Hallo zusammen!
Wir kamen im DORPCast 60 das erste Mal darauf zu sprechen: Im Dialog über The Gamers 3 stellte Michael sich die Frage, warum der Film eigentlich besser geschrieben sei als so viele Hollywood-Komödien, die einem unterkommen. Ich war mit einer Antwort schnell dabei, und im Kern ist es eine alte Redensart: Zu viele Köche verderben den Brei.
Dann aber kam ich tags darauf an einem Artikel vorbei, der ohnehin lesenswert ist und darum hier verlinkt sein soll: Stefan Stuckmann bloggt darüber, „Wie man keine gute Serie macht“. Wie gesagt, ein Artikel der in sich schon gut ist und auch für Kreativschaffende außerhalb der Fernsehjunkies etwas bietet, der aber zugleich in einer Fußnote zwei schöne Zitate anführt, die hier in meinen Beitrag wiederum ebenfalls gut untergebracht sind.
The quality of work resulting from a project is inversely proportional to the number of people involved in the project.
* Ken Segall (Apple)I’ve searched all the parks in all the cities — and found no statues of Committees.
* G.K. Chesterton
Zum einen führt es zu dem Dilemma, dass Entscheidungen in Gruppen letztlich immer Kompromisse sind. Das kann in einer kleinen, fokussierten Gruppe durchaus Erfolg versprechend sein – Drehbuchautoren- oder Regie-Duos etwa sind in Hollywood gar nicht mehr selten. Aber dieses Potenzial zur Maximierung sinkt auch schnell wieder, wenn die Gruppe zu groß wird.
Zu viele Leute wollen mitreden, haben eigene Ideen, Ansprüche, Meinungen und Sorgen. Dann wird es schnell kritisch. Dann wird einmal nur durch eine Intervention Spielbergs verhindert, dass Zurück in die Zukunft beinahe Space Man from Pluto geworden wäre, oder es ist mehr eine Fügung des Schicksals, dass Sieben die Chance erhält, ein Klassiker zu werden, anstatt quasi ein ganz anderer Film mit entschärftem Ende und obskurer Besetzung. Aber wie kommt es dazu?
Ist es wirklich nur die alte Faustregel, dass der IQ einer Gruppe sich aus dem Wert des Dümmsten geteilt durch die Anzahl der Mitglieder errechnet?
Nicht wirklich. Der Trick ist zu begreifen, dass die Bauernregel einen zentralen, wichtigen Aspekt ausspart: In der Redensart wird unterstellt, dass alle Köche Brei machen wollen. Aber das ist es ja nicht. Sicherlich sind einige dabei, die den besten Brei der Welt machen wollen (und sich darin dann vielleicht schon uneins sind). Es sind aber auch Leute dabei, die den Brei beispielsweise vermarkten wollen und aus Fokusgruppen-Tests wissen, dass beigefarbener Brei besser geht als grauer. Und es gibt die, die für die ganze Produktion verantwortlich sind und die vielleicht ganz andere Sorgen haben; vielleicht ist eine Zutat gerade in den Medien eher verrufen und obschon sie zentraler Bestandteil ist, soll sie plötzlich möglichst umgangen werden.
Ihr wisst, was ich meine.
Dies aber ist überall im Medienbereich so und in einem gewissen Maße auch ganz normal. Wenn – mein Beispiel aus dem DORPCast – für Jahre alle deutschen Fantasybücher so aufgemacht sind, dass auf dem Cover eine beliebige Waffe in einer beliebigen Landschaft steckt, dann ist das vermutlich ab spätestens dem dritten Buch nicht mehr überall Autorenwunsch, sondern Marktstrategie. Was nicht dumm sein mag – die ganzen „Völkerbücher“ (Die Elfen, Die Zwerge, Die Orks etc.) waren ja durchaus erfolgreich und wurden, der Spitzname zeigt es, auch als verlagsübergreifende Front wahrgenommen.
Die Chronik des Eisernen Druiden: Die Hetzjagd von Kevin Hearne war nach allem, was man hört, nicht so erfolgreich, wie man sich das bei Klett-Cotta gewünscht hat. Die Taschenbuchausgabe verwirft das neue, deutsche Design zugunsten der englischen Aufmachung, ändert den Titel in ein knackigeres Gehetzt (was auch näher am englischen Hounded ist), degradiert den Namen der Reihe zu einem kleinen Untertitel und was soll man sagen – mittlerweile sind mehrere Bände auf Deutsch raus, weitere in Vorbereitung.
Nun ist das eine Übersetzung, aber als Beispiel mag es dennoch taugen: Beide Designentscheidungen wurden beim Verlag getroffen und in diesem Falle die Abweichung zum Stil des Originals bei der deutschen Erstauflage auch nicht honoriert. Aber auch Richard Schwartz‘ Die Chroniken von Askir haben mit der Zeit ein extremes Rebranding erfahren.
Es geht aber auch noch weiter. Ich habe einen Lektoratsauftrag für einen Verlag erledigt, den ich hier nicht beim Namen nennen möchte, im Zuge dessen ich das Buch regelrecht umgeschrieben habe, weil von der Verlagsleitung nach dem ersten Durchgang gravierende Eingriffe gefordert wurden, die in meinen Augen weit über das Wirken eines Lektorats hinausgingen. Bernhard Kempen hat aufgehört, Pratchett-Übersetzungen anzufertigen, als das Verlagslektorat ihm zu tief in seine eigene Arbeit eingriff und er den Sinn des Originals wie auch seiner Übersetzung verfälscht sah – und berichtet darüber in einem offenen Brief, der im Netz mancherorts nicht mehr zu finden ist, aber hier zum Beispiel noch stellvertretend zitiert wird.
Ich selber habe ein Verlagsangebot bezüglich Schleier aus Schnee ausgeschlagen, als man gewissermaßen schon an der Türe zu mir sagte, dass die eine oder andere Änderung der Grundgeschichte ja ganz normal wäre.
Aber kommen wir mal fort von den Beispielen und hin zu dem, auf das ich eigentlich hinauswollte: Es muss heute nicht mehr so sein. Sicherlich, Multi-Millionen-Dollar-Blockbuster brauchen auch heute noch ein Studiosystem, viele Projekte aber eben auch einfach nicht.
Wer ein Buch schreiben möchte, das nach allen Regeln des Marktes unverkäuflich scheint, der kann es halt selbst verlegen und versuchen, den Torwächtern das Gegenteil zu beweisen. Gerade im englischsprachigen Raum mehren sich ja langsam auch Erfolgsgeschichten von selbstverlegten Büchern und drängen damit das Vorurteil von der grundsätzlich schlechten Eigenveröffentlichung ab. Auch ein Filmprojekt wie The Gamers 3 ist heute relativ problemlos machbar, genauso wie erste Kinofilme – M. Night Shyamalans neuer Streifen The Visit kommt, soweit ich weiß, vor allem aus seiner eigenen Tasche. Amanda Palmers Weg weg vom Studiosystem und hin zum Crowdfunding ist ja vergleichbar gut dokumentiert.
Was aber wichtig ist, und das ist ein Grad der Information, der mir oftmals noch fehlt, wenn darüber diskutiert wird, ist, dass im obigen Brei-Beispiel noch immer niemand dabei ist, der das Projekt aktiv sabotiert. Menschen haben Meinungen, bilden aus Meinung und Information in einem individuellen Mischverhältnis die Ursuppe ihrer Entscheidungen. Ich habe die „Völkerbücher“ angeführt, weil es dort erfolgreich war; ich habe den Eisernen Druiden erwähnt, weil’s da nicht direkt zum Topf voll Gold geführt hat. Wenn bei Insel (und später Suhrkamp) Philip K. Dicks The Three Stigmata of Palmer Eldritch zeitweise als LSD-Astronauten verlegt wurde, dann sicher nicht, weil ein Mitarbeiter das Buch sabotieren wollte. Sondern weil er es für die richtige Entscheidung hielt.
Jeder, der an so einem Projekt beteiligt ist, hat ein Interesse. Der Publisher, egal ob Buchverlag oder Filmverleih, will am Ende schwarze Zahlen sehen. Der Erzähler möchte, nun, seine Geschichte erzählen. Schauspieler wünschen sich Chancen, auf der Leinwand zu glänzen, der Spezialeffekte-Fachmann will vermutlich Spezialeffekte im Film wissen (noch so ein schönes Beispiel: Studio ADI, die frustriert von schwindendem Respekt für praktische Filmeffekte fast aus Trotz mit Harbinger Down einen Kinofilm auf die Beine gebracht haben) – und zwischen all diesen Polen irgendwo verborgen liegt ein cooles, mediales Endprodukt. Aber der Weg dorthin ist mit Kompromissen gepflastert und jeder Kreativschaffende muss für sich entscheiden, ob er gewillt ist, die damit verbundenen Zugeständnisse auch einzugehen, oder ob dies sein Werk kompromittieren würde.
Der Weg dorthin ist ein Entscheidungsprozess – und je früher man das erkennt, desto eher hat man eine wichtige Grundlage mehr, um die richtigen Entscheidungen zu treffen. Mit der Möglichkeit zur Wahl, es alleine oder über etablierte Kanäle zu versuchen, kommt zugleich die Notwendigkeit, diese Wahl auch zu treffen.
Aber wir haben diese Wahl. Wir können entscheiden, mit wie vielen Köchen gemeinsam wir den Brei zubereiten.
Treffen wir sie also. Bewusst.
Viele Grüße,
Thomas
Siehste mal, letztlich erst hatte ich mich gefragt, was eigentlich aus den vorsichtigen Verlagsovertüren für Schleicher aus Schnee geworden ist – nun weiß ich’s ja ungefähr, nicht? ;-)
Ich muss sagen, dass ich bei sowas extremst allergisch reagiere – übrigens aus schlechter Erfahrung mit einer Lektorin bei einem BoD Drucker, aber mit „verlegerischen Ambitionen“, die sich mir vor allem in „also für Zielgruppe XYZ müssen sie das aber so so und so anpassen, so wie das jetzt ist, gefällt das ja weder XY noch Z“ äußerten. Daher vielleicht auch meine instinktive Abneigung gegen Zielgruppen, aber das kann auch darin begründet sein, dass ich selbst glaube ich eine Zielgruppe von 1 bin…man könnte es auch „eigenwillig“ nennen.;-)
Was mich in dem breiteren Zusammenhang immer fasziniert, ist, dass es soviele Auoten-Kooperationen und Kollektive gibt, die erstaunlich gut zusammenarbeiten. Vielleicht bin ich da als Hobbyist zu weit von entfernt, aber ich stelle mir das immer ziemlich schwierig vor, zumindest wenn gemeinsam an einem Fortlaufenden Text geschrieben werden soll und nicht an einer Anthologie beispielsweise – und selbst da könnte man auf das Problem treffen, dass die einen Brei und die anderen eigentlich lieber Pasta machen wollen.;-)
Moin!
Ja, es gab ja mehrere Anfragen; bei einer denke ich nicht, dass mein Buch zum Verlagsprogramm passt (dass cool ist, nur eben nicht so wie mein Schleier), bei einem sah ich meinen Vorteil ehrlich gesagt nicht, dann noch der o.g. … der war eigentlich der einzige „unerfreulichere“, wenn du so willst.
Deine Erfahrung mit dem Lektorat kenne ich ja, sprachen wir ja schon öfters drüber und es bleibt dabei, dass das genau der Stil ist, den ich hoffentlich beim Lektorieren nie an den Tag legen werde. Es ist eine Sache, die Geschichte des Autors besser machen zu wollen, eine andere, eine bessere Geschichte machen zu wollen, wenn du weißt, was ich meine.
Was die Kooperationen angeht, so gehen da ja ganz unterschiedliche Modelle. Ein noch unveröffentlichtes Cthulhu-Abenteuer hab ich mehr mitgeplant und das Schreiben an sich Frank Bartsch überlassen; mit Matthias teile ich mir in der Regeln Textteile auf und für fügen es nachher zusammen; Verfluchte Eifel wurde in einer drei- bzw. fünfköpfigen Gruppe konzipiert – wichtig ist denke ich vor allem, dass die Methodik von Anfang an klar ist und dass man jemanden hat, mit dem man so auf einer Wellenlänge liegt, dass man sich beim Ziel einig ist (und bleibt).
Aber manches würde ich auch gar nicht zu einer Gruppenarbeit machen wollen; Schleier aus Schnee etwa.
Der Condra-Kurzgeschichtenband dagegen war eine spannende Kooperation vieler Leute, einer der beiden geplanten weiteren Bände wird das sogar noch sehr exzessiv steigern =)
Viele Grüße,
Thomas
Hihi tut mir leid, wenn ich dir mit meinen Lektorats-Horrorstories schon zu oft die Ohren vollgenölt haben sollte, ich habe mitnichten andeuten wollen, dass du sowas nur im Entferntestestesten andenken würdest!;-)
Ich denke der Punkt ist einfach der, dass „besser“ ein dehnbarer Begriff ist, den viele an einer Veröffentlichung beteiligte Menschen sehr anders interpretieren können – bei mir hört die Gedult meist da auf, wo ich das Gefühl habe, dass „besser“ nichts mit „dieser Charakter ist unlogisch, oder jener Fakt ist nicht gut recherchiert“ zu tun hat, sondern eher in die Richtung einer mainstream-stromlinienförmigen „Verkaufbarkeitsvoraussage“ geht.
Das liegt vor allem auch daran, dass ich auf diese Art von Vorraussagen nichts gebe (zu oft sind Bücher am Ende „Klassiker“, die vorher als unverkäuflich galten), aber auch daran, dass mir im Zweifel meine Verkaufszahlen egal sind.;-)
Wo kämen wir denn hin, wenn alle nur noch nach dem Prinzip „Menschen, die A mochten, kauften auch…“ Prinzip schreiben, photographieren, malen, Filme machen würden? Gruselig!;-)