Hallo zusammen!
Ich hatte es angekündigt – ich möchte hier mal mit einem neuen Format experimentieren. Gerade wo mir in der Sabbat-Zeit des DORPCast die Medienschau als Vehikel, über Bücher zu sprechen, verloren gegangen ist, möchte ich das hier einmal versuchen.
Ich plane, jedes Quartal drei Titel (oder Reihen) herauszupicken und ein paar ausführlichere Gedanken dazu loszuwerden, und den Rest des Gelesenen dann noch einmal in kürzerer Form am Artikelende kurz zu umreißen. Manche dieser Artikel werden vermutlich länger, manche kürzer; abhängig davon, wie viel ich gelesen habe und wie viel ich zu sagen habe.
Mit zwei Disclaimern: Zum einen – die alte Crux – arbeite ich im Verlagswesen und insofern bin ich immer voreingenommen. Dabei ist es nebensächlich, ob ich das in jedem Fall so empfinde oder nicht, Fakt ist: Am Ende ist jedes Buch entweder von „uns“, oder eben von einem Mitbewerber. Insofern bitte ich all dies hier explizit nur als meine persönliche, private Meinung zu betrachten; und auch nicht als Rezension oder anderweitig sachliche Besprechung. Nehmt’s eher als Lesetipps, die ihr von einem Bekannten erhaltet.
Und zum anderen wird es dennoch Bücher geben, zu denen ich gar nicht mehr sagen werde. Beispielsweise weil es ein Buch ist, in dessen Veröffentlichung ich involviert war, oder dessen Autor:innen ich kenne etc.
Soweit, so gut. Und nun:
Ich habe Bücher gelesen: Q4/24

T. Kingfisher: What Moves The Dead und What Feasts At Night (Sworn Soldier 1 & 2)
Die beiden Bücher sind ein spannendes Paar. What Moves The Dead ist eine Nacherzählung von Poes Fall des Hauses Usher, aber mit zusätzlichen phantastischen Elementen sowie gewissermaßen der Antwort auf die Frage, ob gruselige Pilzinfektionen die Geschichte besser machen würden. Ich denke: ja!
Ein absolut faszinierendes Buch, das zudem die Hauptfigur aus einer Kultur und Nation kommen lässt, die vollkommen fiktiv ist, die jedoch in ein historisches Europa eingebettet ist. Zeitlich nicht leicht zu platzieren, jedoch eindeutig kriegsgezeichnet – und eben von Mythen durchzogen.
What Feasts At Night behält die Hauptfigur und diesen Spagat zwischen fiktivem und historischem Setting bei. Hier allerdings stand kein bereits etabliertes, literarisches Werk Pate, das Buch erzählt eine komplett neue – aber nicht minder spannende – Geschichte.
Es gibt tausend kleine Details, die diese Bücher zu einer faszinierenden Lektüre machen, beispielsweise die Art, wie hier Pronomen zur Denotation von Stand und Profession genutzt werden, aber am Ende ist es vor allem die kriechend-düstere Atmosphäre, die beide Titel für mich zu Pageturnern gemacht hat.
Insgesamt sind beides ziemlich kurze, aber extrem gelungene Bücher und wenn mehr aus der Sworn-Soldier-Reihe erscheinen wird, was meines Wissens geplant ist, werde ich definitiv dabei sein.
Dmitry Glukhovsky: Metro 2033, Metro 2034 und Metro 2035
Das war ein Ritt, den ich so nicht habe kommen sehen. Metro 2033 ist ein absolut herausragendes Buch. Tatsächlich habe ich davon im letzten DORPCast noch geschwärmt, und bleibe dabei: Das Buch nimmt ein im Grunde klassisches, post-apokalyptisches Setting, aber wertet es durch seinen extrem stimmungsvollen (und ganz manchmal unerwartet humorvollen) Schreibstil immens auf. Es erzählt vom jungen Artjom, der sich gezwungenermaßen auf eine Odyssee durch die Metro-Schächte Moskaus macht, in die sich die Menschen nach einem nuklearen Holocaust zurückgezogen haben. Faszinierend ist auch das Worldbuilding, das Glukhovsky zu großen Teilen in Lagerfeuergespräche der Figuren verlagert. Die Welt in und noch mehr außerhalb der Metro ist eine, die von Gerüchten charakterisiert wird – und die auch die Lesenden sich nur aus diesen Gerüchten erschließen können. Und aus dieser Ungewissheit heraus injiziert Glukhovsky eine Atmosphäre kosmischen Horrors in seine Erzählung, die sich für mich zu gleichem Maße mit Lovecraft und einem Jeff VanderMeer vergleichen lässt. Absolute Empfehlung.
Metro 2034 ist dann schon eine Enttäuschung gewesen. Er führt einen neuen Kader Protagonisten ein und es ist eine nette Idee, dabei eine Figur aus dem ersten Band wiederzubringen, aber nur aus der Sicht dritter zu beschreiben, was ja schon bei Sherlock Holmes gut funktioniert. Aber obwohl das Buch auf dem Papier all die gleichen Häkchen setzt, die Band 1 groß gemacht haben, fehlt dem zweiten Teil all die Atmosphäre und vor allem all dieses übernatürliche Ungewisse. Schade.
Aber Metro 2035 … habe ich tatsächlich gar nicht weit vor dem Ende sogar abgebrochen. Das Buch wirkt auf mich, als hätte Glukhovsky eigentlich eine andere Geschichte erzählen wollen und diese irgendwie aus Bequemlichkeit in seine Metro-Reihe integriert. (Es ist komplizierter, auch verwoben mit den parallel veröffentlichten Computerspielen, aber der Eindruck bleibt.) Nicht nur verfehlt es vollständig die Atmosphäre von Band 1, es steht sogar inhaltlich teilweise im Konflikt mit Setting-Setzungen, die dort noch bestimmend waren. Und zu allem Überfluss trieft ein menschenfeindlicher, ironieloser Sarkasmus aus diesen Seiten; ein Mangel an Mitgefühl nicht der Figuren, sondern des Autors, der mir das Buch tiefgreifend verlitten hat.
Metro 2033 würde ich weiterhin herzlich empfehlen. Von den anderen Bänden würde ich in dem Kontext aber sogar abraten, denn ich glaube, mein Gesamteindruck wäre besser ohne den Ballast, zu wissen, wie steil es hinter dem Gipfel bergab ging.
Max Brooks: World War Z
Und wer nun denkt, vielleicht ist Postapokalypse per se nichts für mich – das gegenteilige Highlight war für mich World War Z, spezifischer die Hörbuchfassung auf Audible.
Das Buch für sich ist schon großartig: Es ist die Aufarbeitung eines menschheitsweiten Kriegs gegen eine Zombie-Epidemie, erzählt durch eine große Zahl von „Primärquellen“, namentlich Interviews mit „Zeitzeugen“. Die Erzählform ist ein frischer Spin auf so etwas wie das Genre des Briefromans, Brooks‘ literarische Leistung doppelt bemerkenswert wenn man beschaut, wie unterschiedlich die Erzählstimmen der einzelnen Passagen wirklich sind.
Auch die erzählte Geschichte ist packend und – das muss man einfach festhalten – im Nachgang an die Jahre der Corona-Pandemie besonders schwer zu verdauen. So viele Schattenseiten unserer Mitmenschen, von „denen ganz oben“ bis zum Jedermann im Alltag, hat Brooks hier 2006 (!) bereits antizipiert und ziemlich bedrückend auf den Punkt gebracht.
Das Hörbuch aber legt locker noch einen drauf. Neben Brooks, der passend den Interviewer spricht, finden sich da neben vielen anderen etwa F. Murray Abraham, Alan Alda, Bruce Boxleitner, Frank Darabont, Mark Hamill, Nathan Fillion, Alfred Molina, Simon Pegg, Jürgen Prochnow oder Martin Scorsese. Eine brillante Inszenierung, in der knapp über 40 Sprecher:innen allesamt begeistern und vor allem den „Quellen“ nochmal eine weitere Ebene der Authentizität verleihen.
Ach ja, und ein Shoutout gebührt der deutschen Ausgabe, denn Operation Zombie: Wer länger lebt, ist später tot ist selbst in einer langen Historie brunzdummer deutscher Buchtitel … bemerkenswert.
Und sonst waren da noch …
- Webb, Jonice: Running on Empty: Overcome Your Childhood Emotional Neglect – ein Sachbuch, das ich lesenswert fand, was aber glaube ich außerhalb des Kontextes, in dem ich es gelesen habe, hier eher ein Fremdkörper ist.
- Brubaker, Ed: Friday Book Three: Christmas Time is Here Again – der abschließende dritte Teil von Brubakers famoser Graphic-Novel-Reihe, die sich fragt, was aus Jugenddetektiven wird, die erwachsen werden, und ebenfalls eine große Tüte kosmischen Horror dort einrührt. Die ganze Reihe ist massiv zu empfehlen.
- Johnson, Jaleigh: Dungeons & Dragons: The Fallbacks – Bound for Ruin – ein Stand-Alone-Roman zu D&D, zu dem ich – Stichwort Interessenskonflikte – nicht so viel sagen will. Seichte Kost, hat Spaß gemacht zu lesen.
- Liu, Cixin: Jenseits der Zeit (Trisolaris, Teil 3) – ich fürchte, ich bin mit der Trisolaris-Reihe nie wirklich warm geworden. Ich kann anerkennen, was die Bücher erzählerisch leisten, aber ich habe sie schlicht nicht gerne gelesen.
- Volkmann, Magali: Die Republik der Knochen – Interessenkonflikt Nr. 2, den der Roman ist im Drachenmond Verlag erschienen, einem direkten Partner meines Brötchengebers Ulisses. Daher nur so viel: Ich hatte Spaß an dem Buch und ein paar der enthaltenen Konzepte waren mir so noch nicht untergekommen.
- Kingfisher, T.: A Wizards Guide to Defensive Baking – ein Fantasyroman, so cozy und so zuckersüß, dass es echt schwerfällt zu glauben, dass er aus der gleichen Feder stammt wie die Sworn-Soldier-Titel. Das Buch eröffnet als quirkiger Whodunnit, der mich im Ton ein wenig an Flavia de Luce erinnerte, und eskaliert dann fröhlich bis zu einem epischen Finale nebst offener Feldschlacht … und ist selbst dann noch cozy. Sehr cool!
- Kingfisher, T.: Bryony and Roses – okay, hier bin ich glaube ich nicht die Zielgruppe. Dennoch ist diese Romantasy-geprägte Nacherzählung der Geschichte von Die Schöne und das Biest definitiv gelungen. Sehr selbstbewusst, in Teilen meta, schön charakterisiert und mit einem guten Twist am Ende.
- White, Joe: George Orwell’s 1984. Eine Hörspiel-Adaption von Orwells Klassiker mit ein paar ziemlich namhaften Sprechern, von Andrew Garfield über Andrew Scott bis zu Tom Hardy als ‚die Stimme von Big Brother‘. Ich meine … es ist gut? Aber es ist auch ein wie ich finde unangenehmes Buch für solch eine Interpretation, das einen – ebenso wie den Protagonisten Winston Smith – nicht mit einem guten Gefühl aus dem Raum 101 entlässt.
- Barnes, S.A.: Dead Silence. Eine Geistergeschichte um eine kleine Raumschiff-Crew, die einen vor Ewigkeiten im All verschollenen Luxusliner entdeckt und sich an der Bergung versucht. Es ist eine klassische Geisterschiff-Geschichte, aber im Weltall, mit ein paar narrativen Twists, die es nochmal frischer machen. Ein bisschen Event Horizon, ein bisschen ALIEN und ALIENS, viel Spannungsaufbau und eine interessante Erzählstruktur. Ja, doch, definitiv eine Empfehlung.
Und soweit das vierte Quartal.
Wenn dieses Format für euch was taugt, lasst es mich gerne wissen.
Hier geht es dann zum Jahreswechsel erst einmal weiter mit den üblichen Artikeln zu, nun ja, jenem Jahreswechsel eben.
Viele Grüße,
Thomas
PS: Zwei Shoutouts noch – in beiden Fällen ist’s beileibe nicht 1:1 vergleichbar, aber ich bin mir sicher, ich hätte die Idee zu diesem Beitragsformat nicht gehabt, wären da nicht einerseits die „Games I Played in [Monat xy]“-Videos des YouTubers Raz und andererseits die Jahreszeit-Ansichten-Artikel von Alessandra Reß. Ehre wem Ehre gebührt.






Wen hingegen meine berufliche Arbeit als Verlagsleiter und leitender Layouter für Ulisses Spiele interessiert, findet
Uh, die Hörbuchfassung von WWZ klingt gut, Solaris und Dracula in den Audible-Fassungen waren auch schon leider geil. Aber der deutsche Titel ist … ich glaube ich gehe mal Aspirin suchen. X-D
Moin!
Die Hörbuch-Fassung von Dracula (ich nehme an die Englische, mit u.a. Tim Curry als Van Helsing?) ist *phänomenal*, ja. Volle Zustimmung.
Die Solaris-Adaption kenne ich noch nicht; die wandert direkt mal auf die Liste 😊
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