Freundschaft, Liebe, Dopamin

Hallo zusammen!

Disclaimer Nr. 1: Das wird ein persönlicher Artikel, geht ein bisschen um Weltanschauung und solche Dinge. Wer’s nicht mag, die Tage gibt es wieder was Buchbezogenes.
Disclaimer Nr. 2: Der Weg zum eigentlichen Thema wird jetzt erst mal kurz eine Runde mediales Schaulaufen. Ist aber alles zielführend. Voll wirklich!
Disclaimer Nr. 3: Viele Textreferenzen werden folgen, verkopft wird es auch.
Alles egal – mir war’s wichtig zu sagen, was jetzt folgt.

Es gibt eine Reihe medialer Einflüsse, die irgendwie auf dem einen oder anderen Wege zielführend waren, hinleitend zu diesem unseren heutigen Thema. Ich glaube angefangen hat es für mich mit Julia Engelmann.
Ich vermute, viele von euch haben das mitbekommen, oder? Julia Engelmann hat einen Poetry-Slam-Beitrag vorgetragen, Campus TV haben ihn im Sommer 2013 hochgeladen und vor einigen Wochen ist er dann, wie es nur im Internet geht, völlig explodiert und liegt bei mittlerweile fünf Millionen Betrachtungen. Julia spricht über das Leben und was man daraus macht, aber hey, das Teil geht fünf Minuten, statt langer Paraphrasen im Zweifel lieber ein Link für wirklich Interessierte.

Dann kommen wir zu Amanda Palmer. Haben wir hier schon mehrfach erwähnt, Musikerin, ein bisschen Social-Media- und Crowdfunding-Ikone, sozusagen als Bonus Gaiman-Ehefrau. Amanda twitterte vor einigen Wochen folgendes:

Im Zuge des Gespräches habe auch ich was eingeworfen:

Das ist irgendwie wichtig; ich komme nachher drauf zurück.

Weiter habe ich dann im Urlaub mit meinen Freunden zusammen die erste reguläre Folge Schulz in the Box geschaut – in der Musiker Olli Schulz sich in jeder Folge versucht, in einem anderen sozialen Milieu einzuleben – und bin darüber auf ein ur-japanisches Konzept gestoßen: Ein Kuschel-Café. Auf den ersten Blick wirkt es wie Prostitution – Kunden zahlen für körperliche Dienste. Allerdings geht es hier explizit nicht um Sex, sondern um die anderen Formen körperlicher Zuneigung, um Umarmungen, Vertrautheit, Zärtlichkeit. Gegen Geld. Auch darauf komme ich zurück.
Nur noch schnell der Hinweis – Schulz in the Box ist das erste deutsche Fernsehformat seit Jahren, das mich nach Pilotfolge und Erstling vollständig begeistern konnte. Die besagte Japan-Folge gibt es hier kostenlos im Netz in voller Länge.

Aber einen hab ich noch. Vorgestern war Valentinstag. Das Fest der Liebe und der Liebenden, sollte man meinen. Aber ist es nicht bezeichnend, dass beispielsweise der letzte Satz im Anleser (!) des zugehörigen Wikipedia-Artikels lautet:

„An Bekanntheit gewann der Valentinstag im deutschen Sprachraum durch den Handel mit Blumen, besonders jedoch durch die intensive Werbung der Blumenhändler und Süßwarenfabrikanten.“

Okay, ein Trümmerfeld an Quellen. Schauen wir mal, wohin uns das führt.

Der Valentinstag ist nicht unumstritten. Sicherlich ist kein Anlass, einander zu sagen, dass man sich liebt, jetzt grundlegend verkehrt, aber es ist eher die Wahrnehmung, dass es einen Anlass braucht, die einen besorgt. „Der Valentinstag ist kein Feiertag der Liebe, er ist der Weltgedenktag für die Kopplung der Liebe an die Warenästhetik“ (Quelle: Die Zeit) schreibt die Zeit unfassbar schmissig und ja, ist nicht falsch, oder?
Letztlich wird es immer eine Frage der individuellen Intention sein, ob man hier die schöne Gelegenheit nutzt, noch einen draufzusetzen, oder ob das Datum mehr die pflichtschuldige Erinnerung ist, dass man ja vielleicht doch noch mal was sagen könnte.

Erst darüber ist mir selber klar geworden, inwiefern der Engelmann-Beitrag sich ins Thema fügt, denn letztlich ist Teil der Botschaft dort doch, dass man auch mal endlich tun, nicht nur immer planen soll. „Lass mal Dopamin vergeuden“, sagt sie. Aber noch wichtiger:

„Und unsere Zeit, die geht vorbei – das wird sowieso passieren. Und bis dahin sind wir frei und es gibt nichts zu verlieren. Lass‘ uns, uns mal demaskieren und dann sehen, wir sind die Gleichen. Und dann können wir uns ruhig sagen, dass wir uns viel bedeuten, denn das Leben, das wir führen wollen, das können wir selber wählen.“

Nur tun wir das oft nicht.

Enzensberger schreibt in seinem Gedicht „Geburtsanzeige“ über ein Kind

wenn es mit krummer hand die luft noch fremd begreift
steht fest was es bezahlt für milch und telefon

Und obschon „verteidigung der wölfe“ – worin es veröffentlicht steht – schon 57 Jahre alt ist, beschreibt er doch den gleichen Punkt. (Nebenbei, das Buch ist einer der besten Gedichtbände, die ich kenne, da ist eh jeder Vers ein Zitat.) Wir leben in einem Takt, wir leben in einer Norm, in einem Rhythmus, der uns vorgegeben wird.
Das ist nicht neu und nicht mal maßgeblich schlimm, die Kritik daran vermutlich so alt wie die Idee der ersten Jugendbewegung. Aber es beginnt zu einem Dilemma zu werden, wenn in diesem Rhythmus etwas so aus dem Takt gerät, dass die Grundkonzepte unseres Miteinanders in Unwucht geraten.

Das führt zu japanischen Kuschel-Cafés und die führen zu einer schweren Frage: Vereinsamen wir? Nun, bisher sicherlich nicht in dem Maße, wie es offenbar in Japan, explizit in Tokio der Fall ist. Wenn all diese Work/Life-Balance-Gurus davon sprechen, dass uns die Zeit für uns selbst fehlt, dann impliziert das auch auf gewissen Ebenen, dass uns die Zeit füreinander fehlt. Zeit füreinander, damit meine ich nicht das routiniert abgespulte gemeinsame Frühstück und auch nur in eingegrenztem Maße das, was ich gerne „Treffen anlässlich von“ nenne. Kreative Hobbys neigen dazu, das zu erzeugen. Ich treffe Leute wegen Saltatio, wegen Hilde, wegen LARP-Aktivitäten. Das ist alles schön, gut, wichtig. Aber es ist kein Miteinandersein zum Selbstzweck.
Wir lehren unsere Kinder, dass die Schule erst mal vorgeht, damit sie eine gute Ausbildung bekommen. Dass die Ausbildung vorgeht, damit sie einen guten Job bekommen. Dass sie im Job immer nach höheren Weihen streben sollen, damit sie ein besseres Leben führen. Aber all das frisst Zeit und Freiheit.
Es gibt ja durchaus genug Gedanken, dass zumindest ein Teil der scheinbaren ADHS-Schwämme unserer gerade heranwachsenden Generationen hausgemacht ist, dass es ein weltgewordenes Symptom einer Kindheit ist, in der man alles sein dürfen sollte, aber für jene die Auffallen, die Ausfallen, für Rabauken keinen Platz gibt. Und oh, dies ist kein Plädoyer für die Rabauken, ich war am Schulhof immer der, der sich am Ende zwischen Turnschuh und Bitumendecke befand. Aber ich hatte eine Kindheit, in der ich auch Zeit hatte für Dinge, die mir wichtig waren. Selbst wenn diese vielleicht nicht alle zukunftsperspektivisch zielführend waren.

Der französische Philosoph Yann Dall’Aglio legt nahe, dass zumindest ein Teil unseres materialistischen Wertebildes gar nicht so sehr aus der Lust am Materiellen erwächst, sondern daraus, dass dieses Materielle eine Art Währung zu sein scheint, durch die wir begehrenswert werden. Das knüpft an seine Definition an, Liebe sei „das Begehren, begehrt zu werden“, wie er es auch in seinem sehenswerten, wenngleich gegen Ende scheinbar gekürzten TED-Vortrag „Love – You’re doing it wrong“ definiert.

Irgendwie schlägt das eine gruselige Brücke zu der Realität von Kuschelcafés, wenngleich ich sicherlich nicht sagen will, dass gewissermaßen alle Liebe käuflich erworben ist.
Aber wir machen diesen ganzen Quatsch doch, um glücklich zu sein, oder? Wir machen das doch, damit wir abends mit einem Lächeln einschlafen und morgens mit warmen Gedanken aufwachen können. Wir suchen, was uns zufrieden macht. Und teilweise habe ich das Gefühl, dass wir uns da in eine Möbiusschleife des Strebens begeben haben.
Wie ein ertrinkender, der kniehoch im Wasser steht, aber lieber hart einer absurden Tätigkeit nachgeht, weil ihm jemand anderen Ende ein Glas voll versprochen hat.

Gerade das Bild von Familie hakt, donnert und scheppert so arg gewaltig mit den Lebensumständen, die viele heute haben. Auf der einen Seite bäumen sich da teilweise in der jüngeren Zeit ganz angsterfüllende, reaktionäre Gedanken auf – etwa, wenn mal wieder homosexuelle Partnerschaften völlig hohl und dumm herabgestuft werden sollen, weil dort ja keine Kinder entstehen können und mal wieder dieses Gruselschlagwort der Familie als Keimzelle der Gesellschaft geschwungen wird –, auf der anderen Seite ist das aber auch ein Punkt, wo wir tatsächlich ansetzen können. Mindestens, nachzudenken.
Schon vor etwas über zwei Jahren schrieb ich über die Idee der „Familie des 21. Jahrhunderts“ als ein Konstrukt, das sich aus Freunden, nicht aus Blutsverwandten zusammensetzt. Nachzulesen hier.
Wobei das nicht kontradiktorisch ist, was mir wichtig ist; Verwandte können auch Freunde sein. Ist aber nicht der Punkt.

Armistead Maupin unterscheidet in „Michael Tolliver Lives“ zwischen einer biologischen Familie und einer logischen Familie; letztere eben genau in die Kerbe schlagend, die ich auch bereits umrissen habe – und um die es eben auch in dem eigenen Tweet ging, den ich zitierte.
Nur, verflucht noch eins, müssen wir anfangen, diese zweite Ebene auch mal zu wertschätzen. Und zwar richtig.
Nur stoßen wir da auf ein weiteres Problem – Zuneigung ist kompliziert geworden, was mediale Leitbilder angeht. Und da spreche ich nicht mal von Liebe allein, sondern in jeder Form von Freundschaft gedacht.
Ich wäre versucht zu sagen, das Zeigen von Zuneigung stünde in einem schlechten Licht. Ist aber eigentlich falsch, es steht in schlechten Lichtern. Mega-Plural.
Zuneigung suggeriert Schwäche, Zuneigung suggeriert Verletzbarkeit, was beides nicht gerade hoch im Kurs steht. Wir hören so viel über Stalker und derartige Begehrlichkeiten – und erfahren es selbst, ich hab da auch Geschichten, die ich hier nicht erzählen werde –, dass der Gedanke, Zuneigung zu zeigen, vielleicht schon erschreckt. Zuneigung zwischen Männern ist automatisch „schwul“, (und ‚da hat ja keiner was gegen, aber …‘), wohingegen Zuneigung zwischen Mann und Frau in einem Maße sexualisiert wurde, dass die Vorstellung, dass es dabei um etwas anderes gehen kann, schon fast albern wirkt, spricht man sie aus.
Und irgendwo da liegt das Problem.

Irgendwo da befinden wir uns an dem Scheitelpunkt all dessen, was uns hergeführt hat. Die Frage nach dem Stellenwert einer Ehe, oder, viel zentraler, die Frage nach dem Stellenwert von Alternativen. Gleichsam nach Alternativen für die alte Familienbande; meinethalben eine Freundesbande.
Auch die Frage nach der Vereinsamung in einer an sich regelrecht auf uns eindrängenden Gesellschaft kehrt hier ein; einer Gesellschaft, die sich auf den Kopf stellt, um das Begehren, begehrt zu werden, zu erzeugen und in diesem Streben nur vereinsamt, vielleicht alleine, weil sie verlernt, sich zu sagen, wie sehr sie sich braucht.

Und das ist eine Eigenschaft, die wir brauchen. Wir alle.

Und wer weiß, wenn auch nur einer durch diesen langen Artikel in diesem mittelkleinen Blog vielleicht nun loszieht und jemandem, dem er es so noch nie gesagt hat, sagt, was er ihm bedeutet, oder einer jemand anderem eine Umarmung schenkt, mit der er nicht rechnet – dann hat sich die Schreibarbeit bereits mehr als bezahlt gemacht.

Wir haben nur dieses eine Leben.
Versuchen wir doch, es richtig zu machen.

Danke fürs Lesen!

Viele Grüße,
Thomas

Ein Kommentar zu “Freundschaft, Liebe, Dopamin

  1. Pingback: Du arbeitest zu viel | Thomas Michalskis Webseite

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