Twilight: Gedanken zu einem der erfolgreichsten Bücher der letzten Jahre

Eigentlich veröffentliche ich meine Rezensionen ja auf der DORP. In diesem speziellen Falle aber denke ich, ist der Text hier besser aufgehoben als auf unserer Rollenspiel-Webseite. Ach ja, an einigen Stellen gibt es Spoiler. Und es wird lang.

Zwielicht – Eine Einleitung

Beginnen wir (fast) vorne. Ganz vorne steht die Tatsache, dass mir Stephenie Meyers erster „Twilight“-Band geschenkt wurde, sozusagen, um mich auf die Gefahr meiner Behauptung hinzuweisen, Buchgeschenke an mich gingen immer. Ich schrieb bereits darüber.
Interessanter ist, dass sozusagen parallel dazu Gérard ebenfalls von jemand anderem irgendwie das Versprechen abgerungen bekam, das Buch zu lesen und wir uns sozusagen nun parallel unseren Weg dort hindurchbahnen konnten. Offenbar taten wir das sogar so unterhaltsam, dass Gérards Freundin vorvorgestern noch via ICQ ihr bedauern zum Ausdruck brachte, dass sie nun abends nicht mehr unser beider Traktate anhören könne.
Nun, wer weiß, vielleicht ergibt sich ja noch mal eine Chance. Aber das soll hier nicht Thema sein.

Schummerlicht – Gedanken vorweg

Mir ist eine Sache hier wichtig, bevor ich in das Buch weiter einsteige. Es liegt mir fern, sehr, sehr fern, es in irgendeiner Weise madig zu machen. Die Reihe hat sich ja unbestritten gut verkauft, genauso wie die Filme ordentlich abgeräumt haben. Und ich will niemandem, der an irgendeinem Punkt Spaß an den Büchern hatte, da reinreden.
Das ist ja schon immer ein Kreuz gewesen, was die Frage angeht, ob ein Buch gut ist. Die Frage ist schon alleine kritisch, weil manches „gefeierte Meisterwerk“ nicht wirklich gut dastünde, wäre eine direkte Korrelation von Verkaufsrang und Qualität möglich; gleiches gilt für viele Geheimtipps. Aber: Twilight hat derzeit auf Amazon.com 5.888 Bewertungen erhalten, von denen 3.731 fünf Sterne gegeben haben, und aufaddiert sogar 4.809 Bewertungen, die bei drei oder höher lagen. Wenn ich nun also ein Buch habe, das mehreren tausend Leuten gut oder sogar sehr gut gefallen hat, dann hat das Buch in jedem Fall etwas richtig gemacht. Und ich wäre der Letzte, der das nicht anerkennen würde.
Wichtig ist nur im Umkehrschluss, dass man anerkennt, dass nicht jedes Buch für jeden Leser ist. Aber ich denke, darauf können wir uns einigen.

Dämmerlicht – Was gefällt

Und um nicht zuletzt die Erwartungshaltung derer, die mir das Buch geschenkt haben, ein wenig herauszufordern, fange ich doch mal bei dem an, was mir tatsächlich gefallen hat. Das ist zugegebenermaßen nicht irre viel, aber es gibt durchaus einige Argumente dafür.
Letztlich muss man sagen, dass sich das Buch bei aller folgenden Kritik am Stück runterlesen lässt. Twilight ist kein kurzes Buch, echt nicht, aber dennoch fliegt man geradezu durch die Seiten. Die negativen Aspekte dessen kommen gleich, aber dennoch ist das nicht selbstverständlich. Ich kann auch ehrlich gesagt gar nicht genau sagen, woran das liegt, aber es ist letztlich das, was im Kino unter Popcorn-Unterhaltung fällt.

Elisa Hansen brachte zudem einmal das ganz spannende Argument, dass Twilight vermutlich das ist, was einem der Gegenwart entstammenden Vampirmythos am Nächsten kommt, alleine, weil Meyer offenbar (Quelle nicht geprüft) recht wenig in die allgemeine Richtung des Vampirmythos’ recherchiert hat. Sie hat sich, als Mensch des 21. Jahrhunderts, hingesetzt und aus ihrem eigenen Erzählbedürfnis und offenbar auf Basis eines eigenen Traumes daran gemacht, den Mythos neu zu erfinden. Das ist ihr jetzt nicht zwangsläufig gut gelungen, aber es ist literaturhistorisch schon spannend.
Zumal Meyer eigentlich mehr vernünftig hinbekommt, als man meinen sollte. Das Glitzern ist albern, ja, aber dass Vampire in der Sonne nicht gleich die Fackel markieren ist eigentlich gar nicht mal so extrem, denn auch wenn es gerne vergessen wird, war auch Dracula in der Lage, in die Sonne zu gehen. Nicht gerne, aber er konnte. Erst als dann Friedrich Wilhelm Murnau seinen „Nosferatu“ gedreht hat und quasi einen Fanfilm drehte, da er zwar ganz offensichtlich Stokers Buch verfilmte, aber keine Rechte daran hatte, war eine der damit verbundenen Änderungen, dass Vampire im Sonnenlicht zu Staub zerfallen. Auch die unwiderstehliche, verführerische Aura ist letztlich schon bei Dracula gegeben, stolpert in der Meyer-Umsetzung nur teils über die eigenen Füße.

Eine andere Komponente sind aber tatsächlich die beiden Hauptcharaktere; ich sage bewusst die beiden, den Jacob, der ja, wie das Internet mich vor Jahren schon lehrte, das dritte Rad am Fahrrad werden soll, spielt im ersten Buch keine wirkliche Rolle. Aber Edward und Bella sind, das muss man einfach sagen, sehr ausgeprägt definierte Figuren. Ausgeprägt genug, dass ich mit Gérard ziemlich lange (und über die Figuren erzürnte; ich komme dazu gleich) Gespräche geführt habe. Man muss nicht mögen, was Meyer hier serviert, aber es hat Ecken und Kanten. Und das ist mir ehrlich lieber als mancher völlig konturloser Unfug, den ich in den letzten Jahren so gelesen habe.

Halbdunkel – Was nicht gefällt

Das gesagt, bleibt eine recht imposante Ausprägung von „Wo Licht ist, ist auch Schatten“ (und Glitzer). So konturenreich die Figuren grundsätzlich geschildert werden, so erratisch ist teilweise ihr Verhalten. Sowohl Edward als auch Bella verfügen mehrfach über eine ungebremste Fähigkeit, innerhalb von wenigen Sätzen ihre Stimmung um 180° zu drehen. Klar, 16jährigen Teenagern sagt man nach, launig zu sein, und ich will nicht ausschließen, das Vampire bisweilen reizbar sein könnten, aber in dem Maße, wie es gerade in der ersten Hälfte des Buches passiert, wirkt es einfach so, als hätte Meyer selber zwar gewusst, wohin die Szene jeweils sollte, aber nie einen Ansatz gefunden, das auch wirklich zu erwirken. Also passiert das einfach.

Insgesamt sind die meisten meiner Kritikpunkte aber eher struktureller bzw. technischer Natur. Einerseits betrifft das Meyers Sprache. Die ist, denke ich, auch objektiv gesehen nichts, womit man den Blutsauger am Nachbartisch herumbekommen würde. Ich glaube, wenn man für jedes „he chuckled“, das im Text vorkommt, einen Kurzen trinken würde, wäre der Abend schon mal gelaufen. Leider schlägt das Phrasometer nicht nur dabei kräftig aus („chagrin“, „scowl“, „snickered“, „crooked smile“), so dass es bisweilen schon anstrengend wird.
Schlimmer als den begrenzten Sprachstand finde ich allerdings vor allem, dass die Dramaturgie des Buches entsetzlich hakt. Aus zwei Gründen, wenn man es näher betrachtet. Zum einen hat das Buch, hart gesprochen, einfach keinen Plot. Die ersten 300 der rund 400 Seiten gibt es keine Antagonisten, eigentlich nicht mal einen wirklichen Konflikt, außer vielleicht, dass sie sich beide toll finden und arge Probleme haben, das zu kommunizieren. Bevor man nun aber meint, in dem Genre (also Romantik jetzt, nicht Vampirroman) wäre das nicht nötig, kommen dann die letzten 100 Seiten, die grundsätzlich eine solide Handlung mit sich bringen, die aber viel intensiver wirken würde, wenn sie vernünftig vorbereitet und in die Abläufe eingearbeitet wäre.
Das ist aber auch verwand mit dem strukturellen Problem Nr. 2. Eine gute dramaturgische Grund- oder Faustregel ist eine Gliederung in „Build-up“ und „Pay-off“. Die Idee ist klar: Man bringt seine Steine in Position, man erzeugt dadurch Spannung, letztlich eine Erwartungshaltung, und dann befriedigt man die Neugier des Lesers damit, dass daraus etwas Neues entsteht. Meyer tut das nicht.
Es gibt so viele Elemente, die in dem Buch angerissen und nicht sauber zu einem Ende gebracht werden, dass es mich in den Wahnsinn treibt. Bella sammelt am Anfang der Geschichte gleich drei Verehrer unter den Menschen ein, aber anstatt dass daraus ein echter Konflikt entwickelt würde – nimmt sie den gefährlichen Vampir, oder den Menschen –, verschwinden zwei der drei fast ungenannt in Obskurität und einer wird am Ende sogar noch zu einer Art schadenfreudigen Comic Relief degradiert. Warum söhnt sich Bella über Seiten mit ihrer im ganzen Buch nicht wirklich präsenten Mutter aus, während die Aussöhnung mit dem Vater – den sie davor ehrlich, willentlich und völlig unübernatürlich auf seelische Weise verletzt hat – einfach im Off stattfindet? Apropos Off – warum findet der ‚Endkampf’, wenn man so will, im Off statt? Man kann doch kein Verfolgungsszenario aufspannen und dann den Verfolger in Abwesenheit des Erzählers ausschalten. Bitte!
Die später offenbar ja recht wichtigen Werwölfe werden angedeutet, bleiben aber völlig obskur, die Gespielin des Schurken am Ende geht vollkommen verloren und der erste Kontakt Bellas mit der Vampirfamilie der Cullens ist so konfliktfrei, dass glaube ich mancher im Vergleich zu seinen (hoffentlich) völlig nicht Blut trinkenden Schwiegereltern neidisch ist, etc. pp.

Natürlich ist da noch der Hinweis auf den Altersunterschied. Wie John Green in einem Video zum Thema schön betonte, kommt es nicht darauf an, wie jung man aussieht, sondern wie oft man mit der Erde um die Sonne geflogen ist. Edward hat 90 Jahre Vorsprung, was schlicht und einfach daneben ist. Allerdings ist man mit diesem Argument auch schnell in der gefährlichen Situation, die Moral der Figuren mit der Moral des Buches oder der Intention der Autorin gleichzusetzen, was ich an dieser Stelle eigentlich gerne ausklammern würde, eben auch wie Meyers mormonischen Lebenshaltung. Das mag ja alles sein, aber zum Thema Autorenintention schrieb ich ja auch schon mehrfach was. Etwa hier.

Dämmerung – Edward

Von den beiden Hauptfiguren halte ich die Zeichnung Edwards für deutlich besser gelungen. Wie schon gesagt, an sich finde ich die Darstellung seiner hypnotischen Aura gerade am Anfang durchaus gut gelöst. Er ist allerdings, ganz klar, ein grauenvoller Stalker – in einem Maße, das ich selbst nachdem mir das Internet diese Grundinformation an sich schon Dutzende Male serviert hatte, unterschätzte. Ganz ehrlich, wenn Bellas Vater davon wüsste und Edward zum Teufel jagen würde, würde es Bella vermutlich für eine Ungerechtigkeit halten von jemanden, ‚der ihre Liebe halt nicht versteht’, aber es wäre gerechtfertigt. Oh, wäre das gerechtfertigt.
Aber alles in allem ist Edward eigentlich, im Rahmen der ‚abstinent lebenden Vampire’ (und davon gibt es auch genug, selbst wenn man Count Duckula nicht mitzählt; Kostja in Lukianenkos „Wächter der Nacht“-Reihe, Angel in „Buffy“ sowie seiner eigenen Serie, eine Figur in Sapkowskis „Hexer“-Zyklus, Louis hat in Rices „Interview mit einem Vampir“ ja auch so eine Phase etc.) ein ganz taugliches Mitglied seiner Gattung. Ganz ehrlich. (Und wenn man außen vor lässt, dass er leuchtet wie ein Glücksbärchie, wenn man ihn in die Sonne stellt, kann man ihn sogar relativ manierlich sowohl mit Vampire: the Masquerade als auch mit Vampire: the Requiem nachbauen.1)

Gedämmer – Bella

Meine These zu Bella ist hart, was glaube ich vielen Fans nicht gefallen wird. Aber wenn ihr mich fragt, ist Bella behindert. Und ich meine das nicht wertend, sondern vielmehr diagnostisch.
Zum einen körperlich, denn das Maß, wie sie beschreibt, dass sie nicht gut geradeaus gehen kann, dass sie erst recht nicht tanzen kann, sowie die Chronik ihrer Sportpatzer sind unfassbar. Auch ihre Autofahrten sind kritisch, geprägt von der dauernden Angst, von der Straße abzukommen. Und selbst am Ende, als die Lüge vorgeschoben wird, ihre aus dem Finale geprägten Verletzungen seien entstanden, als sie eine Treppe herab und durch ein Fenster gefallen wäre, zucken die meisten Leute ja einfach nur mit den Schultern. „Tja, dumme Bella, musst aber echt mal besser aufpassen.“
Auch ihre regelmäßigen Hinweise, dass sie Gleichgewichtsprobleme hat, sind bedenklich. Liebe Bella, wenn du keine fiktive Figur wärst und das hier lesen könntest, geh mal lieber zum Arzt. Also, einem anderen als Dr. Cullen. Ehrlich. Das könnte Bluthochdruck, eine Gehirnerschütterung oder eine Gehirnhautentzündung sein.
Dass Bella zudem auch geistig nicht ganz alle Figürchen im Setzkasten hat, serviert ihr Edward ja sogar eiskalt und direkt. Denn ihr Gehirn funktioniert nicht wie das normaler Menschen, darum kann er ihre Gedanken nicht lesen. Oh ja. Vom völligen Fehlen eines Selbsterhaltungstriebes einmal abgesehen; aber auch das sagt Edward ihr ja mehrfach.
Was mich an Bella aber auch stört, ist, dass sie ein völlig leeres Blatt ist, das zu Gunsten des Plots beschrieben werden kann. Bella ist total ungeschickt und fällt dauernd hin, außer an der einen Stelle, wo sie sich einmal vor Vampiren, die immerhin den zweiten Platz hinter dem Flash bei jedem Langstreckenlauf hinlegen würden, verdrücken muss. Und sie ist völlig von Männern abhängig, sofern es Edward ist und der irgendetwas von ihr verlangt (außer, ihn in Ruhe zu lassen) – aber daheim wirft sie den Haushalt und bekocht ihren Vater sogar jeden Tag. Bellas Schilderung ist etwas, was die von Edward nicht ist, was das Buch aber herunterzieht in meinen Augen – sie ist inkonsequent gestaltet.

Blaue Stunde – Sich selber hinterfragen

Eine Frage habe ich bei der Lektüre nicht aus meinen Kopf bekommen – wie würde ich das Buch finden, wenn es nicht das Medienphänomen „Twilight“ wäre, sondern einfach ein Buch, das ich halt wegen des (echt!) schönen Covers gekauft hätte?
Schwer, nein, unmöglich zu sagen. Aber die Frage ist gerechtfertigt. Twilight hat eine Menge Schwächen, wie gerade denke ich ganz gut dargestellt. Aber ich habe im vorigen Jahr gerade bei meinen Blindkäufen einige Sachen gehabt, die weitaus schlimmer waren. Ganz ehrlich. Aber das ist wie Thomas Nagels „Wie ist es, eine Fledermaus zu sein“ – es ist ein interessantes Gedankenspiel, aber keines, das man auflösen kann.
Doug Walker aber stellte jüngst die ganz interessante These auf, dass der allgemeine Groll auf Twilight gar nicht so sehr dem Buch gelte, sondern eher dem, was es repräsentiert. Und ich denke, das ist vielleicht keine allgemeine Antwort, aber zumindest Teil der Wahrheit.
Dass eine offenbar mehrdimensional gestörte Person wie Bella Identifikationspunkt für eine ganze Generation junger (und alter) Leserinnen sein konnte (und wenn jetzt wer ruft „Aber so ist das wirklich“, dann sag ich dazu einfach „Nein“; aber ich komme noch mal dazu), dass ein viel zu alter Stalker vorbehaltlos als der ideale Partner durchgehen kann, aber vielleicht auch, dass ein so imperfektes Buch sich derart ungebremst gegen viele wahrgenommen bessere Titel behaupten kann, das ist sicherlich ein Teil des Hassfokus’, den Twilight teilweise dargestellt hat.

Ebenfalls im selbstkritischen Rahmen muss aber zumindest ich sagen, dass die Filme – obschon ich keinen davon gesehen habe – dem Buch in gewisser Weise auch einen Bärendienst erwiesen haben, jedenfalls abseits der Fans. Aber ich kenne die Trailer, habe mir jetzt die Poster auch noch einmal angeschaut und muss schon sagen, dass ich das Casting in vielen Punkten für unglücklich halte. Eine Besetzung erfolgt aber natürlich auch immer aus einer bestimmten Perspektive und die Zuschauerzahlen deuten ja an, dass das insofern alles nicht ganz vergebens war. Aber zumindest mein „Casting im Kopf“ beim Lesen hat bei vielen der Figuren sehr andere Eindrücke ausgespuckt, was aber vielleicht auch vor allem ein Indikator dafür ist, dass die Zielgruppenausrichtung des Filmes recht wenig bereit war, Rücksicht auf die Empfindsamkeiten der 30jährigen Männer zu nehmen.

Abenddämmerung – Epilog

Mein Fazit bleibt also durchmischt. In meinen Augen (und nur dazu kann und will ich hier was sagen) ist Twilight kein „gutes“ Buch in dem Sinne, dass ich es nicht wirklich genossen habe, es zu lesen. Zugleich ist es aber in meinen Augen weit besser als sein Ruf abseits der Fans es wirken ließ und es war sicherlich keine totale Tragödie, es lesen zu müssen.
Ich würde es nicht empfehlen, ich würde es auch nicht noch einmal lesen wollen, aber ich kann letztlich den Reiz der Geschichte durchaus nachvollziehen, wenn ich das auch wiederum nicht in allen Facetten gutheiße.

Man darf aber bei all dem auch eine Sache nie vergessen: Twilight gehört in ein Genre, dessen grundlegende Ausprägung absolut eskapistisch ist. Absolut eskapistisch.
Betrachtet man es aus diesem Blickwinkel, fallen viele Teile an ihre Stelle. Die generelle Konfliktfreiheit, aber auch das Auflösen bestehender Konflikte im Off, der immense Fokus auf letztlich handlungsfreie Interaktion der beiden potenziell Verliebten. Aber natürlich auch der „Reiz“ sich in eine Art Bella-Phantasie zu flüchten, denn völlig abseits aller Geschlechterrollen (biologisch wie gender) ist das Wunschdenken, dass jemand daherkommt, der einem sozusagen die Probleme des Lebens aus der Hand nimmt und alles gut enden lässt natürlich letztlich jedem bekannt. Und auch in der Literatur absolut kein Einzelfall. Im Endeffekt, um mal radikal an das andere Ende des Spektrums zu gehen, ist ja sogar Palahniuks „Fight Club“ eine Adaption dieses Wunschgedankens, wenn eben nur überall dort zynisch, wo Twilight naiv und wohlwollend ist.
Schwierige Zeiten, sei es jetzt geschichtlich betrachtet oder auf die individuelle Lebensphase gesehen, wecken die Lust auf einfache und überschaubare Probleme, denn diese sind letztlich attraktiver als schier unlösbare Aufgaben wie die Weltwirtschaftskrise, der Konflikt im nahen Osten oder die völlig überwältigende Frage, wie man eigentlich sein Leben nun leben soll. Eine Frage, die man glaube ich so grob in Bellas Alter das erste Mal stellt und die bestenfalls überschaubarer wird, weil die Anzahl der Optionen mit der Zeit rückläufig scheint.
Das erklärt in meinen Augen auch, warum zwei moderne, sehr unterschiedliche Ausprägungen desselben Urgedankens gleichzeitig so beliebt sind: namentlich die Vampirromanzen (und verwandte Titel) sowie das Zombie-Genre, das letztlich seinen Ursprung auch u.a. in der Vampirliteratur hat (Mathesons „Ich bin Legende“). Denn beide vereinfachen die Fragen unserer Zeit, entweder durch Ausklammern von allem Abseits des Kernthemas (wie hier), oder aber, indem die Komplexität der Gegenwart schlicht abgelöst wird durch die viel dominantere Herausforderung, in einer Welt zu überleben, die letztlich durch jeden, der scheitert, für alle anderen ein Stück gefährlicher wird (die Zombie-Variante).
Das finde ich völlig nachvollziehbar.
Und falls Meyer damit ein Buch geschrieben hat, das Millionen von Lesern die Chance gegeben hat, für einige hundert Seiten einer sie überwältigenden Last der Wirklichkeit den Rücken zu kehren, dann ziehe ich da meinen Hut vor.

In diesem Sinne, um zu einem versöhnlichen Abschluss zu kommen: Ich fand Twilight nicht gut. Ich freue mich aber für jeden, der das anders sieht und damit ein Genre aufgetan hat, das er gerne liest und das ihm Freude bereitet. Denn Lesen ist ein wundervolles Hobby.
Und auch wenn ich es nicht teile, ich kann es nachvollziehen.

Viele Grüße,
Thomas


1 In beiden Fällen ist Edward kein Startcharakter, aber der Kerl ist ja auch schon 90 Jahre untot. In Masquerade ist er offenbar ein Toreador mir Schwerpunkt Celerity, der neben den beiden Clansdisziplinen Presence und Auspex noch Punkte in Potence und Fortitude investiert hat.
In Requiem ist er wiederum ein Daeva, ebenfalls Schwerpunkt Celerity, der aber neben seinen Clansdisziplinen Majesty und Vigor noch Punkte in Auspex und Resilience investiert hat.
Worum es mir geht: Abseits des Glitzerns macht Edward, bei allem Spott, im Grunde nichts, was nicht durch das eine oder andere Vampirvorbild bereits ebenfalls abgedeckt wurde.

3 Kommentare zu “Twilight: Gedanken zu einem der erfolgreichsten Bücher der letzten Jahre

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