Hallo zusammen!
Ein bisschen mutet es wie ein Klischee an, das man aus der Literatur kennt:
Gäste stehen vor einem kleinen Theater an, stehen in einer Schlange sogar draußen in der kalten Nacht. Sie nehmen Platz, nachdem sie erfolgreich Einlass begehrt haben, um dort zwei Männern zuzuhören, die zu einem literarischen Vortrag geladen haben. Diese Männer jedoch, man merkt schnell, sind nicht 100% bei der Sache. Sie sind 100% auf der Bühne, aber gedanklich überall, nur nicht beim Vortrag. Sie tragen einen gewissen Frust vor sich her, und eine im Laufe des abends markant steigende Promillezahl im Blut.
Der Unterhaltung des Publikums scheint das keinen Abbruch zu tun. Die Stimmung im Raum ist gut, und das, was auf der Bühne passiert, wird mit Lachen goutiert, auch wenn es vielleicht nicht das war, weshalb man kam. Nachdem die Veranstalter allerdings sehr pünktlich das Ende des Vortrags einleiten, geht doch der eine oder andere nachdenklich heim und sinniert darüber nach, was genau er da eigentlich gerade erlebt hat.
Das zumindest wäre so in etwa meine Erlebniskurve zu dem, was ich Anfang des Monats, am Nikolaussamstag, im Kölner Gloria-Theater gesehen habe. Aber bevor ich ins Detail gehe, sollte ich vielleicht vorne beginnen.
Prima Vista, das ist ein recht besonderes Lesungsprogramm. Zwei Zwei-Mann-Gespanne deutscher Synchronsprecher, wahlweise Oliver Rohrbeck und Detlef Bierstedt, oder aber wie in unserem Falle David Nathan und Simon Jäger, treten auf die Bühne und lesen recht rigoros alles vor, was das Publikum ihnen einreicht. Spontan. Es ist eine Live-Interpretation, eine Art Impro-Theater als Lesung und das ist, alles in allem, definitiv ein großer Spaß. Insofern war es, als Lichte schon vor geraumer Zeit – die Teile sind auch schnell ausverkauft – fragte, ob jemand mitwolle, gar keine Frage. Das schien genau mein Ding zu sein.
War es auch.
Aber anders als gedacht.
Nathan, den kennt das deutsche Kino-Ohr beispielsweise als hiesige Stimme Johnny Depps, Jäger alldieweil als Matt Damon. Beide sind definitiv gut, sind auch spontan und was die offizielle Seite beispielsweise so an Mitschnitten hergibt, machte Lust auf mehr.
Nur war diese Lesung offenbar anders. Es war die einzige Lesung der beiden im ganzen Jahr 2014, einem Jahr, das ließen sie mehr als einmal durchblicken, dass wohl nicht zu ihren Besten gehört hat. Dass sie an dem Tag von Berlin aus angereist waren, sich diese Anreise aber so weit verzögerte, dass sie sogar erst mit einer halben Stunde Verspätung auf die Bühne kamen, und unterwegs wohl auch hier und da schon einen Schluck getrunken hatten, schuf dann endgültig das Fundament, auf dem dann in der folgenden Zeit in einer wilden Mischung aus mehr Alkohol, recht viel Adrenalin auf der Bühne und einer spannenden Stimmung im ganzen Saal das Szenario entstanden ist, das ich eingangs so umrissen habe.
Bei allem, was man aber nun darüber sagen könnte, ist mir eines am wichtigsten: Zu jeder Sekunde war offenkundig, dass die beiden auf dieser Bühne sein wollten. Sie hatten etwas zu sagen, in Worten und in Haltung, und das haben sie auch. Sie wollten die Interaktion mit dem Publikum, wollten auch lesen, und von allem, was ich an diesem Abend gesehen habe, ist es vor allem das, was ich mitgenommen habe.
Überall, wo aufgetreten wird, von großen Bühnen bis zum Kleinkunst-Ambiente, ist eine gewisse Aura der Perfektion in der Luft. Der Auftritt soll rund laufen, die Darbietung soll möglichst sauber sein und der Künstler ist guter Dinge. Der Bruch mit diesem Credo hat dem, was im Gloria geboten wurde, fast einen postmodernen, dekonstruktiven Anstrich gegeben. Dass die Interpreten nicht nur mit der Form der Vorführung brachen, dass sie darüber hinaus sogar das Publikum direkt ansprachen und bewusst damit umgingen, dass sie gerade die Erwartungshaltung durchbrachen, machte es zu einer sich seltsam einmalig anfühlenden Erfahrung. Dass man zudem mitbekam, dass auch zwischen Bühne und Backstage Interaktion stattfand, machte es nicht weniger spannend. Und spätestens als dann Simon Jäger die Bar anwies, doch bitte jedem anwesenden Gast einen Sekt auszugeben, anders seien sie ja heute nicht zu ertragen, erreichte dies einen schwer genau zu deutenden Höhepunkt.
Dabei war es auch nicht so, als hätten die beiden keine Texte gelesen. Nur war da stets die Bereitschaft zum Absprung, vom Text zu persönlichen Gedanken, von jenen Gedanken zurück in den – oder einen anderen – Text.
Ich hatte mir, als wir anreisten, mehr Lesung und weniger persönliche Präsenz erwartet und ganz offenbar war dies nicht das, was an jenem Abend zu bekommen war. Aber mir tut es nicht Leid darum, im Gegenteil. Es war ein Blick in das Innenleben zweier, die von Kunst in Deutschland leben und die all den Irrsinn, der damit einhergeht, transportierten. Teils laut, teils direkt, aber mit einem unglaublichen Feuereifer.
Ich bin froh, dort gewesen zu sein und werde, falls sie 2015 wieder ins Gloria kommen, auch gerne zurückkehren. Ich verstehe jeden, der dort nicht fand, was er suchte; ich für meinen Teil bin derweil dankbar, auf die Lesung aufmerksam gemacht worden zu sein, und dankbar für eine vielleicht einmalige Erfahrung.
Viele Grüße,
Thomas