Es ist eine wahre Freude. Mein Eintrag über Wissenschaftsdeutsch und Schattenseiten hat nicht nur hier im Blog zu entsprechend spannenden Beiträgen in den Kommentaren geführt, sondern ist auch etwa bereits zu „Dive Into Shine„, dem lesenwerten Blog von Holger Göttmann, herüber geweht worden und hat dort bereits in Form des Beitrags „Der Akt der Wissenschaft“ Wurzeln geschlagen. Viele interessante Aspekte wurden hier wie dort noch angerissen und anstatt jetzt überall zu kommentieren, dachte ich, packe ich es einfach in einen weiteren Beitrag. Ist referenzierbarer.Das Problem ist, dass sich die Geisteswissenschaft meines Erachtens in einem ziemlich schlimmen Teufelskreis befindet. Ausgehend von einem zweifelsohne gegebenen Minderwertigkeitskomplex – denn hey, einige von „uns“ nennen „uns“ schon die „weichen Wissenschaften“, in Abgrenzung zu den „harten Wissenschaften“ wie Physik, Mathe etc. – versucht man, dem eigenen Tun einen neuen Sinn zu geben. Der Trugschluss hier ist bereits, das Geisteswissenschaften nicht nutzlos sind. Natürlich kann ich mit Goethe-Kenntnis keine Mondrakete bauen, aber andererseits müssen die Leute, die diese Rakete bauen, unter anderem auf genau die Tugenden zurückgreifen, die in der Philosophie ganz zentral gelehrt gehören. Logik, Verstand, analytisches, klares Denken etwa.
Aus diesem Minderwertigkeitskomplex erwächst dann der Wunsch nach etwas, was ich hier mal Exklusivismus nennen will, wohl wissend, dass es das Wort so nicht gibt. Es ist das Elfenbeinturm-Gehabe. Es ist das Phänomen einer Gruppe, die fürchtet, dass das, was sie zu sagen hat, so nahrhaft ist wie ein schlechter Cheeseburger und die deshalb versucht, es ganz wichtig und groß klingen zu lassen. Nur versteht es dann keiner mehr, der nicht seinerseits unter der Käseglocke der Fachidiotie mit dem Nährschleim der Verklärung großgezogen wurde.
Das wiederum hat aber eine Nebenwirkung, denn die Geisteswissenschaften muten dennoch irgendwie so an, als sollte man das verstehen. Wir alle sprechen doch Deutsch, was kann der Deutschphilologe da schon zu sagen haben? Vielleicht hat er etwas zu sagen, aber man versteht ihn nicht mehr. Was sich daher verbreitet ist Halbwissen und, schlimmer noch, der Eindruck, dass es da wohl auch schon keine Inhalte geben kann. Daraus wiederum sprießt ein ganz schrecklicher Relativismus. Geisteswissenschaftliche Erkenntnisse werden nicht mehr anerkannt und ohne auch nur den Willen zu zeigen, sich damit auseinander zu setzen mit Todschlägern wie „Das sehe ich aber anders“ zerlegt.
Also nimmt niemand mehr einen Geisteswissenschaftler ernst, außer er fährt ein Taxi. Und das wiederum nährt, klar, den Minderwertigkeitskomplex. Der Teufelskreis ist geschlossen.
Man fragt sich nur weshalb. Es werden ja auch heute noch Erkenntnisse verwandt, die aus der Geisteswissenschaft kommen – ja, ich denke da etwa an Chomsky, der einen in jedem Fachbereich heimsuchen kann. Aber die werden dann nicht mehr als solche verstanden. Chomsky nämlich, der ist Informatiker, so hört man dann – er wäre wohl entsetzt. Aber genauso war Pythagoras dann eben Mathematiker (und dabei war der Mann irrer Sektengründer mit Heilsbotschaften und einem viele Jahrhunderte überdauernden Geheimkult). Wenn man der Geisteswissenschaft alle Personen weg nimmt und sie anderen Gruppen zuordnet, klar, dann wirkt sie karg und leer.
All das schürt aber natürlich auch einen Antagonismus zwischen diesen beiden so künstlichen Gruppen. Gerade die obigen Beispiele zeigen doch, das es eigentlich alles miteinander verbunden sein muss. Nur hört man dann wieder, dass es heute ja eh unmöglich sei, sich mit allem auszukennen und so verbleibt dann jeder an seinem eigenen Tellerrand.
Die Naturwissenschaften haben dabei schon länger eine spannende Türe aufgemacht. „Verständliche Wissenschaften“ heißt das. Texte, die komplexe Themen auch normalsterblichen Lesern vermitteln sollen. Das klappt nicht immer so, wie man sich das wünscht, gar keine Frage. Aber wo für diese Abteilung in der Naturwissenschaft schon viel Raum herrscht, war es in der Welt der Geisteswissenschaften lange Zeit sehr öde. Schwanitz ist für sein „Bildung – Alles was man wissen muss“ ja fast gesteinigt worden, dabei war es gar nicht mal schlecht, das Buch. Precht legt derzeit mit „Wer bin ich, und wenn ja wie viele?“ ein gutes, anderes Produkt in die richtige Richtung vor, das es eigentlich jedem ein wenig ermöglichen sollte, auf den Spuren der Allgemeinwissenschaft zu wandeln.
Man kann einige Gedichte Goethes nicht verstehen, wenn man sich nicht mit Goethes Physik-Theorien auseinandersetzt. Der olle Weimarer war sehr fasziniert von solcherlei Phänomenen und baute sie entsprechend ein. Weder geht es da ohne die alten Theorien, noch schaden hier die neuen Erkenntnisse. Ich weiß etwa nicht, warum die theoretische Philosophie, gerade die Erkenntnistheorie-Abteilung, nicht viel mehr mit den Neurowissenschaften, den Gedächtnisforschern und all ihren Kollegen zusammenarbeitet.
Es gibt viele schlechte Beispiele im Bereich der verständlichen Wissenschaften. Das ist aber nicht so, weil die Bücher verständlich sind, sondern weil sie dann auch Fehler enthalten. Das ist nicht synonym; höchstens, weil man die Fehler so einfacher findet.
Man muss aufpassen, kein Simulakra-Problem zu schaffen und den Leuten die Miniaturtheorie als „Großes Ganzes“ zu verkaufen. Nicht etwa soll der Höhlenbewohner den Schatten mit der Außenwelt verwechseln – aber ein Schatten ist besser als völlige Unkenntnis.
Vor allem, da schließt sich der Kreis, muss der Jargon durchbrochen werden. Wenn ich über Rhetorik spreche, dann kann ich sagen, das der Sprecher seinen Text nach der Erschaffung zu lernen habe und dann letztlich vorträgt. Dafür muss ich aber weder von memoria noch von actio sprechen, das kann ich auch in ganz alltäglichem Deutsch ausdrücken. Dann können auch andere Leute mitreden.
Das macht mich als Wissenschaftler natürlich angreifbar in meinem Elfenbeinthron, aber das wiederum verschiebt nur den Fokus wieder dahin, wo er sein sollte: Darauf, eine stichhaltige Theorie zu entfernen, anstatt einen großen Haufen Allgemeinplätze so zu verkaufen, das schon keiner mehr auch nur die Lust verspürt, sich damit zu befassen.
Das wäre auch so eine Sache, die man an der Universität vermitteln könnte. Gut konzipierte Texte mit einer stimmigen, stringenten Argumentation an jeder möglichen Schreibblockade vorbei verfassen, und zwar auch im Zweifel passgenau für eine Deadline.
Macht aber kaum noch wer, scheint mir. Obwohl auch zumindest generelle Hinweise hier keine große Hexerei wären. Ich setze das mal auf meine Liste für kommende Beiträge weit nach oben, glaube ich…
Man muss sich fragen, ob ich mich nach „Einfach Filme machen“ nicht mal an ein äquivalentes Buch für die Literaturwissenschaft setzen sollte.
Ja, durchaus.
Mal im Hinterkopf behalten…
Für heute mache ich hier Schluss und sehe zu, das ich die „fertige Illustrationen für Einfach Filme machen“-Skala noch über die 25% gehoben bekomme…
In der Hoffnung auf weiteres Feedback,
viele Grüße,
Thomas






Wen hingegen meine berufliche Arbeit als Verlagsleiter und leitender Layouter für Ulisses Spiele interessiert, findet
Es gibt ernsthaft Leute die Noam Chomsky als Informatiker bezeichnen? Ich dachte immer ‚linker Intellektueller‘ wäre die gängigste Bezeichning.
Ja, ein Umstand denn ich auch nur zu genau kenne. Habe es ja selber schon oft erlebt das man „Fachtexte“ mehrmals lesen musste bis man sie verstanden hat…ok, einmal drüberlesen ist sicherlich nicht immer gut. Aber wenn man einfach nicht versteht was einem der Autor da gerade mitteilen will kann das ja auch nicht die Regel sein. Zumal die Germanistik zusammen mit einigen anderen Geisteswissenschaften ja nun auch keinen leichten Stand hat wenn es darum eght sich gegenüber den „nützlicheren“ Wissenschaften zu behaupten.