Haben Sie schon mal über rechts und links in Büchern nachgedacht?

Hallo zusammen!

Als ich gestern Morgen meine Mails abrief, fand ich dort den aktuellen Amazon-Newsletter vor, der mir ohne Umschweife das neue Album von Zaz empfahl. Wer hier schon länger dabei ist, weiß vielleicht, dass ich Ende 2011 die vor positiver Energie fast fliegende chanteuse als eines meiner absoluten musikalischen Highlights des Jahres betrachtet habe, insofern interessiert mich das neue Album natürlich wirklich. Aber was mich da noch viel direkter ansprang war der Titel, der nämlich um Ecken an etwas gemahnt, was ich hier schon lange mal besprechen wollte. Das Album heißt Recto Verso.

Bücher haben ja, da verrate ich jetzt niemandem etwas Neues, wenn man sie aufgeschlagen hat, zwei Seiten, eine links und eine rechts. Üblicherweise ist die rechte Seite dabei von der Seitenzahl her ungerade, weil ja per Definition Seite 1 auf dem geschlossenen Buchblock oben liegt. Aber weil ja im Druck- und Satzwesen im Grunde alles eigene Begriffe hat, ist das auch hier so. Die rechten Seiten nennt man hierzulande recto, die linken Seiten verso.
Das ist allerdings eine Frage der Leserichtung, denn im Grunde hat die Bezeichnung nichts mit links und rechts, sondern vielmehr mit vorne und hinten zu tun.

Aber fangen wir historisch vorne an. Die beiden Begriffe kommen aus dem spannenden, aber auch speziellen Gebiet der Papyrologie. Ohne da jetzt zu weit eintauchen zu wollen – das ist ein Thema für ein anderes Mal – wurden bei Papyrus-Schriftrollen die beiden Seiten unterschiedlich beschriftet. Und auf den gut zu beschreibenden Innenseiten der Dokumente stand der Text gerade auf den einzelnen Papyrusstreifen, auf der Außenseite dagegen dazu um 90° gewendet. Recto heißt demnach auch „aufrecht“, „gerade“ oder „richtig“, wohingegen verso so viel wie „gewendet“ bedeutet. Und wie so oft ist von dieser ursprünglichen Bedeutung heute nur noch eine Nuance übrig.

Die rechte Seite zeigt den Beginn des nächsten Kapitel (recto), auf der linken Seite mündet das vorige Cover (verso).

Die rechte Seite zeigt den Beginn des nächsten Kapitel (recto), auf der linken Seite mündet das vorige Cover (verso).

Dennoch ist die Begrifflichkeit wichtig. Wer sich aufmerksam mit Büchern auseinandersetzt, wird bemerkt haben, dass bei vielen Büchern die Kapitel, mindestens aber die Überkapitel stets auf der rechten Buchseite, also der recto-Seite, beginnen. Das nebenstehende Bild stammt aus dem Buch Hylträa, das ich für den Condra e.V. gesetzt habe; so wie ich generell dieses Mal Beispiele mehr oder weniger aus eigener oder nahestehender Produktion gewählt habe, alleine, wegen der rechtlichen Fragen.

Beim Blättern in 'Lord Valentine'

Beim Blättern in ‚Lord Valentine‘

Es hat dabei einen Grund, dass das so gehandhabt wird. Wenn man umblättert, ergreift man ja die rechte Seite und schlägt diese nach links um. Das führt dazu, ganz notgedrungen, dass das, was zunächst „fest“ ist, was direkt ins Auge fällt, die rechte Seite ist, da die (zukünftige) Links sich ja noch in Bewegung befindet. Dadurch wird diese rechte Seite, oder vielmehr die recto-Seite gegenüber ihrem verso-Pendant ausdrucksstärker und fällt mehr ins Auge. Das nebenstehende Foto zeigt mich beim Blättern im beim Mantikore-Verlag erschienenen Lord Valentine von Robert Silverberg, rein als Beispiel.

Im Buchsatz macht man sich das nun zunutze. Indem man Kapitel auf der rechten Seite beginnen lässt, macht das den Gesamteindruck stärker. Es hilft sowohl dabei, beim Blättern ein bestimmtes Kapitel zu finden, als auch, ganz natürlich die Aufmerksamkeit des Lesers durch das gesamte Buch zu leiten. Was ja, wenn man es nüchtern betrachtet, die höchste Kunst im Layout darstellt.

Ohne die zwei Zeilen auf der verso-Seite könnte man links von einer Vakatseite sprechen.

Ohne die zwei Zeilen auf der verso-Seite könnte man links von einer Vakatseite sprechen.

Bisweilen führt es dazu, wie im nebenstehenden, ebenfalls Lord Valentine entnommene Beispiel, dass die verso-Seite ganz oder fast leer ist. Bleibt sie ganz leer, spricht man auch von einer Vakatseite, ein Begriff, auf den einzugehen ich schon vor über einem Jahr einmal versprochen habe und was ich wohl dann auch bald mal nachholen werde.

Die rechte Seite ist hier dominanter, alleine, weil sie rechts ist

Die rechte Seite ist hier dominanter, alleine, weil sie rechts ist

Interessanterweise geht die Psychologie dahinter aber sogar noch weiter. Konditioniert durch die allgemeine Lese- und, im weiteren Sinne, „Buchbenutzungs-Erfahrung“, wirkt die recto-Seite generell dominanter auf uns. Nicht nur während des fortlaufenden Prozesses des Blätterns, sondern auch danach. Das nebenstehende Bild zeigt eine Doppelseite aus dem ersten Band der Bilder aus Condra, und auch wenn es natürlich andere Faktoren wie die Farbigkeit oder den gewählten Ausschnitt gäbe, so wirkt die rechte Seite nicht zuletzt deshalb dominanter, weil sie eben rechts ist.
Brave, pawlowsche Leser sind wir.

Und wie schon angedeutet: Wer in einer Sprache unterwegs ist, deren Leserichtung von rechts nach links verläuft, für den ist es entsprechend vertauscht.

Und ist es all das, worauf Zaz mit ihrem Album anspielt?
Gut möglich, dass das alles nur Hintergrund ist. Denn im Französischen gibt es eine Redewendung: le mode recto verso. Ein idiomatischer Ausdruck, der zwar so etwas wie „die zwei Seiten eines Blattes“ benennt, aber eher analog zu verstehen ist mit dem deutschen „zwei Seiten derselben Medaille“ oder dem englischen „two sides of the same coin“.
Vielleicht wird es uns das Album ja verraten. Wer es vorbestellen will, kann die CD hier normal und hier als Deluxe Edition sowie hier als besonders limitierte Deluxe Edition mit CD, DVD und Vinyl finden. Wer MP3s vorzieht, kann sich etwa den Link hier schon mal vormerken, auch wenn Amazons neues MP3-Kauf-System ja keine Vorbestellungen ermöglicht.

So, und beim nächsten „Haben Sie schon mal“-Beitrag geht es dann wirklich mal an die Vakatseiten. Wer nachlesen will, was ich sonst zum Thema „Buch“ bisher geschrieben habe, kann sich hier einen Überblick verschaffen.
Und nächstes Mal gibt es dann wieder Zwischenstände!

Viele Grüße,
Thomas


Bibliographie der Bildquellen:

Silverberg, Robert: Lord Valentine. Die Majipoor-Chroniken, Band 1. Frankfurt: Mantikore-Verlag 2012. Lektorat, Satz und Einbandgestaltung. Bei Amazon betrachten.
Bilder aus Condra. (Die condrianische Bibliothek, Band 2). Herausgegeben mit Susanne Evans, Lars Raasch et al. Imgenbroich: Condra e.V. 2010. Bei BoD bestellen.
Das Buch Hylträa. (Die condrianische Bibliothek, Band 4). Herausgegeben zusammen mit Susanne Evans, Lars Raasch, Anke Simon et al. Imgenbroich: Condra e.V. 2012. Bei BoD bestellen.

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