Hallo zusammen!
Ich habe die Tage mal versucht zu überlegen, wann das letzte Konzert war, auf das ich gegangen bin – und ich denke, es ist realistisch zu sagen, dass es durchaus ein Jahrzehnt her gewesen sein mag. Ich habe zwar seither musikalische Bühnenverstanstaltungen besucht, aber das war dann immer eine Tanzgruppe – Les Ballets Trockadero des Monte Carlo in Köln, oder die Kibbutz Contemporary Dance Company in Aachen –, keine Bands oder Musiker.
Und im Kern dachte ich eigentlich auch gar nicht groß darüber nach, das zu ändern – und somit ist das hier definitiv ein Fall der Sorte „Mir war selber gar nicht klar, wie sehr ich das brauchte“. Die Rede ist von Kettcar.
Erlaubt mir einen Exkurs – auf die Gefahr hin, dass er für langjährige Leser Redundanz bietet. Aber als ich so in der zweiten Hälfte der 90er meine musikalische Punk-Phase durchlief, da war ich damit nicht alleine. Meine ganze Schulklasse, mein Freundeskreis, alle waren sie doch mehrheitlich weit links und jeder hatte so seine Favoriten. Mainstreamiger waren es die Ärzte, andere hingegen schworen auf WIZO oder die Wohlstandskinder. Jeder fand da etwas. Aber keine Band, ich denke auch über diese Phase meines Lebens hinaus, schlug so massiv im ersten Moment schon ein wie … but alive. Das muss irgendwo nach dem Erscheinen von Nicht zynisch werden 1995 und vor der Bis jetzt ging alles gut … 1997 gewesen sein. Es war im schummrigen Keller der Freundin eines Kumpels, dass jemand die CD auflegte und … so etwas hatte ich noch nie gehört. So etwas hatte ich für mich noch nicht entdeckt. Die Musik war gut, der Sänger sehr gut, aber es waren die Texte, die mich weggerissen haben. Das hier war nicht der Spaß-Punk, den ich so oft gefunden hatte, das waren auch nie linke Arbeiterkampflieder wie sie mir öfters unterkamen, oder „Schlachtrufe BRD“, das waren intellektuelle, kluge, gut geschriebene … Reflexionen.
Das Bindeglied zwischen … but alive und Kettcar ist konstant Sänger, Gitarrist und Frontmann Marcus Wiebusch. Und was über diese erste musikalische Epiphanie hinaus passierte, war, dass ich mich natürlich weiterentwickelt habe, Ansichten sich verschoben haben, Positionen sich verlagerten. Wie das ist, wenn man älter wird. Aber parallel dazu gab es schon bei … but alive eine starke Neuausrichtung zu ihrem letzten Studioalbum Hallo Endorphin und dann die Fortsetzung in der neuen Band Kettcar (und einem Solo-Album 2014), und immer, immer war und ist es so, dass ich das neue Werk höre und wieder denke, japp, das trifft es, das sind deine Gedanken, da kannst du zu stehen.
Weshalb ich selbst nicht auf die Idee gekommen wäre, die Band mal live zu sehen? Ja weiß der Geier. Dass eine gute Freundin mit dem Gedanken daherkam und fragte, ob wir nicht zusammen hingehen wollen, war dann wiederum pures Glück, denn wie ich schon sagte, mir war vorher gar nicht klar, wie gut das sein würde.
Ich habe in der Vergangenheit ja durchaus schon Konzerte besucht, so ist das nicht. Aber zu keinem davon hatte ich ansatzweise eine Bindung wie nun zu diesem hier – und das schlug sich nieder.
Ich schreibe ja viel in diesem Blog über Kunst, Künstler und das Schaffen, doch Musik ist etwas, was dabei immer etwas kurz kommt – was auch daran liegt, dass ich selber da wenig aufweisen kann. Tanz, ja, klar. Musizieren? Nein, leider nicht.
Aber Kunst als Ausdruck eines Schaffensdrangs, das ist etwas, was natürlich nicht den Texten, Videos und Audioprojekten dieser Welt vorbehalten ist, sondern was sich – in mancher Dimension vielleicht sogar mehr noch – auch in Musik und Konzerten entlädt. Ich höre gerne Musik, ich höre gerne bewusst Musik, aber natürlich ist es noch einmal etwas anderes, dabei zu sein, wenn diese Musik gemacht wird. Dass die Band entsprechend gut aufgelegt war und besonders angespornt, weil das in Köln wohl die größte Einzelshow ihrer bisherigen Karriere war, das ist ein besonderer Bonus.
Es regt natürlich auch Gedanken an, die dem, was ich hier oft sonst so schreibe, weniger fremd sind. Vergängliche Kunst etwa; Gemälde, Romane, Filme – die bleiben, die sind abrufbar. Aber alles, was eine Aufführung ist – Bühnenstück, Tanz, Lesungen und Konzerte, das sind Erfahrungen, die an einem Ort zu einer Zeit passieren, und die in dieser Form auch nicht zu wiederholen sind. Und da mögen anno 2018 noch so viele Smartphones im Publikum leuchten, der Moment, der ist nur dort. Die Fotos und Videos mögen als Erinnerung fungieren, aber der allsinnliche Eindruck der Aufführung ist jenen vorbehalten, die dort waren. Und das macht es wertvoll. Was man sieht, mit welch kostbarem Menschen man es womöglich teilt, aber auch das gesamte Drumherum verweben sich zu einer Erinnerung, für die der oder die Künstler zwar Katalysator sind, die jedoch auch nicht vollumfänglich in deren Hand liegt. Das sind alles keine neuen Gedanken, das wusste im Kern z.B. Walter Benjamin schon lange vor mir, aber es ist auch hier noch mal etwas anderes, die Wahrheit hinter den Worten mal wieder zu erfahren.
So, und dann ist da noch der Satz, mit dem ich diesen Text überschrieben habe. „Humanismus ist nicht verhandelbar“. Er folgte, klar, an Kettcars Sommer ’89, als Wiebusch darauf verwies, was sie sich nach dem Release des Songs alles hätten anhören müssen. Es ist ein Satz, der bei mir nachhallte – und einmal mehr aufgriff, was ich eingangs sagte – Texte, Worte, in denen ich mich wiederfinden kann.
Und irgendwie, über eine lange Kette obskurer Inspirationen, steht dann am Ende auch die Erkenntnis, dass vermutlich ohne die hier genannte Musik und ihren Einfluss auf mich über all die Jahre, auch etwas wie Ihr Name ist Mensch nie passiert wäre.
Diese anhaltende Wirkung hätte vermutlich auch niemand erwartet, als eine Gruppe Jugendlicher damals diese Punk-CD mit dem wundervollen Eric-Drooker-Cover das erste Mal auflegte.
Ich bin nicht scheu zu sagen, dass jenes Konzert dort mein Leben bereichert hat; ganz wörtlich, in dem Sinne, dass dieser Abend es in einem kleinen Maße insgesamt besser gemacht hat, so wie es nur jener Abend konnte. Und man könnte daraus in gleich mehrere Exkurse über unsere Zeit der aufgezeichneten Erinnerungen, der omnipräsenten Videos und ubiquitären Kameras ausbrechen, aber das spare ich mir mal für ein anderes Mal auf.
Wenn ich aber Silvester in meinem Neujahrsgruß hier schrieb: „Geht hinaus in die Welt, spürt und fühlt und riecht und seht, was euch umgibt“, dann meinte ich genau so etwas.
Mit anderen Worten: lebt.Viele Grüße,
Thomas