Hallo zusammen!
Dass Schriften bestimmte Größen haben, ist heute im Zeitalter von MS Word und Konsorten natürlich für niemanden mehr eine Neuigkeit. Ich kann nicht beurteilen, ob das vielleicht früher etwas war, worüber man nicht nachgedacht hat, aber seit ich meinerseits selig auf dem Amiga 500 das erste Mal den Schriftgrad verändert habe, ist das Konzept auch mir klar.

Der Schriftgrad unter MS Word 2011: Hier liegt er bei 12. Aber 12 was?
Wer nun Word benutzt, der wird, je nach Version, ein neues Dokument wahlweise etwa in Times New Roman oder Cambria beginnen, höchstwahrscheinlich aber mit einer Textgröße von 12.
Aber 12 was?

Ein beliebiges Online-Forum – hier findet sich die Maßangabe pt.
Wer sich ein wenig in der Materie verirrt, der stößt vermutlich früher oder später auf die Bezeichnung „Punkt“, um das Maß zu benennen. Manche an Profis gerichtete Software wie Adobe Indesign kennzeichnet das auch durch ein Pt hinter der eingestellten Zahl, doch auch etwa in Foren kann man auf eine entsprechende Kennzeichnung stoßen, wenn man den Schriftgrad ändert und dann in den Code schaut. Aber was für Punkte sind das?
Schnell merkt man, dass dies eine Frage ist, die so pauschal oder gar kurz gar nicht zu beantworten ist. Da mich das aber ja noch nie aufgehalten hat, unternehmen wir doch mal eine kleine Zeitreise.

Open Office hält es mit Word – und äußert sich nicht zur Maßeinheit,
Wir schreiben das Jahr 1784. François Ambroise Didot, gerade 54, seines Zeichnes Buchdrucker und Schriftgießer, ist der Sohn des Druckers François Didot und Vater der ebenfalls zum Druckhandwerk tendierenden Kinder Pierre und Firmin. François Ambroise hat eine Reihe bedeutsamer Ideen hinterlassen, aber keine davon so weitreichend wie sein Punktmaß.
Ausgehend vom „Pariser Fuß“ (pied du roi) – einem Längenmaß von 32,48 cm – definierte er ganz präzise, dass ein solcher Fuß 12 Zoll, und ein solcher Zoll 72 Punkten entspräche. Somit entsprach ein point nach Didot etwas gerundet etwa 0,376 mm und konnte so präzise das Ausmaß einer Schriftart definieren.
Zwar war Didot nicht der Erste, der das versuchte – ihm voraus gingen in den davor vergangenen hundert Jahren u.a. Sébastien Truchet und Piere Simon Fournier –, doch er war der Erste, der sich durchsetzen konnte. Ausgehend von diesem Maß wurden dann weitere Stufen definiert, etwa das Cicero: ein Schriftgrad von 12 Punkten, also der Standard, von dem wir ausgegangen sind. Doch auch darüber hinaus wurden Stufen eingeführt, sodass etwa vier Cicero (oder 48 Punkte) eine Konkordanz darstellten.

Adobe InDesign sagt Pt statt P; es muss also mehr dahinterstecken …
So weit so einfach, nicht wahr? Wir stoßen auf ein Problem, wenn wir uns die Skala anschauen – ein Cicero misst etwa 12 p. Richtig, p, nicht pt; es muss also noch komplizierter werden. Und ja, das wird es auch.
Im 19. Jahrhundert kommen die Linotype genannten Satzmaschinen nach Europa. Auch in ihnen wird der Schriftgrad in Punkten gemessen, aber in sogenannten Pica-Punkten. Als gäbe es nicht genug Fußmaße auf diesem Planeten, so hatten die amerikanischen Drucker beschlossen, einen eigenen zu definieren. Der amerikanische Druckerfuß liegt bei 1024/1000 eines römischen Fußes. Der römische pes misst 296,252 mm, der Druckerfuß demnach 303,5 mm. Es bedurfte einer ganzen Reihe von Konferenzen, an deren Ende das von Lawrence Johnson; vertretene Maßsystem „gewann“, wodurch 1886 das Ausmaß eines typografischen Punktes auf 0,01383 festgelegt werden konnte. (Mich hätte ’ne sozusagen unendliche Zahl in meinem Maßsystem ja gestört …)
1959 wurde es dann offiziell auch in das metrische System konvertiert und auf 0,35136 mm festgesetzt. Auch hier kann man den Spaß dann skalieren, denn 12 Punkte nach Johnson sind ein Pica und sechs Pica sind ein Zoll. Hurra!
Nur bringt uns das noch immer nicht ans Ziel, denn ein Pica entspricht 12 pp; nicht pt.
Um dieses Rätsel zu lösen, geht es fast wieder in die Gegenwart. Ausgehend von dem 1959 definierten „Kompromissfuß“ der angelsächsischen Welt wird im Zuge der wachsenden Verbreitung von satzgeeigneten Heimcomputern der Desktop-Publishing-Punkt definiert. Von wann genau das Maß stammt, weiß ich tatsächlich nicht zu sagen, aber seinen Siegeszug trat es über die Verwendung als Grundlage für Adobe Postscript, als Ausgangspunkt der Bildschirmauflösung des ersten Macintosh und nicht zuletzt durch seine Nutzung beim 1985 erschienen Apple LaserWriter an, mit dem die ganze DTP-Geschichte erst ins Rollen kam.
Und tatsächlich ist der typografische DTP-Punkt, kurz – hier haben wir es jetzt – pt, eine relativ clevere Sache. Zwar ist er mit 0,3527 mm noch immer verkorkst klein, aber entspricht damit 1/72 eines Kompromiss-Zolls. Somit ist eine Schrift von 72 pt exakt einen Zoll hoch – was auch erklärt, warum 72 die gängige Standard-Höchstgröße in vielen Programmen ist.
Es ist sogar noch etwas cooler: Bei 300 dpi, der Druckauflösung der meisten gängigen Drucker, wird ein pt mit vier Bildpunkten gedruckt, wodurch dann ein einzelner Buchstabe in Punkt 12 mit exakt 50 Bildpunkten gedruckt wird.
Nett, oder?
Ist damit nun alles gut?
Mitnichten.
Denn viele Leute, die schon mal mit den Schriften auf ihrem System herumgespielt haben, werden die Erfahrung gemacht haben müssen, dass 12 pt nicht gleich 12 pt zu sein scheint, sondern manche Schrift größer, manche kleiner wirkt.
Um zu verstehen, wie das kommt, müssen wir wieder zurück auf dem Zeitstrahl, hin zu der Zeit des klassischen Buchdrucks. Denn alle Punktmaße, p, pp, pt, alle Punktmaße beschreiben die sogenannte Kegelhöhe eines Buchstabens. Also die Höhe des Bleikegels, auf den der entsprechende Buchstabe geprägt wurde. Ist die Schrift nun aber sehr geschwungen und verziert, „schrumpft“ der eigentliche Buchstabe in Relation zu den Kegelmaßen natürlich. Das wäre etwas gewesen, was man mit dem Wechsel zum DTP-Punkt vielleicht hätte angehen können – gemacht hat es jedenfalls keiner. Und so leben wir mit einem System, das ganz explizit für die Nutzung im digitalen Satz erstellt wurde und dessen Basisprämisse nach wie vor das Konzept von Bleikegeln bildet.
Wer da eine Lösung sucht, der muss sich mit der DIN auseinandersetzen. In DIN 16507 wird ein System definiert, dessen kleinste Einheit die Quart (q) ist, da sie einem Viertelmillimeter gleichkommt. Das Tolle an der Quart ist, dass sie nicht die Kegel-, sondern die Versalhöhe der Buchstaben bestimmt (siehe obiges Bild); eine unglaublich sinnige, konsequente und im Setzeralltag leider völlig belanglose Definition.
Zwar wird das metrische Schriftgrößensystem im technischen Bereich grundsätzlich unterstützt, etwa in TeX, aber im Buchsatz ist es nicht einmal eine Randnotiz, was natürlich nicht zuletzt an der Allmacht der angelsächsischen DTP-Programme liegt. Man ist ja schon froh, dass die Adobe-Palette mit dem metrischen System sonst generell gut klarkommt.
Wie so oft alles relativ verworren, möchte ich meinen. Aber dennoch spannend, wie ich finde. Vor allem zeigt es, wie viel Geschichte und wie viel Überlegung in seinem so alltäglichen Faktor stecken können, wie etwa dem Schriftgrad.
Nächstes Mal in der „Haben Sie eigentlich schon mal …“-Reihe wird es aber wieder weniger typografisch und wieder mehr allgemein aufs Buch bezogen, denke ich.
Viele Grüße,
Thomas
Interessant! Sehr vergnüglich und gut geschrieben, Thomas. Es ist immer wieder spannend Neues zu lernen. Bloggen bildet! :-)
Hallo!
Und danke für das Lob! :)
Freut mich sehr, dass es gefallen hat!
Viele Grüße,
Thomas