Record of Lodoss War – oder: Medien von entwaffnender Aufrichtigkeit

Hallo zusammen!

Wir schreiben das Jahr 2001. Genauer gesagt ist es Juli, und inmitten der Sommerferien ist die Welt noch ein einfacherer Ort. Es sind die letzten Sommerferien meines Lebens, die finale Jahrgangsstufe 13 naht am Horizont. Nach ihr lauern der Zivildienst und anschließend der Umzug nach Aachen zwecks Studium, aber nicht in jenem Juli.
Auch sind es nur noch wenige Wochen, bis September 11 die gesamte Welt auf den Kopf stellen und eine erschreckende Zeitenwende einleiten wird, deren Auswirkungen wir meiner Meinung nach leider bis heute spüren.

Es war einmal …

Aber im Juli 2001 ist mir all das wirklich noch gleichgültig. Es sind Sommerferien voller Rollenspiel. Zwar hatte ich jene Leute, die heute die DORP bilden, zu großen Teilen erst wenige Monate vorher kennengelernt, doch mein Lebensmittelpunkt war klar ein anderer als noch im Jahr zuvor.
Und wenn ihr euch inzwischen fragt, was all das mit Record of Lodoss War zu tun hat – faire Frage.

Es war in jenen Sommerferien, dass mein Mitrollenspieler Kenny auf etwas aufmerksam wurde. Vom 10. bis 24. Juli plante der Fernsehsender VOX in seinem Nachtprogramm immer montags ausnahmsweise mal keinen Schweinenkram, sondern alle 13 Folgen einer Anime-Serie auszustrahlen. Eben jener Serie, um die es heute geht: Record of Lodoss War.
Wirklich Ahnung hatten wir beide nicht, aber was uns sofort auffiel, war, dass diese Serie quasi D&D zeigte, nur animiert. Kenny wohnte fußläufig keine 10 Minuten von mir und seine Eltern waren in Urlaub – ergo stand unser Montagabend für die kommenden drei Wochen fest.

Record of Lodoss War meint hier, um mal nachträglich vorne anzufangen, eine Anime-Serie aus dem Jahr 1990. Spezifisch ist die OVA-Umsetzung, um die es hier heute irgendwie geht, die erste visuelle Adaption der gleichnamigen Romane von Ryō Mizuno; ich komme da später nochmal darauf zurück.
Und 2001 war es für mich auch einer der ersten Animes, mit dem ich mich abseits weniger ausgewählter Studio-Ghibli-Filme1 ganz bewusst auseinandergesetzt habe.2 Es dürfte mich der DORP’sche Tom da schon durch El Hazard und der DORP’sche Matthias durch Ghost in the Shell gescheucht haben, aber sonst war „Anime“ ein seltsames Randthema für mich, dass ich bestenfalls aus dem Füllwerk früher Videospiel-Zeitschriften kannte.

Eine Geschichte von entwaffnender Ehrlichkeit

Doch springen wir für den Moment zurück in die Gegenwart – das Jahr ist 2025, und ich habe jüngst die komplette Serie nochmal auf BluRay geschaut. Ohne Zweifel, was ich da an Bild und Ton geboten bekommen habe, ist der alten VOX-Ausstrahlung garantiert Lichtjahre voraus, dennoch war ich unsicher. Wie gut würde die Serie – auch im Kontext vieler starker, moderner Animes – wohl gealtert sein?
Bemerkenswert gut, kann ich sagen.

Natürlich sieht man ihr das Alter an. Diese komplett handgezeichnete Optik ist ja eine Anmutung, die im Kontext moderner Animes immer fremdartiger und „vergangener“ wirkt, ist jedoch handwerklich dennoch einfach gut. Ich persönlich mag den Look sogar sehr, aber der Anime kann – ebenso wie der Autor dieser Zeilen – sein Alter halt nicht verbergen.

Was mir aber direkt aufgefallen ist, ist gar keine visuelle Eigenart der Serie – es ist der Tonfall, in dem sie erzählt.
Record of Lodoss War ist auf eine Art und Weise ernsthaft, wo doch heute gefühlt so viel Fantasy im Grundton ironisch ist. Und sie ist von einer ganz eigenen Aufrichtigkeit, wo heute so vieles distanziert als Meta-Narrativ begriffen wird.
Ich habe immer öfter das Gefühl, dass sich viel heutige Phantastik einfach nicht mehr traut, von ganzem Herzen phantastisch zu sein. Damit meine ich nicht nur die Häufung ironischer Oneliner in den gängigen Marvel-Filmen. Lodoss ist durch und durch D&D-codiert, aber die vielen augenzwinkernden Momente etwa des letzten D&D-Films, die sucht man hier vergeblich.
Versteht mich nicht falsch, ich liebe Ehre unter Dieben. Aber auch dort hatte ich immer das Gefühl, dass die Macher bloß sichergehen wollten, dem Publikum zu vermitteln, dass auch ihnen klar sei, dass das alles ein bisschen albern ist. Dieses wissende Augenzwinkern, das sagen will: „Wir haben den Witz verstanden“, das gibt es hier nicht.
Dass sich Lodoss nicht konstant für seine eigenen Klischees rechtfertigt, liegt sicherlich auch daran, dass vieles davon 1990 noch nicht gleichermaßen ein Klischee war. Ich denke aber, das alleine reicht als Erklärung nicht. Lodoss ist nicht weniger albern als andere D&D-Adaptionen, aber Lodoss erzählt seine Geschichte dennoch ohne jede ironisierte Distanziertheit, aber mit einem entwaffnenden Glauben an die eigene Geschichte.

Das gelingt auch nicht immer gut. An einer Stelle in Episode 7 blicken die Charaktere auf ein furchtbares Schlachtfeld, auf endlose sinnlose Tote auf gleich zwei Seiten des titelgebenden Krieges. Und dann beginnt ein Charakter und sinniert: „Die Namenlosen sind wie Staub in der Wüste. Niemand pflanzt Blumen auf ihre Grabstätte. Man gedenkt nur jener, die sich einen Namen machen.“ Alles cool. Und dann beschließt er mit: „Das ist schade.“
Ehrlich? Schade?
„Schade“ ist für mich ein Wort dafür, dass der Lidl den Aufschnitt nicht hat, den ich kaufen wollte. Kein Wort, um hunderte Toter zu betrauern. Wobei ich sicher bin, dass das eher ein kulturelles Transferproblem ist; ich spreche kein Japanisch und kann weder bei den Untertiteln noch dem Dub beurteilen, ob das alles Sinn ergibt.
Aber: Dann gibt es die anderen Momente. Alleine im ohnehin wunderschönen Vorspann, an dem ich mich niemals sattsehen werde, gibt es diese oben schon abgebildete Aufnahme, in der zwei der Hauptfiguren auf einem einzigen Pferd auf einer Klippe vor einem Wolkenmeer stehen, und … diese eine, einzige Aufnahme strahlt für mich ein solch unendliches Maß an sense of wonder aus, wie es ganz wenige Medien überhaupt je geschafft haben.

Und das ist, bevor dann auch noch ein Drache durch die Wolken bricht und auf dem fernen Felsen landet.

Keine Ironie. Kein Augenzwinkern. Stattdessen die Ehrfurcht vor und eine Sehnsucht nach einer magischen Welt.

Bis heute relevant

Aber lassen wir all meine Nostalgie mal kurz beiseite. Tatsächlich ist Record of Lodoss War auch heute medienästhetisch und medientheoretisch noch aus diversen Winkeln eine klare Betrachtung wert.
Lodoss’ kultureller und ästhetischer Einfluss ist bis heute zu spüren, wenn etwa in modernen Produktionen wie Frieren die Elfen die gleichen, wild überzogenen Ohren haben, die schon dereinst bei Hauptfigur Deedlit die Herzen ihrer Fans schneller schlagen ließen.

Aber noch viel spannender finde ich zu schauen, wie unfassbar nah der Ursprung der Serie eigentlich an dem ist, was Jahrzehnte später zu kontemporären D&D-Adaptionen in Zeichentrick-Form geführt hat. Inmitten des Laufs der Legend of Vox Machina und kurz vor dem Beginn der ersten Staffel der Mighty Nein, tut sich da eine spannende Parallele auf. Diese beiden modernen Serien basieren ja auf den Let’s-Play-Formaten von Critical Role, also letztlich auf Mitschnitten realer Rollenspielrunden.3 Interessanterweise ist das bei Record of Lodoss War gar nicht anders.
Ryō Mizunos ursprüngliche Romane fußen ihrerseits auf etwas, was in Japan bis heute sehr beliebt ist und was sich Replay nennt. Um es einfach zu machen: Replays sind eigentlich auch nichts anderes als Let’s-Play- bzw. Actual-Play-Formate, nur eben – bedenkt, es waren die 1980er – in Textform. Es sind Spielprotokolle; es ist noch keine belletristische Aufbereitung, sondern wirklich eine Dokumentation von Handlungen, dramatischen Würfelwürfen und dem Austausch am Spieltisch. Dieser englische Artikel arbeitet das auch sehr schön auf, falls jemand das Thema vertiefen will.

Man könnte durchaus die spannende Frage aufwerfen, ob dieser direkte Bezug zur echten Spielerfahrung etwas ist, was tatsächlich eine Rolle beim Erfolg des Versuchs spielt, Tischrollenspiel in eine klassische Erzählform zu bringen. Die Romanreihe rund um die Drachenlanze nahm ja auch ähnlich ihren Anfang.
Das sprengt den Rahmen dieses Artikels und meine spontane Vermutung wäre eher eine survivorship bias; also der „Überlebenden-Irrtum“, der entsteht, weil man die Erfolge nachher sehen kann, die Misserfolge aber bereits in Vergessenheit geraten sind.
Aber wer weiß – sucht jemand noch ein Thema für die Uni?

Um nochmal auf den persönlichen Bezug zurückzukommen

Es gäbe da also viel, was man hier noch beleuchten könnte – und gerade die Frage nach der unironischen Erzählweise wird an dieser Stelle nicht das letzte Mal Thema gewesen sein. Vermutlich ist da meine Anregung vor allem, euch das auch selbst bewusst zu machen. Das muss gar nicht am Beispiel von Record of Lodoss War erfolgen. Wenn man einmal den Blick dahingehend schärft, wie viele Medien(schaffende) sich heute offenbar nicht trauen, ohne den Schutzschild augenzwinkernder Verklärung zu erzählen – und wie viele Kritiker sich lieber ihrerseits in bissige Kommentare verkriechen, anstatt genau dem aufrecht ins Auge zu blicken –, man findet es an allen Ecken. Wollen wir denn wirklich das Gefühl des per Definition naiven Sense of Wonder opfern, nur aus Angst, andere könnten es klischeehaft oder cheesy oder cringe finden?
Ich denke nicht.

Was dies hier keinesfalls ist, ist eine Rezension. Ums da kurz zu machen: Wenn ihr beizeiten 13 x 25 Minuten übrig habt, ist die Serie denke ich auf jeden Fall nochmal einen Blick wert, auch wenn sie Stand heute sträflich bei keinem Streaming-Dienst gelistet ist und die BluRay weitläufig vergriffen scheint.
Für mich wird Lodoss immer auch eine persönliche Bedeutung haben. Eine Erinnerung an den vermutlich letzten Sommer, bevor die Welt sehr viel komplizierter wurde, im eigenen Leben, weltpolitisch und irgendwie eben auch in der Form unserer heute oft so abgeklärt-distanziert inszenierten Unterhaltungsmedien. Eine Erinnerung daran, wie ich mit Animes nicht nur eine ganz neue Medienform schätzen lernte, sondern diese Erfahrung auch mit alten wie neuen Freunden teilen durfte. Menschen, mit denen ich großteilig bis heute verbunden bin.

Wenn am Ende des Vorspanns die gesamte Heldengruppe eingeblendet wird, dann waren das damals wir in meinen Augen. Und irgendwie – zumindest gewissermaßen – sind wir das bis heute.

Viele Grüße,
Thomas

  1. Nausicaä aus dem Tal der Winde wird mal ein eigenes Thema hier sein. ↩︎
  2. Mit dem üblichen Hinweis dass, klar, Heidi und Biene Maja technisch auch Animes sind, Sailor Moon und Mila Superstar ebenso, und Saber Rider irgendwie auch. Alles wahr.
    Wenn ihr aber entgegen aller Statistik hier eher jüngeren Alters sein solltet, ist es für euch glaube ich gar nicht mehr vorstellbar, wie sehr Animes und Mangas 2001 trotz allem noch nicht in der allgemeinen Popkultur angekommen waren.
    Selbst die Ausstrahlung von Hellsing auf VIVA und der damit verbundene, zusätzliche Push in den Mainstream lag da noch zwei Jahre in der Zukunft und somit waren tatsächlich VOX und Arte hier die Speerspitze, erste etwas ’speziellere‘ Animes – meist noch OmU – überhaupt sehen zu können. ↩︎
  3. Wir können jetzt sehr lange darüber diskutieren, wie authentisch diese gestreamten Runden mittlerweile noch sind, oder ob das überhaupt ein relevanter Faktor sein mag. Wir können das aber auch lassen; denn für diesen Artikel spielt es im Grunde keine Rolle. ↩︎

4 Kommentare zu “Record of Lodoss War – oder: Medien von entwaffnender Aufrichtigkeit

  1. Ich habe deinen Artikel mit großer Freude gelesen – ein toller Beitrag, der mir nicht nur aus der Seele spricht, sondern mich auch zum Nachdenken angeregt hat. Ich stelle fest, wie wertvoll es ist, dass Menschen wie du so denken und schreiben, denn gerade diese Perspektive, die du hier aufmachst, verdient es, gehört zu werden und weitergedacht zu werden. Ich werde mir Zeit nehmen, darüber nachzudenken und auch etwas dazu zu schreiben. Danke für diese Anregung.

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