Die Fielmann-Analogie

Hallo zusammen!

Ein Kumpel von mir arbeitet nun seit einer Weile bei Fielmann – ihr wisst schon, die mit den Brillen. Und während wir dieser Tage abends in einer Kneipe saßen und auf unsere Chance warteten, das Poster für die Dracon 8 abzulichten, erzählte er so ein bisschen aus der Firmengeschichte, wie man sie ihm nun auch vermittelt hatte.
Wer noch die alten Kassengestelle kennt, der weiß um den grausamen Ist-Zustand, den der Bereich „Brille“ vor wenigen Jahrzehnten für alle hatte, die nicht mal eben einige Scheine extra für ein schönes Stück auf den Tisch legen konnten. Fielmann sah diesen Ist-Zustand, erkannte ein Defizit und sah vor allem etwas, was zu zwei Gewinnern führen konnte: Durch ein neues Geschäftsmodell und eine unverbrauchte Herangehensweise bot er den Kunden eine attraktive Alternative und konnte selber natürlich nicht unerhebliche Profite einfahren. Das jedoch ist ja auch erst einmal nicht unmoralisch.

Und wie besagter Kumpel mir das so beschrieb, musste ich an einen anderen heutigen „big player“ denken, der gar nicht so unähnlich tickt, auch wenn er derzeit vor allem Kritik ansammelt: Amazon.
Amazon-Schelte, Amazon-Kritik, das ist ja durchaus en vogue. Und in vielen Punkt auch sicherlich nicht unbegründet. Aber eine Firma, die zumindest in ihrem allgemeinen Auftreten eine fast kultische Besessenheit für den Kunden als höchsten Empfänger allen Wohlwollens etablieren möchte – und dem in vielen Punkten auch nachkommt – ist tatsächlich gar nicht so anders; nur dass das „Kassengestell“, dem sich Jeff Bezos zugewandt hat, der Buch- und der Versandhandel ist.
Gerade in den Staaten kann man das mit dem Versandhandel sogar gar nicht zu oft betonen, denn in einem Land, bei dem man vor wenigen Jahren noch froh sein konnte, wenn ein Brief zeitnah sein Ziel fand, mit einem für uns in Deutschland unvorstellbar zerklüfteten Postsystem, in so einem Land in ersten Regionen nun Lieferungen noch am selben Tag zu bieten grenzt ans Absurde. Kein Wunder, dass die Resonanz hoch ist.

Der Buchmarkt, das ist eine schwierigere Angelegenheit.

Um noch mal zu Fielmann zu springen: Er hatte sich mit der Nulltarif-Brille viele Freunde und zugleich viele Feinde gemacht. Letztere aus den Reihen der Optiker heraus, denn es war wohl nicht nur so, dass Kassengestelle hässlich waren, sondern dass die Hässlichkeit der Kassengestelle zum schon expliziten Verkaufsargument umgeformt wurde, wenn es daran ging, den Kunden für eine teurere Brille zu begeistern. Das war ein Status Quo, der generell für alle funktionierte, aber vor allem für die Händler bequem und gut war.

Die unangenehme Frage ist nun: Gilt das auch für den Buchmarkt?
Es gibt eine Menge guter Argumente für den lokalen Händler: Beratung, Haptik, die Auslage im Laden. Dazu die Versicherung, dass Bücher binnen 24 Stunden bestellt werden können. Aber in der Praxis sieht das auch nicht immer so aus. Als ich dieser Tage in einem lokalen Aachener Buchladen eine Bestellung aufgab, durchaus nicht wenig, dann auch unter der Prämisse, die seien innerhalb eines Tages im Geschäft. Dann aber erhielt ich eine Mail, die von anhaltenden Problemen mit dem Großhändler sprach und mich um drei Werktage vertröstete. Das war kein Beinbruch, ich hatte es auch nicht eilig. Aber es ändert nichts an einer einfachen Tatsache: Mit Amazon bestellt währen die Bücher am nächsten Tag bei mir gewesen. Sogar ohne Umweg zum Laden.
Der wusste das durchaus aufzuwiegen. Der Ton der besagten Mail, der Umgang im Geschäft bei Abholung, das war alles vorbildlich und ich habe den Kauf dort nicht bereut. Da aber das Fielmann-Gespräch genau in diese paar Tage Verschiebung fiel, kam ich halt doch nicht umhin, mir da entsprechend meine Gedanken zu machen.
Genauso – die andere Einschränkung, gerade des Beratungs-Argumentes – bin ich aber auch in ländlicher Region aufgewachsen und die zwei Verkäufer unseres einen Buchladens kannten mich relativ schnell. Und so toll ich den Laden fand und finde – mehr als einmal wurde ich da auch mit einem skeptischen Blick über den Brillenrand hinweg bedacht ob der Trivial-Fantasy-Literatur, die ich da wieder bestellen kam. Das klingt vielleicht weniger bedeutsam als es ist, aber es hat auch etwas mit dem Käufer-Wohlgefühl zu tun; etwas, was glaube ich bis heute teilweise ausbaufähig wäre in vergleichbaren Geschäften. Es gibt eine Menge wirklich cooler und guter Buchhändler da draußen, aber leider auch immer wieder solche, die sich mehr oder weniger als elitäre Besserleser inszenieren. Da wird die persönliche Beratung dann schnell zur persönlichen Beurteilung. Wer diese Situation kennt, der schätzt vermutlich im Gegenzug die Anonymität bei Amazon.

Dort befindet sich man sich derzeit jedoch generell an dem schwierigen Punkt, gerne mal für alles der Buhmann zu sein. Das mag mit Seth Godins vier Stufen des Firmenwachstums zusammenhängen, ich denke es ist oftmals auch berechtigt, aber manchmal ebenso ein gewisser, zum Usus werdender Beißreflex. Wenn Dirk van den Boom in seinem Blog die Neuregelung der Umsatzsteuer bei eBooks als „Lex Amazon“ bezeichnet, hat er vermutlich auch nicht Unrecht. Die Sache ist halt nur die:
Ja, Fielmanns neues Geschäftsmodell hat damals viele Optiker vor eine (teils nicht zu schaffende) Herausforderung gestellt, aber es hat mittelfristig dazu geführt, dass sich nicht nur für die Firma ein Profit ergab, sondern letztlich haben auch die Leute gewonnen, die nun erschwingliche Brillen tragen können, ohne sich gleich wie ein Sozialschicht-Paria zu fühlen.
Und ja, Amazons Geschäftsmodell fordert den gesamten Buchhandel (und in Teilen: den Einzelhandel) heraus und nun stehen wir gemeinschaftlich an dem Punkt, an dem wir entscheiden müssen, ob wir die Spielregeln ändern wollen, um den Status Quo zu erhalten, der bisher geherrscht hat.

Um eines klar zu sagen: Mir geht es hier nicht um möglicherweise unterbezahlte Mitarbeiter, oder menschenunwürdige Bedingungen in Lagern, oder widerrechtliche Arbeitszeiten, oder etwas in der Art. Dass das an den Pranger gehört, darüber müssen wir gar nicht reden. Ganz gleich, ob wir hier von Amazon oder einem anderen großen Konzern sprechen.
Nur, was ich schon mehrfach sagte: Amazon ist ja nicht das quasi-monopolistische Monstrum geworden, das es ist, weil sie einfach nur die Bösen sind und fertig. Amazon ist, das muss man einfach sagen, verdammt gut in dem, was es leistet. Wenn das mal nicht der Fall ist, dann ist es auch plötzlich bei weitem weniger erfolgreich – die Wired hatte erst dieser Tage einen entsprechenden Artikel zum Amazon-Telefon.
Dass ich von quasi-monopolistisch spreche ist ebenso durchaus wichtig. Denn auch wenn scheinbar alle bei Amazon kaufen, macht es das nicht zu einem Monopol. Die Alternativen sind da. Die Frage ist ja vielmehr: Warum nutzen so viele den Dienst, trotz der bekannten Schwächen und Probleme?

Doch es steckt eine wichtige Lektion in der Fielmann-Analogie, und darum geht es mir ebenso:
Wir tun immer so, als wären die aktuellen Marktumbrüche rein ein Zeichen der Digitalisierung unserer Welt. Die strauchelnde Musikbranche im Schatten der MP3, der sterbende Zeitungsmarkt unter dem Damoklesschwert des Internets, die Kino-Betreiber und DVD-Hersteller im Antlitz der Streaming-Dienste und, ja, eben der Buchmarkt versus Online-Handel und eBook.
Doch in all seiner Parallelität, Fielmann war weder global, noch technisch getrieben. Fielmann hat den Leuten etwas geboten, was besser war, als das, was sie hatten. Und darum wird es immer gehen. Immer.

Einzelne Medien werden erfolgreich bleiben, wenn sie Content bieten, den Leute wollen.
Und Distributionswege werden dort verlaufen, wo es für die Leute am angenehmsten ist, sie zu nutzen. Ich besuche lokale Händler, weil dort der persönliche Nutzen für mich am Höchsten ist. Aber es ist nicht Amazons Schuld, oder die eines anderen Online-Händlers, wenn die Kunden lieber im Internet kaufen. Es ist in meinen Augen Unfug zu sagen, dass Leute heute Qualität nicht mehr zu schätzen wüssten und damit das billige Internetangebot gegenüber dem teureren Einzelhandel meint, ähnlich wie billige Fielmannbrillen damals den Kontrast zu teureren Produkten etablierter Optiker darstellten. Der Irrtum setzt früher ein, nämlich an dem Punkt, wo beziffert wird, was denn wohl überhaupt als Qualität gelten wird.
Als Beispiel: Sind Kunden wirklich zu faul, in den Laden zu gehen und wissen eine gute Beratung nicht zu schätzen, oder sind die Onlinekäufer eben vielleicht auch jene, die so eine Beratung gar nicht wollen und geradezu aufdringlich finden? Dann müsste die Frage vielmehr lauten, wie man eine Geschäftsatmosphäre schafft, die dem Kunden die Vorzüge ohne die (subjektiven) Nachteile bietet. Dafür muss man den Status Quo hinterfragen.
(Dieses Argument der Qualitäts-Grundlagen-Debatte lässt sich z.B. auch auf dem Zeitungsmarkt führen; das mache ich aber mal zu einem anderen Zeitpunkt. Wen das reizt, dem sei als einsteigende Lektüre Constantin Seibts Artikel Pittbulls der Demokratie empfohlen.)

Und so, wie sich niemand rechtfertigen muss, dass er seine Brille bei Fielmann holt anstatt beim teuren Optiker die Straße rauf, so sollten wir vor allem bald davon abkommen, dass Leute sich für den Weg rechtfertigen sollen, auf dem sie ihre Medien beziehen. Leute wollen guten Content, möglichst wenig Aufwand und möglichst viel Komfort beim Bezug davon. Der Content ist bei Amazon und dem lokalen Händler gleich; der Preis in Deutschland zumindest bei Büchern ja ebenso.
Der Wettbewerb aber, der muss jenseits allen Fingerzeigens endlich in den anderen beiden Feldern stattfinden.

Viele Grüße,
Thomas

2 Kommentare zu “Die Fielmann-Analogie

  1. Internetversandhäuser bieten mir das, was ich will, wann ich es will. Ich habe mich noch nie in einem Buchladen beraten lassen, ich wusste immer was ich wollte. Also bietet ein Buchladen für mich keinen Mehrwert, außer er hat eine antiquarische Abteilung und ich suche vergriffene Werke.
    Du musst übrigens nicht mal nach Amerika blicken, wenn du Verfügbarkeit als Element nimmst. Die von dir genannte Eifel oder auch der fucking Taunus, in dem ich inzwischen wohne, stellen dich ja vor logistische Probleme. Ich bin ja Anfang letzten Jahres umgezogen, um nicht mehr 7 km bis zur nächsten Gelegenheit Lebensmittel zu kaufen fahren zu müssen. Aber selbst hier in der „größeren Stadt“ gibt es keine Möglichkeit zum Beispiel Videospiele zu kaufen. Da wäre der nächste Laden eine halbe Autostunde entfernt. Da lobe ich mir doch den Internetversandhandel, auch aus dem Ausland.
    Aber Amazon ist ja nicht nur praktisch, es ist auch effektiv mächtig. Heute wird ja auch bisweilen nicht mehr gefragt, wie hoch der Umsatz ist oder wo man schon veröffentlicht hat, sondern wie das Amazon Ranking ist …

    • Moin!

      Der andere Mehrwert, den ich halt noch sehe, liegt im Haptischen. Aber da weiß ich ja auch, dass das nichts ist, was dich anzulocken vermag, insofern – ja, aus deiner Sicht völlig zutreffend.

      Was die Verfügbarkeit angeht, so hast du erst einmal Recht, was die Notwendigkeit zum Postversand allgemein betrifft. Anders als du bin ich ja in ländlicher Gegend aufgewachsen und der Erwerb von Videospielen, sofern der Extra-Markt sie nicht zufällig gerade führte, funktionierte prä Amazon halt so, dass ich eine Anzeige aus einem Videospiele-Magazin gelesen, dann dort angerufen, meist eine umständliche Nummer am Telefon durchgegeben habe, und die Lieferung dann per Nachnahme kam. Sicherlich ist das mit Amazon bequemer geworden, aber auch das damals hat funktioniert. Es ärgert ich gerade, nicht mehr zu wissen, wie der Laden hieß, wo ich immer bestellt habe ;)
      (Ende der 90er bekamen wir dann sogar einen Videospiele-Laden in den Ort, aber das ist dann eine andere Geschichte …)
      Was ich aber mit den Staaten meinte ist noch etwas anderes, denn bei uns, egal wie krude das System noch war, kam Post schon immer an. Das ist in Amerika halt nicht so selbstverständlich, aber das ist zugleich etwas, was Amazon zunehmend auskontert durch Experimente mit eigenen Lieferverfahren.

      Völlig Recht hast du dagegen, was ausländische Materialien betrifft. Englische Bücher trotz ISBN in unserem Eifel-Buchladen zu erhalten glich immer einer wilden Lotterie, und selbst heute muss man einfach sagen, dass rein preislich Amazon da auch die größeren lokalen Ketten völlig aussticht.

      Was zuletzt die Macht und das Ranking-Argument betrifft: Auch das ist richtig, ist allerdings schlicht nicht der Fokus des Artikels bzw. des Gedankengangs gewesen. Mir ging es ja explizit um Aspekte, in denen Amazon punktet, der Kunde aber auch. Ich vermute einer gewaltigen Mehrheit der Kunden wird die verlagspolitische Bedeutung der Amazon-Rangeinstufung herzlich wurscht sein, solange DVDs, Bücher und Geschirrspülgeräte nur pünktlich und ohne Schaden geliefert werden ;)
      Das ist dann wieder noch mal eine andere Facette, über die man ein anderes Mal sprechen sollte …

      Viele Grüße,
      Thomas

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