Warum ich gerne Zeit ins Theater stecke

Die komplette Theatergruppe einmal versammelt

Die komplette Theatergruppe einmal versammelt

Vergangene Woche hatten wir ja, das schrieb ich schon, Hell Week. Die höllische Woche, in der wir endlich in das Theater konnten, das Bühnenbild komplett und die Kostüme fertig kombiniert wurden, in der Technikprobe, Generalprobe und natürlich die Aufführungen anstanden. Höllischer Stress, aber dafür auch vier Abende ein restlos ausverkauftes Haus, viel Applaus mit Standing Ovations, tolle Abende, keine Frage. Und dennoch fragt man sich immer mal: Warum tue ich das eigentlich?Und schon zu Beginn der Aufführungen hatte ich mir vorgenommen, hier einmal etwas darüber zu schreiben, warum ich mir diesen Stress eigentlich antue, anstatt in der Zeit brav an Büchern zu schreiben. Dann war Hell Week vorbei … und seither habe ich eine Hausarbeit abgegeben, eine andere Hausarbeit für eine Kollegin meiner Freundin Korrektur gelesen, habe die Januar-Ausgabe einer Vereinszeitung gesetzt, habe über Berkeleys Vorstellung von Sein und Wahrnehmung referiert und einen Teeschrank gestrichen. So. Und jetzt finde ich doch mal die Zeit.

Was also ist es, das mich zum Theater treibt? Hinter die Bühne bzw. hinter den Kassenschalter, klar, aber dennoch in dieses ganze Umfeld. Sicherlich einerseits schon mal die immense Kreativität, die dort in der Luft liegt.
Ein Dozent von mir sagte mal, man lerne bei einem Blick hinter die Kulissen einer Theaterinszenierung mehr über Literatur als in einem ganzen Studium. Recht hat er. Die Inszenierung auf der Bühne bringt einen dazu, Texte mit ganz anderen Augen zu lesen. Man blickt auf Details, auf Inszenierungsfragen aller Art. Die können Teil der Interpretation sein – Warum handelt ein Charakter gerade so, wie er es tut? – oder aber plumper Pragmatismus. Wenn ein Schauspieler bei Satz X an Stelle A steht, wie kann er denn dann bis Satz Y an Stelle B gelangen?
Das ist sehr inspirierend und bringt einen, denke ich, wirklich weiter.

Aber natürlich gibt es da noch andere Aspekte, die nicht minder reizvoll sind. Die Leute im Ensemble und drum herum etwa. Ein bisschen ist Actor’s Nausea für mich immer etwas wie eine Familie, vor allem, da zu den großen Festen, also der Aufführung, auch der weit entfernt wohnende Onkel, also die Ehemaligen und die Technik-Helfer etwa, zu Besuch kommen. Das geht mit der Kreativität Hand in Hand, aber hat noch eine zusätzliche Qualität.

Auch ist es spannend, mal zu sehen, wie viele Aspekte doch letztlich bedacht werden müssen, wenn man ein Stück auf die Bühne bringt. Musik, Licht, das Timing von Technik und Schauspieler, Make-up, Kostüme und Requisiten, alles braucht seinen Platz, braucht seinen Zeitpunkt.
Daran wiederum knüpft sich ein Aspekt, den man nicht vernachlässigen darf – Theater ist immer neu. Es ist sicherlich eine Qualität von Filmen, dass sie bei jeder Betrachtung prinzipiell gleich sind (jedenfalls grundsätzlich), es ist aber ebenso eine Qualität, dass das Theater es nicht ist. Es ist jedes Mal neu und frisch, es hat jeden Abend eine eigene, neue, schöne Dynamik.

Theater ist für mich auch stärker in seiner Wirkung, was teils einfach an ganz grundlegenden, psychologischen Effekten liegt. Aber gerade beim (jetzt) vorletzten Stück der Gruppe, The Crucible nach Arthur Miller, habe ich es gemerkt. Panische Schreie, Aggressionen und Weinkrämpfe auf der Bühne berühren einen ganz anders als sie es tun würden, wenn man sie auf der Mattscheibe oder der Leinwand sähe.
Aber auch das Ende: John Proctor wird zum Galgen geführt, live gespielte Trommeln transportieren von hinter der Bühne seinen letzten Marsch, während Elizabeth auf der Bühne ihren wunderschönen, letzten Satz sagt: „He has his goodness now. God forbid I take it from him.“ Dann fällt sie auf die Knie und ein letzter, dumpfer Schlag hinter der Bühne spricht vom Tod des Protagonisten.
Ich kannte es von vielen, vielen Proben, aber es hat mir doch wieder eine Gänsehaut über den Rücken gejagt.

Und natürlich der Applaus am Ende. Es ist einfach eine Genugtuung, die man nur schwer mit etwas anderem vergleichen kann, wenn die Ovationen der Zuschauer einen für die Mühen entschädigen, die jeder, vor wie hinter der Bühne hatte, indem sie einem so Respekt zollen.

Theater als solches lebt in einer ganz eigenen Welt. Für die Aufführungswoche gilt auch bei uns der Ausnahmezustand und Fragen des Alltags erscheinen plötzlich ganz trivial und irrelevant, während man sich über Dinge den Kopf zerbricht, die andere wiederum als irrsinnig abtun könnten.
Danach kehrt man zurück in die Wirklichkeit, zumeist ganz hart in Form des Bühnenabbaus. Und für vielleicht 24, sogar 48 Stunden ist man froh, den ganzen Zirkus vorerst hinter sich zu haben. Bis zu dem ersten Tag, an dem Probe wäre und man sich abends fragt, was man eigentlich tun soll.

Ich bin sicher, das eine oder andere Buch, das ich schreiben will und hoffentlich werde, wäre nicht das, was es im Geiste jetzt schon ist, wenn ich nicht die entsprechenden Erfahrungen sammeln könnte.
So etwas prägt das Weltbild.
Insofern sind es wohl doch die Bretter, die die Welt bedeuten.

Viele Grüße,
Thomas

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