Alte, morsche Gewächse?

Hallo zusammen!

Phantastisches Wetter in Aachen und ausnahmsweise einen Sonntag für mich – das hieß gestern zunächst, den Kräuteranbau wie auch die Blumenkästen fit zu machen und einige alte, morsche Gewächse zu entsorgen, aber dann auch einfach eine Weile in der Sonne draußen zu sitzen und zu lesen. Mein Vater hatte mir neulich das „Literatur.Magazin“ der Kölnischen Rundschau mitgegeben, was eine willkommene Lektüre darstellte und sich in der aktuellen Ausgabe vor allem mit dem Themenfeld elektronischer Bücher auseinandersetzt.
Mittelpunkt – ganz wörtlich gesehen – ist dabei ein Interview mit Michael Krüger, Jo Lendle und Peter Haag, den drei Verlegern von Hanser, DuMont und Kein & Aber, in dieser Reihenfolge. Man kann das Magazin auch online einsehen, es gibt es kostenlos über die Seite der Kölnischen Rundschau als Browser-Viewer mit Download-Funktion.

Und ich denke, dieses Interview lohnt sich – und das sage ich nicht aus Zustimmung heraus. Ganz im Gegenteil, auf den fünf Seiten werden nun wirklich alle, alle Klischees bedient, die gerade aus dem Kleinverlags- und Selbstverlagswesen den großen Anbietern immer häufiger attestiert werden. Es liest sich ein wenig, als wenn dort drei Leute, die in ihrer Selbstwahrnehmung eh alles verstanden haben, zusammentreffen, um über den Niedergang all der guten Werte zu sprechen und von ihrem Bestreben berichten, sozusagen aus der Misere noch das beste zu machen.
Denn da beginnt im Grunde meine Kritik – hier werden drei Leute in eine Art schriftdokumentierte Diskussionsrunde gebeten, aber insgesamt sind sie sich eh einig. Hier und da wird mal rhetorisch Boden um die eine oder andere Nuance abgesteckt, aber ganz grundlegend ist es ohnehin ein Gespräch voll Konsens, das vor allem durch Zuspruch und weitere Ausführung der Worte des vorigen Redners betrieben wird. Was ich, persönlich, verschenktes Potential finde, aber was vermutlich nicht ausbleibt, wenn man seine drei Redner doch letztlich aus dem gleichen Milieu rekrutiert.

Aber das ist nur ein geringer Makel, der alleine nicht gereicht hätte, dass ich das Thema hier aufgreifen oder auf das Magazin verweisen wollen würde. Nein, wie schon gesagt, das Maß an knöcherner Pseudowahrheiten und intellektueller Arroganz, das man hier finden kann, hat mich dann doch erstaunt. Algorithmen zur Bestimmung „empfohlener Titel“ werden zum Weg hin zu der, Zitat, „Auflösung des autonomen Subjekts“ (S. 21) deklariert, doch damit geht es erst los. Da gibt es Skepsis gegen soziale Netzwerke, die große Bedrohung durch illegale Downloads – auch wenn hier, das sei gesagt, sowohl aus den Erlebnissen der Musikindustrie wie auch der Marktsituation sinnvolle Schlüsse gezogen werden –, gefolgt vom unvermeidlichen Thema Urheberrecht inklusive der Forderung nach einem „Urhebergesetz“, implizites Unverständnis an der Kritik gegen ACTA und hämische Kommentare gegen die, noch mal Zitat, „vermeintlich so aufgeklärt[e] Netzgemeinde“ (ebd.). Dann werden digitale Bücher noch in das Licht minderwertiger(er) Testveröffentlichungen für eventuelle Druckprodukte gerückt und der Einwand, dass so vielleicht mittelfristig weniger Bücher gedruckt werden würden, unter anderem mit dem lapidaren Hinweis abgetan, es gäbe ja eh schon zu viele Bücher.
„Zu viele“ bedeutet natürlich in der gedanklichen Fortführung „zu viele minderwertige Bücher“, was sich dann auch dazu entlädt, dass Youtube als Beispiel für ein Medium genannt wird für jene, die nicht so viel Wert auf Qualität legen. Man ergänze Kritik an der nicht vorhandenen Filterfunktion des Internets und eine generelle Semi-Glorifizierung des Feuilletons.
Und damit habe ich nun beileibe nicht alles genannt, was mich bei der Lektüre geärgert hat.

Nein, wirklich, ich denke das Interview lohnt sich sehr. Aber auch das alleine hätte mir noch nicht als Anlass für diesen Beitrag gereicht. Aber dann, auf der letzten Seite (S. 24) sprechen sie über möglichen Mehrwert bei E-Books und Lendle meint, das zumindest keine „drangeklatschten Videos“ die Lösung seien – bis dahin stimme ich zu.
Er setzt aber fort mit dem Verweis auf das Bonusmaterial von DVDs, Zitat „das Entsetzlichste, was es gibt.“
Und als ich das las, selber bekennender DVD- und BluRay-Sammler und stets auch im Hinblick, ob sich ein Kauf schon bekannter Filme ggf. durch Bonusmaterial rechtfertigt, da wurde es mir irgendwie klar – wir wollen einfach nicht das gleiche.
Das Medium „Text“, egal ob elektronisch oder gedruckt, bedeutet mir nicht weniger als es das früher getan hat. Aber ich will das Drumherum – ich lese die Blogs von Autoren, deren Werke ich schätze, ich lese gespannt bei Anthologien rein, wenn der Autor erläutert, warum bestimmte Geschichten oder Sachtexte jetzt gerade hier gesammelt wurden oder in welchem Kontext sie entstanden. Wenn, gerade bei kleinen Verlagen, Interviews mit dem Autor oder kurze Essays beigefügt sind, finde ich das extrem spannend.
Wenn natürlich, was die Amerikaner umgekehrt gerne machen, das erste Kapitel des nächsten Buches des Autors hinten an der Taschenbuchausgabe klemmt, finde ich das wiederum aufdringlich, zumal ich da ja letztlich sogar für die Werbung bezahle, wenn sie über das normale Maß von ca. drei Seiten hinausgeht.
Vielleicht ist es einfach ein Generationskonflikt. Vielleicht ist es Teil unserer Generation, dass wir Trivia aufsaugen und Hintergründe auch dann spannend finden, wenn der Autor nicht schon Jahrhunderte tot ist – denn man beachte, Informationen über Zeitgenossen sind „Schnickschnack“, Informationen über Goethe und Schiller gelten allgemein als „Wissen“.

Nein, im Ernst – wer verstehen will, warum sich der deutsche Buchmarkt teilweise behäbig wie ein Pottwal auf Landgang durch die Welt der neuen Medien bewegt, das Interview ist irrsinnig aufschlussreich.
Und, zumindest aus meiner Warte, dabei zugleich ärgerlich.
So oder so: lesenwert.

So, und morgen gibt es Zwischenstände.

Viele Grüße,
Thomas

4 Kommentare zu “Alte, morsche Gewächse?

  1. Ich glaube ich ärgere mich auch so über genügend, Dinge, da muss ich nicht unbedingt noch im Detail erläutert bekommen, warum unsere Generation im Medienbrei untergeht und die alten Dichter und Denker aussterben…Bestätigt leider so einige böse Vorurteile meinerseits, was Verleger angeht. Elfenbeinturm lässt grüßen! ;-)

    Ich glaube hier spiegelt sich mal wieder die tiefverwurzelte Angst des Menschen vor Kontrollverlust wieder. Freie Plattformen, wie lulu oder youtoube erlauben einfach die völlige Demokratie in Sachen Veröffentlichung, was natürlich die selbsternannten Hüter der goldenen Qualitätspforte einfach stören MUSS, weil sich so ein ganzer Markt ihrer Kontrolle entzieht. (Von der Subjektivität solcher „Qualitätsmerkmale“ wollen wir mal gar nicht erst anfangen…^^)

    Da hilft es dann dem affrontierten Verlegerlein nur sich auf die Weltbild-überlebensnotwendige Position zurückzuziehen, dass diese mediale Anarchie ja Qualität prinzipiell im Keim erstickt – wobei wir übrigens mal geflissentlich ignorieren, dass subjektive Qualität im anarchischen Durcheinander herauszufiltern wohl DEN Beweis eines soliden Individuums liefert.

    Wie so oft muss man also festhalten: Wären die sogenannten Hüter der Intellektualität mal 2Minuten von ihrem hohen Ross gestiegen und hätten mal drüber nachgedacht, was sie da so in die Welt pusten, wäre ihnen die inheränte Unlogik vielleicht auch aufgefallen – aber dann würde es ja so schöne Interviews nicht geben und man könnte sich nicht so wunderschön darüber ärgern!;-)

    Ich empfehle für das nächste sonnige Wochenende ein GUTES Buch, egal aus welchem Verlag!

    P.S. Darf ich diese Diskussion vielleicht nochmal fürs Forum klauen? Wir haben da einen Thread, der passen könnte… :-)

    • Klar darfst du die klauen ;)

      Und dem Rat mit dem guten Buch bin ich dann im Nachhinein auch noch gefolgt … Thomas Finns „Weißer Schrecken“ startet unglaublich schwach und ist manchmal schon Borderline-TKKG (was ich ja an sich durchaus mag), entwickelt aber zugleich konstant mehr Spannung, so dass mich das gut durch den Sonntag gebracht hat. Auch wenn ein Schnee-Horror-Thriller bei 20 Grad in der Sonne ein wenig eigenwillig ist ;)

      Und zur eigentlichen Debatte:
      Die wirkliche Tragik liegt für mich vor allem in der Herablassung, die offenbar untrennbar damit verbunden ist. Das ist aber im Grunde die gleiche Kerbe, in die etwa auch die germanistische Literaturwissenschaft mit ihrem überaus schrägen und eigenwilligen Kanon haut. Mein persönlich größter literarischer Fall von „guilty pleasure“ sind die Star-Wars-Romane, von denen ich auch heute immer mal einen lese. Einfach, weil das sozusagen mein „Karl May“ ist; das ist die Literatur, mit der ich ans Lesen gekommen bin. Und darum gibt mir das was. Und so, wie ich ja durchaus bereit bin, zu akzeptieren, dass manche Leute eben der wie auch immer gearteten hohen Literatur etwas abgewinnen und daraus für sich mitnehmen können, so erwarte ich eigentlich, dass letztlich aus der Richtung auch einfach Verständnis da ist für Leute, die halt andere Texte lieber lesen.
      Und Kommentare wie „es gibt eh zu viele Bücher“ machen mich da unglaublich schnell unleidig, denn ich sage es mal so: Vermutlich hat irgendein Murakami tausende Menschen mehr bewegt als es überhaupt Käufer von „Verfluchte Eifel“ existieren. Und doch: Wenn auch nur einer derer das Buch genossen hat – und ich weiß, dass Leute das haben –, dann hat es seine Daseinsberechtigung schon erreicht. Mir doch egal, ob Feuilleton oder nicht ;)

      Wie gesagt, ich denke, da greift irgendwo echt ein Generationskonflikt. Das, sowie die Bereitschaft (oder deren Mangel), bei einem Terminus wie „Unterhaltungsliteratur“ willens zu sein, beide Wortbestandteile zu gleichen Teilen zu achten.

      Viele Grüße,
      Thomas

  2. ARG! Ich kann garnicht so tief einatmen das ich so lang schreien könnte wie ich es will, nachdem ich das gelesen hab! Danke für den Beitrag, ich wäre sonst nicht auf den Artikel gestoßen!

    • Gerne :)
      Ich mach ja selten „Tagesgeschehen“ … aber das war einfach zu sehr mein Thema und dabei zugleich so sehr nicht meine Meinung, dass ich das einfach teilen musste. Zumal’s ja kostenlos zum Nachlesen verfügbar ist, wodurch solche Beiträge auch einfach immer nachvollziehbarer sind.

      Viele Grüße,
      Thomsa

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