Seelenworte

Gespräch über das Interview mit dem einen Vampir

Hallo zusammen!

Vor nunmehr fast vier Jahren (… Jesus …) schrieb ich hier an dieser Stelle mal darüber, das Übersetzungen keine Selbstverständlichkeit seien.
Ausgangspunkt meines Artikels waren zum einen die beiden Übersetzungen von Dune durch Ronald M. Hahn sowie Jakob Schmidt, und einmal die beiden Übersetzungen des ersten Dumarest-Bandes durch die große Lore Straßl sowie durch … nun, mich.
Kernthese war: Es ist nicht selbstverständlich, mit welchen Worten Übersetzer einen fremdsprachigen Text ins Deutsche transportieren – es gibt immer mehr als bloß eine einzige, korrekte Entsprechung und die Wahl, wie man übersetzt, ist letztlich ebenfalls Kunsthandwerk wie das freie, kreative Schreiben auch.

Heute möchte ich das Thema nochmal aufgreifen, aber mit einem ganz kuriosen Sonderfall:

Beides sind Übersetzungen von Anne Rice’ Interview with the Vampire. Links die Goldmann-Ausgabe von 1991 in der Übersetzung durch Karl Berisch und C.P. Hofmann, rechts die 2021er-Ausgabe von Blanvalet in der … Moment … in der Übersetzung durch Karl Berisch und C.P. Hofmann?

Korrekt: Beide Ausgaben basieren auf der gleichen Übersetzung, denn anders als die neu übersetzten Wüstenplanet- und Dumarest-Ausgaben aus meinem vorigen Artikel, oder etwa die sturmumtoste Krege-Neuübersetzung des Herrn der Ringe, handelt es sich hier „nur“ um eine überarbeitete Neuausgabe.
Der offensichtlichste Unterschied ist dabei zweifelsohne der Titel, wobei der sich schon vor vielen Jahren, spätestens mit Erscheinen des Films gewandelt hatte. Doch tatsächlich ziehen sich zahlreiche teils extrem nuancierte Unterschiede durch die 2021er-Veröffentlichung.
Beginnen wir, wie es sich gehört, mit dem ersten Satz:

„Ich verstehe …“, sagte der Vampir nachdenklich und ging langsam durch das Zimmer zum Fenster hinüber.

… heißt es auf Seite 9 der alten Ausgabe. Und in der neuen, Seite 7?

„Ich verstehe …“, sagte der Vampir nachdenklich und ging langsam durch das Zimmer zum Fenster.

Es wurden offenkundig Dinge im Text geändert – aber wie man sieht teils extrem im Detail. Ich gebe zu, das fasziniert mich, denn das ist (leider) alles andere als alltäglich. Dieses fehlende „hinüber“ wird zynisch gesprochen sicherlich nicht ein einziges Buch mehr verkaufen, und dennoch hat sich jemand die Mühe gemacht (und die Chance erhalten), diese Bearbeitung des Buches vorzunehmen.
Denn so subtil die Eingriffe sind, einige davon sind schon durchaus in ihrer Wirkung stärker als das obige Beispiel. Der Gesprächspartner des Vampirs bleibt das gesamte Buch über namenlos; im Englischen wird er nur lakonisch „boy“ genannt. Aber ob er nun 1991 ein „Junge“ (S. 9) oder 2021 aber ein „junger Mann“ (S. 7) ist, setzt dann schon durchaus je einen eigenen Ton und weckt bei Erstlesern womöglich ganz andere Bilder im Kopf.

Spannend finde ich auch einen Eingriff, der sich wirklich an allerletzter Stelle im Buch findet:

Dann steckte er das Notizbuch in die Tasche, verstaute das Gerät in seiner Mappe und eilte den Korridor entlang und die Treppe hinunter auf die Straße, wo er seinen Wagen geparkt hatte.

… heißt es in der alten Ausgabe (S. 288) ganz zum Schluss der Geschichte. Die Neubearbeitung macht auf Seite 488 daraus:

Dann steckte er das Notizbuch ein, verstaute den Rekorder in seiner Tasche und eilte die Treppe hinunter auf die Straße, wo er seinen Wagen geparkt hatte …

Sicher, die Änderung vom „Gerät“ zum „Rekorder“ ist offensichtlich („small recorder“ im Original), aber was mich wirklich fasziniert sind die Auslassungspunkte am Ende der neuen Ausgabe. Ja, das Buch hat ein offenes Ende und es entsprechend auch mit diesen in die Ungewissheit führenden, drei Punkten weiter zu akzentuieren ist eine völlig nachvollziehbare Entscheidung.
Aber es ist genau das: eine Entscheidung. Das englische Buch schließt wie die 1991er-Ausgabe mit einem einzelnen, klaren Punkt ab. Ob man die Änderung der Neuausgabe nun als gute Variante begreift, die weiter akzentuiert, was der Text ohnehin schon ausdrückt, oder ob man es als unlauteren Eingriff in die Formulierung des Originals ansieht? Das kann, nein, das müssen kritische Lesende vermutlich selbst entscheiden.

Nicht jeder der Eingriffe ist dabei wegweisend. Es erscheint jetzt erst einmal weniger dramatisch, ob an einer Stelle „die Möbel mit weißem Leinen bedeckt“ sind (2021, S. 237), oder „mit weißleinenen Tüchern zugedeckt“ wurden (1991, S. 142) – wobei selbst das interessant ist, denn es zeigt nur umso mehr, wie sehr zwei Übersetzungen korrekt, jedoch in der Wortwahl doch verschieden sein können. („… the furnishings draped in white“, übrigens.)

Es zeigt auch, was man ja im Volksmund häufiger hört – dass Übersetzungen womöglich schneller altern als die Originaltexte, auf denen sie basieren. Übersetzerin Dagmar Ploetz etwa erklärt das (im Bezug auf ein ganz anderes Buch wohlgemerkt) damit, „dass jede Übersetzung eine Interpretation ist. Und die ist eben individuell und zeitgebunden“ (Quelle).
Davon mag man halten was man will, aber eine gewisse Altertümlichkeit kann man den „weißleinenen Tüchern“ wohl nicht absprechen. Da schließt sich auch wiederum der Kreis zum Titel – natürlich spielt hier auch der immens erfolgreiche Film mit hinein, aber der Wechsel vom „Gespräch“ zum neudeutschen „Interview“ ist sicherlich auch Ausdruck der Zeit, in der die jeweiligen Ausgaben erschienen sind.
Umso mehr halte ich es aber für interessant, dass hier eben nicht neu übersetzt, sprich frisch neu interpretiert wurde, sondern der Text „nur“ aufpoliert worden ist.
(Und wir können jetzt darüber diskutieren, ob das Altertümelnde nicht auch einen gewissen Charme hat – aber das führt über unser Thema hinaus.)

Übrigens ist mir, zumindest rein anhand des Buches, völlig unklar geblieben, durch wen diese Bearbeitung erfolgt ist. Keine Ahnung, ob die ursprünglichen Übersetzer beteiligt waren, oder ob das etwa durch das interne Lektoratsteam bei Blanvalet geleistet wurde.
Tatsächlich findet sich abseits des Aufklebers auf dem Cover im gedruckten Werk keinerlei Hinweis auf die Bearbeitung. (Und darum, liebe Leute, zwingen einen Lehrer und Dozenten auch zu diesen ultra-präzisen Quellenangaben.)

Unterm Strich ist das Buch in meinen Augen so oder so auch 2023 noch absolut lesenswert. Und da ist es egal, ob nun im Original, ob als Gespräch mit dem Vampir oder als Interview mit einem Vampir. Wobei letzteres natürlich leichter zu haben ist und – die wild divergierenden Seitenzahlen zeigen es – deutlich lese- und augenfreundlicher gesetzt wurde.
Doch neben all dem ist es eben auch ein weiteres, tolles Beispiel für diese These, die ich 2019 schon formulierte: Übersetzung, damals wie heute, sind keine Selbstverständlichkeit.

Viele Grüße,
Thomas

QUELLENNACHWEIS

Rice, Anne: Gespräch mit dem Vampir. München: Goldmann 1991. Hier online kaufen.
Rice, Anne: Interview mit einem Vampir. München: Blanvalet 2021. Hier online kaufen.