Von einer schier unerträglichen Wortwörtlichkeit
Hallo zusammen!
Fangen wir damit an, klar zu sagen: Wir hatten dieses Thema im Grunde hier schon mal. Anlässlich des Diskurses rund um Tenet schrieb ich einen langen, flammenden Artikel und an sich war damit eigentlich alles gesagt. Dachte ich.
Aber dann kam da die vierte Staffel True Detective daher – und mit ihr eine erneute Welle von mehr als nur fragwürdigen ‘Diskurs’-Videos.

Wichtig: Es geht mir gar nicht um die Qualität der Serie. Falls ihr die gesehen und gemocht habt – cool, ich auch! Falls nicht, schade, aber tut all dem, was ich nun schreiben werde, auch keinen Abbruch. Vor allem müsst ihr sie denke ich aber auch nicht gesehen habe, um diesem Artikel folgen zu können.
Wichtig auch: Ich werde die Serie hier nicht spoilern. Ich werde keinen expliziten Bezug nehmen auf konkrete Ereignisse, die innerhalb der Handlung passieren. Aber natürlich hat die Serie diesen Artikel letztlich inspiriert und abhängig davon, wie rigoros ihr ggf. Spoiler meiden wollt … nun, ihr seid gewarnt.
Die wichtigste Information ist vermutlich: Wie schon die vorangehenden Staffeln der Serie, insbesondere ähnlich wie die erste Staffel, ist auch Staffel vier – Night Country – in manchen Punkten sehr vage. Völlig gewollt werden oftmals nur Erklärungsansätze geboten (und anschließend auch noch aktiv in Frage gestellt), sodass das finale Urteil den Zuschauenden überlassen bleibt. Etwas, was offenkundig nicht wirklich kompatibel ist mit der Methodik vieler Medien-„Analyse“-Kanäle auf YouTube.
Ein Unfall in Zeitlupe, ohne dass man wegschauen kann
Ich denke, der wirkliche Stein des Anstoßes für mich, diesen Text hier zu verfassen, war der Kanal Screencrush und seine begleitenden Videos zur Serie. Screencrush ist in meinen Augen an seinen besten Tagen mehr ‘okay’ als wirklich gut, aber die dortigen Videos zu Star Wars und dem MCU sind auf jeden Fall sehr beliebt, und als Berieselung beim Mittagsjoghurt nicht ganz schrecklich.
Doch es war geradezu majestätisch mitanzusehen, wie der ganze „Easter Eggs and things you missed“-Ansatz kollabiert ist beim Kontakt mit einer so zielgerichtet opaken Serie. Das Modell funktioniert mit so etwas wie Star Wars, wo man wundervoll runterbeten kann, dass jenes Fahrzeug auf einem Kenner-Spielzeug basiert und dieser Jedi schon mal in einem Comic vorkam. Es funktioniert mit Marvel, wo beliebige Referenzen zu Comic-Zyklen und anderen Vorlagen gezogen werden können.
Aber zu sehen, wie die Macher des Kanals durch eine so willentlich ungreifbare Serie stolpern und gar kein Konzept dafür zu finden scheinen, ist nachgerade mitleiderregend. Als würde man einem Hund dabei zuschauen, wie er versucht, Schneeflocken zu fangen.
Von Franchises verdorben
Dabei erwähne ich spezifisch Screencrush nicht mal, um gezielt auf denen herumzuhacken – die Grafik weiter oben im Artikel zeigt ja schon, dass deren Videos auch kein Einzelfall waren oder sind. Eine Serie wie True Detective ist nicht geschaffen, um gelöst zu werden. Insofern sind auch alle derartigen Ansätze, die in diesen Videos zu finden sind, von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen.
Und in gewisser Weise sind all diese „Analyse“-Kanäle auch nur das Produkt einer von Kapitalismus statt Kunst getriebenen Medienkultur.
Viele moderne Medien sind so sehr darauf hyperfokussiert, ihre eigene IP, ihre eigene Brand, ihr eigenes Multi- und Metaversum zu etablieren, dass auch viele Rezipienten offenbar entlang des Weges verlernt haben, wie es ist, wenn ein Medium mehr sagen möchte als seinen puren Text. Wenn es Subtext gibt, der aus mehr besteht als Hinweisen auf Sequels und Easter Eggs.
In solchen Fällen gilt es, den Text[1] analytisch zu erfassen und selber die kognitiven Lücken der Erzählung zu füllen. Aber nicht mit endlosen Chargen von Trivia, sondern mit einer wirklichen Interpretation dessen, was man dargeboten bekommen hat.
Und das wiederum erfordert ein gewisses Beherrschen des eigenes Werkzeugkastens. Das ist der Punkt, wo sich ein Unterschied auftut, zwischen jenen, die in der Lage sind, einen Text auf Basis seines reinen Inhalts zu interpretieren und jenen, die bestenfalls anhand von Eckpunkten eine Deutung herbeifabulieren. Das, was viele dieser modernen „Analyse“-Videos liefern, ist eben keine Analyse, es ist von einer Wikipedia- oder Google-Schlüsselwort-Suche begleitete Fanfiction.[2]
Die größte Ironie für mich ist dabei, dass da oft eine „verborgene Bedeutung“ proklamiert wird, die allerdings ein völliges Hirngespinst jenseits des wirklichen Textes ist – während jede Form von Subtext, die vorhanden sein mag, erstickt wird unter diesem willkürlichen Referenz-Gewirr, das meist noch mit einer satten Prise Sensationalismus abgeschmeckt wird.
Der Fehler geschieht dabei direkt auf der absoluten Basis-Ebene – wer True Detective, aber auch Kunst im Allgemeinen, nur als ein Puzzle begreift, das es zu lösen gilt, der versperrt sich selbst jeden Zugang zu allen Werken, die nicht nur rein wortwörtlich gelesen werden wollen.[3] Das wird schnell deutlich, wenn man sich besieht, wie viele Leute mit dem Ende der Serie nicht klarzukommen scheinen.
Das Ende eines flachen Kreises
Das Ende von True Detective: Night Country ist nicht offen gehalten, um als Cliffhanger zu fungieren. Marvel hat den Weg geebnet für eine Filmkultur, in der die Medien mehr und mehr zugleich Hauptprogramm und Werbetrailer schon für den nächsten Teil der Reihe sind. Aber ganz klar: Offene Enden müssen nicht dazu da sein, nach einem Sequel zu verlangen.
Wenn am Ende von Fight Club die Hochhäuser fallen, wissen die Zuschauenden nicht, wie es mit den beiden Figuren im Vordergrund weitergehen wird. Das ist aber nicht schlimm. Vielmehr soll der Zuschauer eine Antwort finden.[4]
Wenn am Ende von Inception weggeschnitten wird, bevor der Kreisel fallen kann, geht es niemals um eine definitive Antwort, ob es nun alles real ist oder nicht. Es geht um die Abwesenheit einer definitiven Antwort.
Und wenn wir mal ganz ehrlich sind, hat die Serie eigentlich nichtmal ein offenes Ende. Die Staffel hat im weiteren Sinne drei Hauptfiguren, Chief Liz Danvers, Trooper Evangeline Navarro und Officer Peter Prior. Jede dieser drei Figuren hat, wenn die Credits der letzten Episode laufen, ihren eigenen Handlungsbogen erfahren. Sie alle sind mit einschneidenden Ereignissen konfrontiert worden und jeder von ihnen hat sich auf dieser Basis weiterentwickelt. Sie haben eine persönliche Hürde überwunden und haben eine Charakterentwicklung absolviert. Damit ist die Serie, rein auf einer Charakterebene, rund und abgeschlossen.
Ja, klar, es sind Fragen offen geblieben – aber die ganze Staffel aalt sich doch ohnehin in dieser Ambiguität. Alleine das Maß, in dem keine einzige Rückblende in der Staffel mit dem sie begleitenden Voice-Over wirklich zusammenpasst, zeigt das. Am Ende der Serie haben die Zuschauenden zu einer Reihe von Fragen verschiedenste Antworten erhalten. Welche davon nun stimmen, das bleibt völlig bewusst offen.
Auf manche Fragen gibt es keine Antwort
Nichts davon ist ein Defizit der Serie. Vielmehr ist das völlige Implodieren vieler Erklär-Videos Zeugnis von einem Defizit seitens der Betrachenden, bzw. spezifischer mindestens der content creator.
Es ist doch völlig okay, wenn Medien einen nötigen, manche Antworten durch eigenes Nachdenken und rein für einen selbst zu finden. Nicht okay ist, dass das offenbar Leuten immer schwerer fällt.
Die ganze Medienrezeption, die uns mehr als ein Jahrzehnt der Hyper-IPs eingebracht hat, besitzt gar nicht das notwendige Vokabular, um sich mit so etwas auseinanderzusetzen. Man braucht das wohl auch nicht, um über Avengers Endgame zu sprechen. Doch konfrontiert mit einer bewusst vagen Serie wie dieser hier, wird das Unvermögen offenbar, wenn die content creator lieber den Grad kosmischen Horrors anhand der Form von Kühlschrankmagneten hineindeuten wollen. (Und Gott, ich wünschte, das wäre kein konkretes Beispiel.[5])
Es geht bei Finchers Sieben – um mal einen der Klassiker offener Enden zu nennen – nicht darum, was sich nun wirklich in der memetisch massiv ausgeschlachteten Box am Ende befindet. Es geht gerade darum, dass wir es nicht wissen, und was die Box mit Brad Pitts Detective Mills macht. Ähnlich ist es hier.
Auch darum ist der ganze Ansatz, etwas final „aufzulösen“ oder zu „erklären“ völlig chancenlos; im Falle von Sieben ebenso wie bei Night Country.
Und wichtiger noch: Nicht alles braucht eine Antwort.
In gewisser Weise ist all das, was ich hier beklage, auch ein Dämon, den wir selbst beschwören. Wir beschwören ihn jedes Mal, wenn wir eben doch auf diese maximiert Clickbait-orientierten Videos klicken. Wenn wir wider besseren Wissens genau diese Beiträge aufrufen, der Algorithmus frohlockt und uns dann eine YouTube-Person irgendwelche hanebüchenen Thesen präsentiert, die oftmals so gar nichts mit dem Medium zu tun haben.
Oftmals hält ja nicht mal das Video sein eigenes Versprechen und viele der Enthüllungen, die Titel und Thumbnail verheißen, verpuffen ohnehin. Da kann man auch mal drüber nachdenken, wenn man das nächste Mal im Supermarkt an der Kasse auf die Boulevard-Heftchen guckt und müde belächelt, wer auf deren skandalheischende Masche wohl noch reinfällt.
„Some questions just don’t have answers“ – auf manche Fragen gibt es schlicht keine Antworten – erklärt (ausgerechnet) Chief Danvers gegen Ende der Serie, während sie mehrdeutig lächelnd ihre Hawaii-Tasse hält. Und weil die Serie einen da bereits hinreichend trainiert hat, nichts mehr zu glauben, ist selbst diese Aussage nicht ohne Ambiguität, gerade in dem Kontext, in dem auch diese Szene insgesamt erscheint.
True Detective scheut sich nicht, manche Dinge geradezu offensiv nicht endgültig zu beantworten.
Und das ist gut so.
Schade nur, dass mainstream-kulturell offenbar viele verlernt haben, damit umzugehen.
Viele Grüße,
Thomas
Ja, ich mache hier wieder dieses Medienwissenschaftler-Ding und spreche einfach konsequent von Text, auch wenn es womöglich nicht um ein gedrucktes Buch, sondern beispielsweise wie hier um eine Serie oder einen Film geht. ↩︎
Wie schon im Tenet-Artikel geschrieben, habe ich dieses Fanfiction-Argument vor allem Dan Olsen zu verdanken, der eine vergleichbare Argumentation in seinem großartigen und artverwandten Video über die Interpretation des Films Annihilation führt. ↩︎
Der Kanal Writing with Andrew führt dazu in diesem Video eine gute Argumentation ins Feld, wenngleich er sich dort rein auf Lyrik bezieht. Ich behaupte aber, was er dort erklärt, ist auch hier anwendbar. ↩︎
Und ja, mir ist bewusst, dass Chuck Palahniuk inzwischen Fortsetzungen veröffentlicht hat. Und ja, ich habe auch das Buch gelesen und weiß, wie anders das Ende ist. Tut beides nichts zur Sache. ↩︎
Soll mir keiner vorwerfen, keine Quelle genannt zu haben, aber bitte überlegt euch, ob ihr den Unfug wirklich mit einem Klick belohnen wollt. Empörung ist ja am Ende des Tages auch nur eine Form von Clickbait … ↩︎

#Realsatire, oder so …






Wen hingegen meine berufliche Arbeit als Verlagsleiter und leitender Layouter für Ulisses Spiele interessiert, findet