Hallo zusammen!
Heute wird’s mal wieder etwas länger und das, worüber ich schreiben möchte, ist zudem ein schreckliches Minenfeld der Missverständnisse und kontroversen Meinungen. Aber wenn ihr euch hier herumtreibt, dann wisst ihr vermutlich, dass ich generell keinem bei so etwas irgendwas will, doch obschon ich Politik an dieser Stelle ja eher vermeide, wenn sie nicht direkten Bezug zum Buchmarkt hat, so ist dies hier doch ein wichtiges, wichtiges Thema.
Aber welches Thema meine ich?
Das Thema
Tatsächlich beginnt die Schwierigkeit im Dialog bereits mit der Benennung des Themas. Im Grunde rede ich von Feminismus, aber Feminismus ist durch das allwaltend negativ aufgeladene Schreckgespenst „der Feministinnen“ leider kein Wort mehr, das unreflektiert gut verwendbar ist. Emanzipation ist ebenfalls vorbelastet, „Gleichstellung“ hat irgendwie so etwas Bürokratisches an sich und seine englische Entsprechung, „Equality“, hat halt kein exaktes Pendant in unserer Sprache, das die gleichen Nuancen auffängt.
Und dieser erste Haken ist bereits ärgerlich, denn solche sprachlichen Debatten haben den Makel, dass sie leichter wild zu führen sind, als sich einem schwierigen Thema zu widmen. Und darum will ich es auch nicht auf ein Wort herunterbrechen und einfach sagen: Es geht mir heute darum, dass in meinen Augen Mann und Frau die gleichen Rechte, den gleichen Wert haben und miteinander auf Augenhöhe behandelt gehören.
Meine Freunde
Mein Freundeskreis ist glaube ich noch immer mehrheitlich weiblich. Von meinen vier engsten Freunden sind drei Freundinnen. Mein Alltag ist, ganz plump, sehr stark von Frauen geprägt und beeinflusst. Das ist ein Leben, das ich nicht zu Leben wüsste, wenn ich Abstriche zwischen Mann und Frau machen würde, wenn ich ihnen Intellekt, Potenzial, Rechte, Fähigkeiten oder irgendetwas anderes absprechen würde. Gleichzeitig ist es aber auch ein Leben, das nur funktioniert, weil das auf Gegenseitigkeit beruht.
Männer haben Schwächen. Frauen auch. Frauen haben Stärken. Männer auch. Biologisch sind wir nicht gleich, keine Frage, aber wir sind beides Menschen, wir stehen in der gleichen Kultur und wenn wir die Hoffnung haben wollen, dass wir kulturell einen weiteren Fortschritt erlangen wollen, dann ist dies nur als „Wir“ möglich.
(Dies gilt, kurz eingeschoben, für jedwede Form von Toleranz; einen anderen Aspekt in die Richtung habe ich neulich erst im Bezug auf Homosexualität und das Lied „Der Tag wird kommen“ hier angesprochen, und das Lied selber nimmt auf Rassismus Bezug. Das ist alles nicht unser Thema heute, aber es würde sich für mich ausgespart anfühlen, wenn ich es nicht zumindest erwähnen würde.)
Emma Watson
Es war für mich auf dieser Ebene insofern im Grunde niemals eine Frage, ob es einen solchen Unterschied zwischen Frau und Mann gäbe; mein Alltag im Freundeskreis lebte mir ja klar vor, dass dies nicht der Fall ist. Zugleich war es nicht schwer, im Alltag etwa in der Uni Gegenbeispiele zu einer solchen Geisteshaltung zu beobachten. Und schnell fand ich heraus, dass es schwer ist, über dieses Thema zu sprechen und war demnach auch immer sehr zurückhaltend mit der Idee, über dieses Thema zu schreiben.
Ich glaube viele dieser Schwierigkeiten erwachsen aus erhärteten Fronten, aus Spuren, die frühere Erfahrungen hinterlassen haben. Textanalysen in der Uni erwiesen sich, sowie sie diesen Bereich trafen, immer als besonders aufgeladen, verschieden scharfe Varianten von „Du verstehst das nicht, du bist ein Mann“ wurden geäußert und von mir mit Bedauern wahrgenommen. Aber das ist kein Vorwurf an niemanden, ich glaube es ist eine unvermeidliche Konsequenz aus der Form, wie das Thema bis heute behandelt wird. Denn auch wenn es um die Gleichheit geht, so ist es doch immer deskriptiv und vergleichend zwischen Mann und Frau – was analytisch wichtig ist, aber in meinen Augen immer einen Makel hatte, wenn es darum ging, Erkenntnis in konstruktive Verbesserungen zu transformieren.
Und dann kam Emma Watson. Die Schauspielerin, die als Kinderdarstellerin in den Harry-Potter-Filmen als Hermine großen Ruhm fand, ist mittlerweile UN-Botschafterin; genauer gesagt „Goodwill Ambassador“. Von ihr aus geht ein Projekt namens HeForShe, eine Initiative, die sozusagen am anderen Ende beginnt und versucht, die Veränderung nicht einzig und alleine bei den und für die Frauen zu suchen, sondern im Miteinander beider Geschlechter zu finden. Nach der Vorrede sollte klar sein, weshalb sie offene Türen bei mir einrannte und damit ich hier nicht mit halbgaren Paraphrasen verbleibe, dies ist ihre Rede:
Alltagsgedanken
Ich habe in vielen Situationen ganz konkret im Alltag vor Augen, was sie meint. Das können ganz triviale Dinge sein, etwa unser historisches Tanztraining, bei dem bei ungleicher Anzahl manchmal halt „Männer Frau tanzen“ oder „Frauen Mann tanzen“ müssen. Einerseits finde ich spannend, wie reibungslos das klappt, andererseits ist im Habitus dennoch ein Unterschied und wenn ich dort (wohlmeinendes) Spötteln höre, dann gilt es in der Regel Frau tanzenden Männern. Ich komme darauf zurück.
Dass ich bei einem Amazonenfilm Buch und Regie stelle hat schon zu durchaus interessanten Gesprächen geführt (und das meine ich nicht ironisch), genauso wie zum Beispiel Ballett-Bilder sowie – aber das wird eines Tages ein eigener, ebenfalls langer Artikel werden – Akt- und Teilakt-Bilder zu Reflexionen führen. Denn auf dem Pfad stößt man unweigerlich auf den gesamten Male-Gaze-Komplex, und steht damit leicht wieder mitten in der Debatte.
Mal ganz davon zu schweigen, dass das, was ich insbesondere als private Nachrichten auf deviantArt schon bekommen habe, teils von einem Machismo erfüllt ist, der mich wiederum immer wieder daran erinnert, dass man die Rollen von Mann und Frau in der Gesellschaft auch ganz anders empfinden kann, als ich es tue.
Das Rollenbilder-Dilemma
Das führt uns alles, Watson, Tanzerfahrung und deviantArt-Machismo, zum gleichen Problembereich: Den Rollenbildern. Das klassische weibliche Rollenbild, die artige Frau daheim am Herd, war vielleicht niemals wahr, ist aber vor allem ad acta gelegt worden. Für das klassische männliche Rollenbild, der starke, kraftvolle Alleinernährer und Hausherr, gilt all dies aber ebenso. Und ich persönlich glaube, wir haben „beide“ noch keine gute Alternative parat. Die Frauen versuchen in ehemaligen „Männerdomänen“ Fuß zu fassen, und sei es halt der berufliche Alltag, und viele Männer scheinen auf eine Weise zu reagieren, als wolle man ihnen etwas wegnehmen. Zugleich sind Männer, die sich in „Frauenrollen“ einfinden – der Hausmann, aber beispielsweise auch eben Männer, die gerne tanzen – in einer Konfliktausgangslage mit denen, denen der Archetypus des „harten Kerls“ noch immer die natürliche Variante zu sein scheint. Oder die aus Unsicherheit darauf reagieren, vielleicht ganz ohne Betrachtung der Varianten an sich diese Veränderung ihres Weltbildes nicht wollen und daher mit Ablehnung kontern. Und Ablehnung, oh Gott, die ist ja geradezu überall.
Das Gespenst vom „Gegeneinander“
Das zuvor waren brutal überzeichnete Klischees, das weiß ich auch. Wenngleich durchaus Ausprägungen, die ich in Einzelfällen so schon erlebt habe. Und all das ist halt durchzogen und geprägt von dem Gedanken an „die und wir“, an eine Sammlung von Basisprämissen, die bei allem möglicherweise latent vorhandenen Willen zur Gleichheit dennoch beginnen mit einer fundamentalen Unterscheidung von Mann und Frau.
Wie ich schon sagte, natürlich gibt es den biologischen Unterschied. Und das damit verbundene Aspekte, beginnend beim Sex in vielen Varianten und Ebenen, das Spannungsfeld eher verstärken, ist mir auch klar. Das sind alles Punkte, denen ich nicht widersprechen mag. Ebenso ist es mein aktueller Kenntnisstand – wenn ich da irre, bitte belehrt mich (mit Quelle) –, dass Mann und Frau halt letztlich klar auch neuronal „unterschiedlich verkabelt“ sind, anders denken, mit Emotionen anders umgehen. Kurzum: Mann und Frau sind nicht gleich. Aber ihnen stehen dennoch gleiche Rechte zu.
Aber der Punkt, an dem ich mich seit jeher reibe, ist, dass aus einer ja fast allumfassend historisch zu beobachtenden Ungleichbehandlung beider Geschlechter die Grundannahme abgeleitet wird, dass es sich bei Mann und Frau zwangsläufig um einander widerstrebende Kräfte handeln muss. Wir unterscheiden uns, aber wir sind keine sich gegenseitig negierenden, polaren Kräfte.
Die Torbogenmetapher
Eine gute Metapher, die ich kenne, ist die Idee eines Torbogens. Manchmal habe ich den Eindruck, Männer wie Frauen sind absolut versessen darauf, jetzt aber als Erste durch diesen Torbogen zu gehen. Vielleicht, ja, hatte der Mann bisher immer den Vortritt und nun rangeln beide darum, wer fortan ein Vorrecht genießen soll. Was sie dabei übersehen, ist, dass sie beide nebeneinander passen und problemlos miteinander hindurchschreiten könnten. Wenn sie nur wollten.
Was nicht bedeutet, dass die Welt nicht voller Deppen ist. Wenn Frauen für Youtube-Videos Morddrohungen erhalten, weil sie darin über misogyne Tendenzen referieren, dann habe ich nicht die Hoffnung, mit Logik und guten Worten dort noch jemanden zu einem Umdenken zu bewegen. Aber in meiner getreuen Zuwendung zu Hanlon’s Razor – Erkläre nicht durch Bosheit, was durch Dummheit hinreichend zu erklären ist – habe ich ja schon die Hoffnung, dass es in vielen Fällen auch einfach in Unkenntnis und Unwissenheit geschieht, wenn Leute eben Unterschiede machen zwischen den Rechten von Mann und Frau. Denn dort kann man lehren, dort kann man dem Missstand mit Bildung und Reflexion begegnen.
Es ist schwer, darüber zu reden
Fast scheint es aber, es gäbe einen gewissen Drang zu fast pauschalem Widerspruch. So als Beispiel: Emma Watson bezeichnet sich als Feministin in der Rede, und direkt am nächsten Morgen fand ich in meiner Facebook-Timeline jemanden, der sich darüber beschwerte, dass es, wenn es um Gleichheit ginge, ja nicht Feministin sein könne. Zwei Beiträge darunter beklagte sich alldieweil jemand, dass bei ihrer Initiative HeForShe ja schon wieder der Mann vorne stünde. Das sind diametrale Kritiken, beide können sie nicht wahr sein und zumindest wenn man mich fragt, verfehlen beide, worum es eigentlich gehen sollte.
In mehr als einem Gespräch im Bekanntenkreis zu dem Thema, das sich interessant anließ und Potenzial zur Verständigung bot, war es dann allein ein „witziger“ Frauen-an-den-Herd-Kalauer, der alles Leben und vor allem allen Ernst aus dem Thema sog. Und kaum ist so ein Spruch gemacht, sind alle Schotten wieder dicht.
Ich glaube fest, dass dies eine kulturelle Aufgabe ist, die zu den langfristigen und langfristig zentralen Hürden unserer Zeit gehört. Ebenso wie ich glaube, dass dieses Thema nur im Dialog gelöst werden kann. Das erfordert aber, das alle auch bereit sind, diesen Dialog zu führen. Was ich eingangs sagte, über die Frage, welchen Namen man dem Kind geben wolle, gilt letztlich auch hier. Eine Freundin von mir sagt gerne: „Hör auf das, was ich meine, nicht das, was ich sage“ – vielleicht wäre schon das ein Anfang.
Deskriptiv oder konstruktiv
Vieles von dem, was derzeit stattfindet, fällt in den Bereich des Deskriptiven. Wenig davon erscheint mir allerdings zumindest in dem Sinne konstruktiv, das Lösungen gesucht werden. Mich persönlich konnte HeForShe in dieser ersten Instanz überzeugen, weil es die eine Geste wählt, die für mich sinnvoll erscheint: Jene der einladend ausgestreckten Hand.
Verständnis ist der Weg aus diesem ganzen Dilemma. Und wenn ich, rückgreifend auf meine Uni-Erfahrung, etwas „nicht verstehe, weil ich ein Mann bin“, dann erklärt es mir. Damit ich es verstehen kann, damit wir daran wachsen. Das ist nicht leicht, zumal es dieses Verständnis auch noch von und für alle Beteiligten erfordert, aber ich glaube durchaus, dass es der Schritt ist, den wir machen müssen.
Es gibt ein Video, was ich ansonsten jedes Mal in diesem Kontext poste, weil ich ebenfalls finde, dass darin alles gesagt wurde, was als Fundament gesagt werden muss. Es ist eine Rede von Joss Whedon, zur Verleihung eines ihm überreichten Preises der Organisation „Equality Now“. Es ist eine tolle, eine faszinierende Rede, die ich hier auch schon einmal gepostet habe und mit der ich schließen möchte, sozusagen als letzte Denkanregung.
Bevor das Video allerdings folgt noch eine Bitte – Dialog ist etwas Willkommenes, Kommentare sind es demnach auch, aber stay classy, wie man so schön sagt.
Und jetzt – Video ab:
Viele Grüße,
Thomas
Nachtrag: Weitere Stimmen zum Thema
Julia Schönborn hat in ihrem Blog juna im netz Frust abgelassen im Zwischenrant Internet und reibt sich an der klassischen Konter-Kultur, die solche Projekte oft im Netz erfahren müssen.
Dann stieß ich, gerade als der Artikel fertig im System war, auf eine weitere Rede von Joss Whedon. Diese ist deutlich jüngeren Datums und ist aufgrund ihrer Natur – die obige war eine Dankesrede, diese hier ist ein Vortrag auf einem Benefizbankett, soweit ich weiß – stärker in der Humor-Ecke angesiedelt. Tatsächlich eröffnet er auch dort mit einer sehr, sehr haarspaltenden (aber zielführende) Auseinandersetzung mit dem Begriff „Feminist“ und auch wenn ich schon mit Grund dennoch die alte Rede im Post belassen habe, sehenswert ist sie auf jeden Fall.
Und gelacht hab ich auch hier und da; das ist ja auch mal nett.
Ernster und dicke lesenswert ist hingegen Wir sind doch alle Individuen, ein Beitrag den Ela in ihrem Blog Muse, Mediator, Morgenmuffel veröffentlicht hat. Ela nimmt sowohl Emma Watsons Rede als auch meinen Beitrag hier als Ausgangspunkt und setzt sich mit dem (absurden) Versuch auseinander, Diskriminierung (und Leid) zu quantifizieren.
Meine 5Cent: http://jellylorum66.blogspot.de/2014/09/wir-sind-doch-alle-individuen.html :-)
Wow, ja, ich danke dir! Und ja, auch hier vollkommene Zustimmung =)
Einfach danke für die Ergänzung – werde die gleich auch im Haupttext noch zumindest verlinken :)
Viele Grüße
Thomas
Der Internet-Rant gefällt mir auch gut! Schlägt ja so ein bißchen in meine Kerbe mit den „Aber woanders ist es doch viel schlimmer“ Argumenten!;-)