernseher als Gerät habe ich schon und seit Netflix kommt mein Programm auch wieder „von draußen“, nur eben auf anderem Wege.
Aber das sind beides Themen für eigene Beiträge, denke ich.
Wie ist das in Breakfast Club? „When you grow up, your heart dies.“
Es soll jeder erwachsen werden wie er will. Und wenn es Leute glücklich macht, all das Genannte abzulegen, ja meinetwegen. Aber wenn ich das Gefühl habe, dass sie eigentlich gerne würden, aber es aus inneren oder äußeren Zwängen heraus nicht machen … dann treibt mich das in den Wahnsinn.
Aber vielleicht hilft die eine oder andere Blog-Predigt ja zumindest ein oder zwei Lesern, im Zweifel für das innere Kind einzustehen.
Das jedenfalls würde mich freuen =)
Viele Grüße,
Thomas
Da sag‘ ich doch mal: Ich bin zu alt, um auf gesellschaftliche Zwänge noch einen Furz zu geben, als Teenager fällt man vielleicht auf dieses „zu deinem Besten“ Zeug noch rein, aber mit dem Alter sollte eigentlich auch die Einsicht einkehren, dass man eigentlich drauf sch**** kann was andere von einem denken, no? ;-)
Ich mach ja ungern Eigenwerbung, aber ich glaube das hier dürfte dazu passen: http://jellylorum66.blogspot.de/2015/03/wochengedanke-iii.html
Ah, schamlose Eigenwerbung darfst du hier immer posten ;)
Und ja, guter Artikel, zu dem ich gleich auch noch kurz antworten mag …
Wobei ich glaube, dass das mit dem Alter zwar einerseits durchaus ein Faktor ist – Teenager sind was das angeht ja durchaus wohl-dokumentiert –, aber ich glaube durchaus, dass es das auch für genug ältere Semester gibt.
Ob es allerdings analog etwa zu Markenklamotten-Untersuchungen Studien über die Gründe gibt, dass (gefühlt) in jeder Einfahrt in den Vororten der identische, graue Kombi in der Einfahrt steht, weiß ich akut gar nicht.
Aber ich kenne das Phänomen auch durchaus; ich hab etwa zu Pressezeiten auch den einen oder anderen Kommentar kassiert, wenn ich meinen verbeulten, uralten schwarzen Micra zwischen all die Mercedes-Schlitten und Golfs dieser Welt geparkt habe ;)
Viele Grüße,
Thomas