Eponyme Sprichworte

Hallo zusammen!

In der englischen Wikipedia gibt es eine Rubrik, die nennt sich „eponymous adages“, also ‚eponyme Sprichworte’. Ein Eponym ist eigentlich eine Gattungsbezeichnung, die sich auf jenen bezieht, der sie begründet hat – der Duden nennt als Beispiel „Zeppelin“ für Luftschiffe, benannt eben nach Graf Zeppelin.
Diesen Oberbegriff – eponymes Sprichwort – findet man so im Deutschen allerdings kaum; wenn, dann wird in der Regel mit so etwas wie „Zuschreibung“ gearbeitet, was aber den Sachverhalt ziemlich verfehlt. Übrigens ist auch das ganz spannend und man nennt so etwas, also wenn eine Sprache für einen bestimmten Sachverhalt keinen eigenen Begriff hat, eine lexikalische Lücke. Das Internet behauptet zudem, lexikalische Lücken hießen in der Sprachwissenschaft auch lacunae, aber mein Lexikon der Sprachwissenschaft sieht das scheinbar anders; aber egal, all das soll sowieso nicht Thema sein. Machen wir ein anderes Mal.

Was nun also sind solche eponymen Sprichworte, oder auch eponymen Gesetze?
Der vielleicht bekannteste Vertreter der Sippe sollte heutzutage Murphys Gesetz sein –  „Alles was schiefgehen kann, wird schiefgehen.“
Dieses Ungetüm von einem Statement hat gerade das vergangene Jahrzehnt, insbesondere im Internet, ziemlich im Griff gehalten und wurde auch auf so ziemlich jede Weise halbwegs falsch oder richtig zitiert, die man sich denken kann. Aber weder ist Murphys Gesetz das einzige seiner Art,  noch war es das erste.

E.A. Murphy Jr., auf den das Gesetz zurückgeht, wurde 1918 geboren – er liegt damit ziemlich schnittige 630 Jahre hinter Wilhelm von Ockham, einem Philosophen des Mittelalters. Auf den geht ebenfalls ein wunderbarer Ansatz zurück, der heute in der Philosophie als Ockhams Rasiermesser bekannt ist. Etwas vereinfacht gesagt besagt Ockhams Rasiermesser, dass bei einem Vorhandensein von mehreren Möglichkeiten zur Erklärung eines Sachverhaltes der einfachsten Theorie stets der Vorzug zu geben sei. Etwas komplexer gesagt also jener, die mit der geringsten Anzahl von Annahmen und Variablen auskommt.
Es muss hier definitiv noch ergänzt werden, dass das Konzept, was man weitaus langweiliger in der Philosophielehre auch als das Sparsamkeitsprinzip kennenlernt, gar nicht von Ockham aufgestellt, sondern nur implizit geprägt wurde, weil er sich halt selber daran hielt.
Noch wichtiger vielleicht ist der Hinweis, dass ich nicht erst im Philosophie-Studium darauf aufmerksam wurde, sondern schon zuvor durch eine Episode der ersten Staffel von „Dr. House“, die sogar danach benannt war. Und da sagen Leute, Fernsehen sei zu nichts gut.

Aber das sind zwar die absoluten Klassiker, beileibe nicht jedoch alle Aussprüche dieser Art. Eines meiner engsten, persönlichen Mantras ist schon seit langem beispielsweise ein Ausspruch, der als Hanlons Rasiermesser bekannt ist. Dieser lautet, kurz gesagt: „Schreibe niemals etwas der Böswilligkeit zu, was auch durch Dummheit hinreichend zu erklären ist“. Eine Aussage, die ich sehr, sehr schätze, weil sie oft wahr ist und man so viele tiefgreifende Konflikte im Freundeskreis und in der Familie so leicht vermeiden könnte, wenn man ab und an einfach davon ausgeht, dass andere manchmal einfach unbedacht handeln.
Auch hier ist die Entstehung spannend, denn es gibt zwei Varianten – entweder man geht davon aus, dass Robert Hanlon eine reale Person war, oder man folgt der Vermutung, dass es sich dabei um wahlweise eine Verballhornung oder gar einfach eine Fehlschreibung des SciFi-Autors Robert A. Heinlein handelt.
So oder so, ich mag den Ausspruch.

Irgendwo zwischen Murphy und Hanlon liegt übrigens dann auch noch Finagles Gesetz, das auch als Finagles Folgesatz zur Murphys Gesetz sowie als Finagles Gesetz der dynamischen Negative bezeichnet wird. Grundsätzlich ausformuliert lautet es: „Alles was schiefgehen kann, wird schiefgehen – zum ungünstigsten Zeitpunkt.“
Das fand ich immer eher öde. Anders aber sieht es mit der Ableitung davon, Finagles Informationsgesetz, aus:

  1. Die Information, die du hast, ist nicht die Information, die du willst.
  2. Die Information, die du willst, ist nicht die Information, die du brauchst.
  3. Die Information, die du brauchst, ist für dich nicht erreichbar.
  4. Die Information, die du bekommen kannst, kostet mehr als du zu zahlen bereit bist.

Das wiederum mag ich sehr.

Dann gibt es aber noch drei weitere Gesetze, die ich an dieser Stelle nicht auslassen möchte. Muphrys Gesetz (Schreibweise beachten!) besagt, dass in jedem Text, den man schreibt und der Fehler in einem Korrektorat oder Lektorat kritisiert, mindestens ein eigener Fehler sein wird. Darauf baut auch Gaimans Gesetz, genau, nach Neil Gaiman, auf, dass da lautet: „Wenn du das erste Exemplar eines Buches, das du geschrieben hast, in der Hand hältst, wird es, sollte es einen Tippfehler beinhalten, beim ersten Öffnen auf der Seite aufschlagen, auf der er zu finden ist.“
Das ist sehr wahr.
Und wenn man sich der ganzen Materie noch weitaus pessimistischer annähern möchte, kann man sich noch auf Sturgeons Gesetz zurückziehen – „Neunzig Prozent von allem sind Mist.“
Ich bin ja bekennender Optimist und teile das Statement daher nicht wirklich, aber zitieren kann man es durchaus immer wieder gut.

Abschließen möchte ich mit etwas, was bisher noch keine griffige Benennung hat, mir aber hier gerade so gut passt. Wir haben ja u.a. mit Ockham, also einem der kanonisierten Philosophen der westlichen Welt, begonnen. Noch mal flockige 900 Jahre vor Ockham war die Zeit Aristoteles‘, einer der großen griechischen Philosophen der Antike. Nicht von ihm, aber über ihn, hat jedoch Autor John Green ein Zitat gebracht, das in seiner ultimativen Bedeutung kaum zu überbieten ist und daher an dieser Stelle einfach genannt werden muss:

Aristotle, while he is very famous and everything, is almost always wrong.

Und in diesem Sinne soll es das für jetzt gewesen sein, zumindest was die eponymen Sprichtworte angeht. John Green aber, auf den komme ich kommendes Mal noch einmal zurück.

Viele Grüße,
Thomas

2 Kommentare zu “Eponyme Sprichworte

  1. Ha! Gaimans Gesetz! Großartig! Kannte ich noch nicht, ist aber so unglaublich wahr und dann auch noch von Gaiman. Ist mir schon mehr als einmal passiert. Gerade in meiner Anfangszeit bei Pegasus als freier Mitarbeiter. Ich habe immer einen Schreck bekommen, wenn ich mein Autorenexemplar bekam, das Buch aufschlug und Zack! Da war er! Der Fehler. Und das, obwohl ich das Lektorat bei Pegasus immer als extram sorgfältig und gut empfand – zumindest früher. Heute habe ich da nicht mehr wirklich Einblick.

    Ich bin dann irgendwann dazu übergegangen, lieber gar nicht mehr reinzuschauen. Das ist zwar leider eine Vogel-Strauß-Mentalität, aber es ist so ungeheuer frustrierend, was Gedrucktes von sich zu lesen und dann innerhalb weniger Minuten den ersten Fehler zu finden. Selbst, wenn der Rest durchweg korrekt ist – dieser eine Fehler…! Der hat mich schon mehrfach in schlaflose Nächte getrieben. Na gut, das war jetzt ein wenig übertrieben formuliert, aber ich vermute, jeder Schreiber kennt das Problem.

    Muphrys Gesetz kenn ich auch nur zu gut. Gerade daher versuche ich sowieso nie, Tippfehler, Rechtschreibung oder ähnliches öffentlich zu kritisieren. Geht fast immer nach hinten los. Und wenn ich es doch (aus welchen Gründen auch immer) machen muss, dann sitze ich an vier Zeilen Posting oder Kommentar häufig eine oder zwei Stunden, genau weil ich vor diesem Gesetz Angst habe.

    • Ich hab gestern Nacht noch mit einer Freundin über Perfektionismus gechattet und ich muss sagen, die Arbeit mit Büchern war da teilweise durchaus heilsam, wenn der Grat auch schmal ist. Sagen wir so: Ich bin nach wie vor schrecklicher Perfektionist und ärgere mich über jede Kleinigkeit, die mir doch durch die Maschen des Netzes schlüpft – einerseits. Andererseits aber habe ich auch einfach akzeptiert, dass Fehler nunmal passieren; weniger aus Fatalismus und vielmehr aus Realismus. Seit ich recht durchgehend lektoriere entdecke ich auch immer wieder vermehrt Fehler in Satz oder Text diverser Bücher renomierter, großer Verlage und da denke ich mir halt zum einen natürlich, dass so was ja wohl nicht passieren darf, aber andererseits genauso, dass das, wenn es denen passiert, wohl auch vertretbar ist, wenn es mir so ergeht ;)

      Muphrys Gesetz steht auch natürlich nach wie vor in einer direkten Relation zu etwas, worüber wir beide ja schon öfters geschrieben haben – den elenden, hämischen, destruktiven Drang mancher Leute, alles auch nun wirklich über jede Gebühr und ohne Gnade zu Tode zu kritisieren. Allerdings hat es sich für mich noch nicht gänzlich greifen lassen, wie das genau verbunden ist.
      Wie gesagt, Fehler passieren. In einer Zeit, wo es oft auch an dem Geld mangelt, im alten Stil zwei Lektorats- und einen Korrektoratsdurchgang über ein Manuskript zu jagen, natürlich umso mehr. Und natürlich gibt es einen Punkt, über den eine Fehlerquote nicht hinausgehen darf, ganz gleich aus welchem Grunde.
      Aber Fehler passieren auch denen, die geifernd unter den dunklen Brücken diverser Foren sitzen und wild wütend auf jede Blöße anschlagen, die sich ein Kreativschaffender erlaubt … und irgendwie glaube ich noch immer, die Welt wäre ein etwas besserer Ort, wenn diese Erkenntnis ehrlich in manchen Kopf gelangen würde.

      Viele Grüße,
      Thomas

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