Hallo zusammen!
Die RPC ist nun eine Woche vorbei, es ist wohl Zeit, zurückzublicken auf … eine ganz andere Con, nämlich das Condra 11, das wir vor drei Wochen veranstaltet haben. LARP, ihr wisst schon. Wenn ihr es doof findet, bitte einfach diesen Beitrag ignorieren – nächstes Mal geht es nicht um Rollenspiel. Versprochen!
Für heute aber gilt es, einen Blick zurückzuwerfen auf eines dieser vielen Projekte, in die ich in den vergangenen Monaten so viel Zeit und Kraft gesteckt habe.
Aber fangen wir vielleicht vorne an …
Warum 11?
Seit 1999 existiert der Condra e.V. bereits, aber ich für meinen Teil bin erst zu seiner zehnten Hauptveranstaltung hinzugestoßen. Das ist auch in vielen Teilen durchaus graue Vorzeit, aber letztlich der Grund für die 11 hier im Namen. Meine erste mitveranstaltete Geschichte war das von zwei Vereinen getragene Condra 10 / Engonien 5, kurz Congonien, was in seinem gesamten Maßstab hier völlig außer Konkurrenz liegt und das mich nachhaltig genug beeindruckt hatte, dass ich es prä Blog drüben bei deviantArt in einem Journal verarbeitet habe (ich komme gleich noch drauf).
Zugleich liegt darin auch ein wenig der Grund für den großen Abstand zwischen 10 und 11, denn die Messlatte lag, nach dem „Mega-Event“, für uns selbst und unsere Ansprüche einfach unermesslich hoch. Aber wie das halt so ist, letztlich juckte es uns dann doch wieder in den Fingern.
Worum ging es
Ich muss euch ja jetzt nicht durch die ganze Chronologie der Ereignisse jagen – in Kürze gesprochen war es ein klassischer Plot vom finsteren Magier, der nach Göttlichkeit greift. Was es für mich so reizvoll machte, auch aus meiner üblichen „Erzähler von Geschichten“-Motivation heraus, war, dass es dennoch alles in Graustufen gezeichnet war. Der Magier war zwar ein böser Schwarzmagier, doch offenbar zugleich Diener desselben Gottes, den die Spieler als „den Guten“ ansehen. Es gab mögliche Verbündete, mit denen man ihn hätte aufhalten können, doch obschon sie der Sache der Spieler gedient hätten, waren sie ihrerseits keine strahlenden Helden, sondern finstere Wesen vom Vampir nebst Sukkubi bis zum Dämon.
Unser klassischer Standard-Feind war da, ein vom antiken Rom inspiriertes Heer sehr strukturierter, organisierter Soldaten, doch abseits der Frage, ob die Bringer von Straßen und Bildung nicht eh eigentlich eher die Guten sein sollten, traten auch diese gespalten auf und, ja, obschon sie eigentlich machten, was sie immer machen, hätten sie vielleicht sogar das Zeug gehabt, von Nutzen zu sein.
Kurzum: Das große Thema war eine Entscheidung zwischen Pest und Cholera.
Also genau das Zeug, aus dem man schöne Geschichten schreibt.
Mein Anteil: Der Fluch des 24/7
Und was habe ich inmitten all dieser epischen Ereignisketten getan?
Während nach einer Messe versucht wurde, den Schwarzmagier zu erdolchen, die Vampirin Verbündete fand und verlor wie nichts und alte Geheimnisse ans Tageslicht kamen, saß ich im Wald in einem Zelt.
In der Rolle eines räuchernden Eremiten hab ich eine – durchaus stattliche Menge – Weihrauch durchgeräuchert und Spielern, die sich zu mir verirrten, mit Wissen und Weisheit dienen können. Ich schrieb hier vor Jahren mal über den „Fluch der 360°“, also dass im LARP Dinge weitaus höheren Betrachtungsansprüchen genügen müssen als bei Film oder Theater, und gewissermaßen ist das ein Phänomen aus der gleichen Reihe. Ob nun in Film oder Buch, Theater oder sogar Pen&Paper-Rollenspiel, wenn man einen wirren Eremiten im Wald hat, ist der halt exakt so lange da, wie bei ihm Action stattfindet, denn nichts, was nicht aktiv erzählt wird, existiert. Im LARP aber ist es einfach notwendig, dass er auch die Zeit dazwischen dort ist. Das hatte in dem Falle den lustigen Darstellungs-Bonus, dass Weihrauch, in der Menge langsam erhöht, ohne große Beeinträchtigung zu ertragen ist … aber wenn dann nach einer Stunde jemand neu in das Zelt kommt, raubt es ihm gefühlt fast die Sinne. Ich komme gleich aus anderer Sicht noch mal auf diese Intensität zurück.
Es führt aber eben zu sehr viel „downtime“; Zeit, die man halt sitzt und wartet. Aber nicht zum ersten Mal musste ich erkennen, dass ich solche Rollen mag. Es hat etwas sehr ruhiges, meditatives … und meiner Erfahrung nach gab es bisher keine solche Situation, wo dann das Spiel, wenn nun jemand hinzu kam, nicht alles aufgewogen hatte, was ich mir vorher die Beine in den Bauch gekniet hatte.
Ey! Verstehst du?
Hürde Nummer 2: Der Eremit sprach keine verständliche Sprache. Jede Interaktion musste wahlweise mit Händen und Füßen erfolgen, oder aber … na ja, verkürzt gesagt, im Rahmen einer Queste verdient werden. Aber ja, jedenfalls, der Normalzustand war im wahrsten Sinne babylonisch.
Was ich da sprach war ein wilder Mix aus Japanisch, Eigenworten und einer Prise der fiktiven Minbari-Sprache Adronato. Es hat gut geklappt, denke ich.
Und es bestätigte eine ganze Reihe Vorurteile, muss ich sagen. Beispielsweise das Leute, wenn du ihre Sprache nicht sprichst, anfangen, weiterhin ihre Sprache zu verwenden, nur viel lauter und langsamer.
„Hey, verstehst du, was ich sage?“
„Doroba?“
„Verstehst – du – was – ich – sage?“
Großartig!
Und falls jemand selbst vorhat, so etwas im LARP zu verkörpern – arbeitet an eurem Pokerface. Es hat eine Menge Selbstbeherrschung gekostet, da zu sitzen und Contenance zu wahren, während wahlweise einer seinen Gefährten eine – völlig erfundene und abstruse – Simultanübersetzung liefert oder aber eine Bande Halsabschneider um dich herumsitzt und, du verstehst es ja eh nicht, darüber diskutiert, ob man dich jetzt verprügeln solle, um an die Infos zu kommen und erst mit und mit erkennt, dass das ja nichts bringt … du sprichst ja dann noch immer ihre Sprache nicht.
Die Brüllwürfel
Da ich aber im Vorfeld auch nützlich sein wollte – vom Kauderwelsch-Training mal abgesehen – haben wir noch einmal etwas probiert, was wir im Dezember 2012 schon mal versuchten: Verstreckte Lautsprecher als Geisterstimmen, um zufällig Stromernden etwas zu bieten, auf das man stoßen kann.
Zusammen mit Hildes Hilde Néomi habe ich eine tragische Dreiecksbeziehung konzipiert, aus der heraus ich dann im Endeffekt vier Hörspiel-Fetzen entwickelte, die man im Wald hätte finden können. Ein fünfter Schnipsel zum tragischen Ende des Dramas hätten die Spieler sich „freispielen“ können, haben sie aber nicht. Wer mag, kann sich das komplette Epos hier an der Stelle zumindest in den nächsten Tagen noch als MP3 herunterladen und schauen, was wir da gebastelt haben.
Nekaner!
Einmal „durfte“ ich aber auch aus meinem Zelt: Für den Aufmarsch der Nekaner – ihr erinnert euch, das römisch anmutende Heer – brauchten wir jeden Mann, schließlich sollte ja eine Bedrohungssituation aufkommen. Ich habe, ausgehend von der Truppe vor Jahren schon mal einen Artikel geschrieben, der, da er älter ist als dieses Blog, seinerzeit noch auf deviantArt und in englischer Sprache erschienen ist: I learned something about mankind, I think…
Wem das wahlweise zu Englisch oder zu tl;dr ist: Darin ging es mir um die Selbsterfahrung von Gruppendynamik, die Gleichschritt und skandierte Parolen halt gewissermaßen automatisch produzieren. Es ist ein bisschen wie „Die Welle“, nur weniger tragisch. Tatsächlich hat der Film von 2008 mit Jürgen Vogel aber ein paar nette Szenen, die den Gedanken gut tragen. Wie gesagt, mit dem endlosen Disclaimer, den ich schon damals schrieb: Bei uns sind das Rollen und am Ende des Cons ist Feierabend.
Dieses Mal aber gab es auch eine interessante Inversion der Ereignisse – denn dieses Mal landete, mehr aus dem Moment gebohren, der Job des Vorrufers bei mir. Und das Gefühl, die Dynamik, etwas über den Platz zu grölen, nur um es aus 30 Kehlen wiederklingen zu hören, das ist schon auch nicht ohne. Selbst wenn es völlig fiktiver Kram ist, wie die lateinischen Lobpreisungen, die ich vor zwei Jahren für ein anderes Con geschrieben und zum Teil noch auswendig im Kopf behalten hatte.
Und das bringt mich, mal wieder, zu meinem scheinbar ewigen Fazit in Sachen LARP:
Erfahren schlägt Erzählen
Stellt euch folgende Szenerie vor: Im Dunklen stapft ihr durch einen etwas unübersichtlichen Wald, einen Fluss entlang, um letztlich auf eine riesige Lichtung zu treten. In der Mitte der Lichtung, versammelt um einen fremdartigen Obelisken, steht ein Priester und hält eine Messe mit vielleicht zehn Jüngern ab. Es ist der Tag vor Neumond, insofern ist es stockdunkel, bis auf das Leuchten einiger sehr weniger Kerzen, der gebrachten Fackeln – und der Blitze eines Trockengewitters, die von lautem Donner umhüllt über den Himmel rollen.
Ist ein starkes Bild, oder? Das vereinzelte Aufblitzen, dass die nachtschwarze Lichtung kurz taghell werden lässt, die seltsam surrealen Schlagschatten, die das plötzliche Licht wirft, dazu das Grollen, dass aus allen Richtungen zu kommen scheint. Man kennt die Szenerie, aus Videospielen, aus Filmen, aus den guten, alten gothic novels und der deutschen Schauerromantik.
Aber im Ernst? Nichts, gar nichts, was ihr lest, kann der eigentlichen Erfahrung gleichkommen. Alle Sinne zeitgleich auf Empfang, keine Notwendigkeit dem Spiel in diesem Punkt mit Phantasie zu begegnen, da es letztlich echt ist, was einem widerfährt. Ich kenne kein Hobby und kein Medium, was da mithalten kann.
Aber selbst wenn man von den Fällen riesigen Glücks mit dem Wetter absieht – und riesiges Glück war es, da besteht gar keine Frage –, bleiben diese Momente nicht aus. Wir hatten in meinem Zelt so einen. Drei der Spieler bei mir, noch nicht über die Sprachhürde gekrochen, aber im Begriff zu Gehen, als von draußen Geräusche ertönten. Geräusche, die von – ich vereinfache hier massiv, aber wie gesagt, ich will ja nicht das Con nacherzählen, sondern darüber nachsinnen – einer Art Zombietrupp ausgingen. Offenbar drangen die Kreaturen nicht in das Zelt ein. Und so saßen die Spieler da, in einem völlig von Weihrauch verhangenen, stickigen Zelt und hörten das Schlurfen und Grunzen der „Raubtiere“ von draußen, sahen im prallen Sonnenlicht manchmal die Silhouetten der Feinde als Schatten über die Zeltbahnen huschen und mussten erkennen, dass ihre Rufe um Unterstützung nicht weit genug durch den Wald drangen.
Auch hier: Ähnliche Situationen können Film und Buch, Comic oder Videospiel auch bieten. Aber dieses Gefühl, dass die eigenen Stimme halt echt nicht weit genug trägt, dass nicht nur jemand bestimmt, dass dies so wäre, aber auch einfach die konzentrationsstörende Wirkung des stickigen, zugeräucherten Zeltes, das sind Aspekte im LARP, die niemand spielen muss. Das sind Aspekte, die man erlebt.
Und das ist es, was das Hobby so unfassbar faszinierend und für mich wertvoll macht.
Und außerhalb des Spiels
Bei all dem, was ich gerade sagte, sei noch einmal betont: Es ist und es bleibt ein Spiel und dieses Gefühl von gemeinsamer Unternehmung, völlig ab von allen Rollen, die jemand gespielt haben mag, ist ebenfalls ein guter Grund, immer wieder die immense Arbeit stemmen zu wollen, die solch ein Con mit sich bringt.
Aber wenn, nachdem alles gelaufen ist und die Nicht-Spieler-Charaktere nebst Orga noch in ihrem Besprechungsraum sitzen, während draußen das eigentliche Spiel abklingt, einer eintritt, der bisher eine immens anstrengende Rolle hatte und den Raum auffordert: „Gib mir ein Bier!“, und sich niemand rührt, aber alle Kehlen gleichzeitig wie die Cheerleader „BIER!“ brüllen, bevor man gemeinsam kichernd fast von den Bänken fällt, dann weiß man, was man hat.
Und da ist es dann auch völlig egal, dass sein Charakter Esteban ein ganzes Wochenende über gewissermaßen ein Widersacher meines Shavisu war; das Spiel ist durch und wir trinken gemeinsam, während wir uns erzählen, was jeder so cooles am Wochenende erlebt hat.
Wenn man am Tag darauf den Vereinsfundus mit dem LKW anfährt und streng durchorganisiert absurdeste Vereins-Paraphernalia in die verschiedensten Räume einsortiert – eine Tour durch den Fundus ist eh ein Erlebnis, jedes Mal aufs Neue –, um danach gemeinsam eine Imbissbude aufzusuchen und auch da die schönsten Momente des Wochenendes zu diskutieren, dann weiß man, warum man sich die Mühen aufhalst.
Auf der einen Seite bietet einem LARP diese einmalige Möglichkeit, Erfahrungen zu schaffen. Menschen Erlebnisse erleben zu lassen, die sie bis ans Ende ihrer Tage bei sich tragen werden, einfach weil es so unendlich viel intensiver ist, als nur davon zu lesen.
Auf der anderen Seit aber ist es auch gerade der Aspekt, all dies gemeinsam mit guten Freunden zu schaffen, der das Hobby so unbezahlbar macht.
Und – ich fürchte – das wird auch der Grund sein, weshalb dies nicht der letzte LARP-Artikel hier im Blog gewesen sein wird.
Übermorgen gibt es dann aber erst einmal wieder etwas ganz anderes.
Viele Grüße,
Thomas
PS: Vielen Dank an Gérard für die Fotos in diesem Artikel.
Das Wetter bei der Anreiste war so mit das BESTE am ganzen Wochenende!
Das Beste würde ich nicht unterschreiben, aber es war schon gehoben cool und eindrucksvoll, auf jeden Fall! :)
Viele Grüße,
Thomas
Beim Wetter „cool“ zu schreiben, muss nicht wirklich heißen, dass es gut war.
Das 360°-Problem ist eine wunderbare Umschreibung.
Zwei Gedanken zur meditativen Atmosphäre.
1.) Beim Vampire-LARP wurde ich – als Leibwächter des Prinzen – einmal im Park abgestellt, einen bestimmten Bereich zu überwachen. Da sollte auch was passieren, aber die SL war etwas gestresst, überfordert und dann, fast am Ende des Abends, *krax* erschien ein Geist und ich lief weg …
2.) Bei einem Pfadi-Geländespiel war ich Orga und gleichzeitig fester zentraler Anlaufpunkt – mitten im Wald. Irgendwann, da es nur zwei Gruppen gab, jagden sich, spielten und tollten drei Eichhörchen herum, Bäume rauf, runter, solage bis irgendwann eine der Pfadigruppen kam. Das war echt ein cooler Moment.
Das mit den Eichhörnchen ist spanend, da ich auf dem Condra 11 tatsächlich eine Weile aus meiner Schwitzhütte heraus ein paar Vögelchen beobachtet habe, die offenbar vor meinem Zelt nach Nest-Material suchten und mich, da reglos, gar nicht bemerkten :)
Scheint mir sehr ähnlich.